das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten -- während für den Stadtmenschen diese Regelmässigkeiten der Bedürfnisse (nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist. Und wenn es wahr ist, dass die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittel- barer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muss sich das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z. B. manche Afri- kaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in Bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegen- sätze ineinander, von Mangel zu Überfluss, von Überfluss zu Mangel. Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht nur sorgt sie dafür, dass das ganze Jahr über alle erforderlichen Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Kon- sumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluss zu Gelde ge- macht und sein Genuss dadurch gleichmässig und kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jen- seits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Ent- wicklung, dass auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und grade auf ihren primitivsten Stufen äusserst hervor- tretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein ohrenzerreissender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmässig- keit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisen- der: "Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten." Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht -- im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, dass neuerdings die
das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten — während für den Stadtmenschen diese Regelmäſsigkeiten der Bedürfnisse (nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist. Und wenn es wahr ist, daſs die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittel- barer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muſs sich das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z. B. manche Afri- kaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in Bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegen- sätze ineinander, von Mangel zu Überfluſs, von Überfluſs zu Mangel. Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht nur sorgt sie dafür, daſs das ganze Jahr über alle erforderlichen Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Kon- sumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluſs zu Gelde ge- macht und sein Genuſs dadurch gleichmäſsig und kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jen- seits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Ent- wicklung, daſs auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und grade auf ihren primitivsten Stufen äuſserst hervor- tretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein ohrenzerreiſsender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäſsig- keit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisen- der: „Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten.“ Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht — im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daſs neuerdings die
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das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten — während
für den Stadtmenschen diese Regelmäſsigkeiten der Bedürfnisse (nicht
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ist, daſs die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittel-
barer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die
Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung
dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder
dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden
Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muſs sich
das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von
Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die
sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z. B. manche Afri-
kaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine
jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine
eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft
für den Selbstbedarf in Bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes
wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegen-
sätze ineinander, von Mangel zu Überfluſs, von Überfluſs zu Mangel.
Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht
nur sorgt sie dafür, daſs das ganze Jahr über alle erforderlichen
Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern
vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Kon-
sumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluſs zu Gelde ge-
macht und sein Genuſs dadurch gleichmäſsig und kontinuierlich über
das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jen-
seits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Ent-
wicklung, daſs auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst
ausgeprägte und grade auf ihren primitivsten Stufen äuſserst hervor-
tretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie
der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker
überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich
ein ohrenzerreiſsender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäſsig-
keit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisen-
der: „Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine
eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen
Takt miteinander halten.“ Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten
bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in
einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht
— im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren
Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und
auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daſs neuerdings die
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/549>, abgerufen am 25.11.2024.
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