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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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wusstseins, das den modernen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche,
von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und
wieder zurück jagt -- nicht nur der äusseren Hast und Aufgeregtheit
des modernen Lebens entstammt, sondern dass umgekehrt diese vielfach
der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes
ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu,
in immer neuen Anregungen, Sensationen, äusseren Aktivitäten eine
momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seiner-
seits in die wirre Halt- und Rastlosigkeit, die sich bald als Tumult
der Grossstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Kon-
kurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Ge-
bieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen
offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens
ergiebt sich als einfacher Schluss aus den Prämissen, die alle Er-
örterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die blosse
Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe
mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die
innerlichen und Endzwecke schieben und diese schliesslich überdecken
und verdrängen. Bei ihm tritt, teils wegen der Leidenschaft seines
Begehrtwerdens, teils wegen seines Eingreifens in alle möglichen Zweck-
prozesse, teils wegen seiner eignen Leerheit und blossen Durchgangs-
charakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Ver-
schiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die
graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der
Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und rast-
loser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in
keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes,
sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich
auch unterhalb seiner in einer Skala von Erscheinungen darstellen.
Nach einer andern Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser
ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den
die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst
zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als
die allgemeinste Technik des äussern Lebens, ohne die die einzelnen
Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch
nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funk-
tionen, durch deren Vereinigung es die Form der grössten und tiefsten
Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: dass es einerseits in den Reihen
der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen
steht, und dass es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende,
alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion

wuſstseins, das den modernen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche,
von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und
wieder zurück jagt — nicht nur der äuſseren Hast und Aufgeregtheit
des modernen Lebens entstammt, sondern daſs umgekehrt diese vielfach
der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes
ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu,
in immer neuen Anregungen, Sensationen, äuſseren Aktivitäten eine
momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seiner-
seits in die wirre Halt- und Rastlosigkeit, die sich bald als Tumult
der Groſsstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Kon-
kurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Ge-
bieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen
offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens
ergiebt sich als einfacher Schluſs aus den Prämissen, die alle Er-
örterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die bloſse
Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe
mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die
innerlichen und Endzwecke schieben und diese schlieſslich überdecken
und verdrängen. Bei ihm tritt, teils wegen der Leidenschaft seines
Begehrtwerdens, teils wegen seines Eingreifens in alle möglichen Zweck-
prozesse, teils wegen seiner eignen Leerheit und bloſsen Durchgangs-
charakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Ver-
schiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die
graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der
Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und rast-
loser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in
keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes,
sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich
auch unterhalb seiner in einer Skala von Erscheinungen darstellen.
Nach einer andern Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser
ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den
die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst
zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als
die allgemeinste Technik des äuſsern Lebens, ohne die die einzelnen
Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch
nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funk-
tionen, durch deren Vereinigung es die Form der gröſsten und tiefsten
Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daſs es einerseits in den Reihen
der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen
steht, und daſs es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende,
alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion

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[523/0547] wuſstseins, das den modernen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche, von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und wieder zurück jagt — nicht nur der äuſseren Hast und Aufgeregtheit des modernen Lebens entstammt, sondern daſs umgekehrt diese vielfach der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu, in immer neuen Anregungen, Sensationen, äuſseren Aktivitäten eine momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seiner- seits in die wirre Halt- und Rastlosigkeit, die sich bald als Tumult der Groſsstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Kon- kurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Ge- bieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens ergiebt sich als einfacher Schluſs aus den Prämissen, die alle Er- örterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die bloſse Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die innerlichen und Endzwecke schieben und diese schlieſslich überdecken und verdrängen. Bei ihm tritt, teils wegen der Leidenschaft seines Begehrtwerdens, teils wegen seines Eingreifens in alle möglichen Zweck- prozesse, teils wegen seiner eignen Leerheit und bloſsen Durchgangs- charakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Ver- schiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und rast- loser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes, sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich auch unterhalb seiner in einer Skala von Erscheinungen darstellen. Nach einer andern Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als die allgemeinste Technik des äuſsern Lebens, ohne die die einzelnen Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funk- tionen, durch deren Vereinigung es die Form der gröſsten und tiefsten Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daſs es einerseits in den Reihen der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen steht, und daſs es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende, alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/547>, abgerufen am 25.11.2024.