sammengehalten werden; wie Religiosität um so höher steht, eine je unermesslichere Distanz sie -- im Gegensatz zu allem Anthropomor- phismus und allen sinnlichen Erweisen -- zwischen Gott und der Einzel- seele bestehen lässt, um grade damit das äusserste Mass des Glaubens hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Dass bei dem grösseren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, dass er hier eine un- persönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigent- lich persönlichen Charakter -- ohne den die Kategorie der Vornehm- heit nicht anwendbar ist -- verloren hat: der Kredit ist eine tech- nische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psycho- logischen Obertönen geworden. -- Und zweitens: jene Aufhäufung der kleinen Schulden bis zu der schliesslichen Bezahlung mit dem Check bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kauf- mann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat, äusserlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Checkbank, wird diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz zwischen dem "Gentleman" und dem Krämer betont, die den Begriff des ersteren entstehen lässt und für die diese Art des Ver- kehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.
Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die distan- zierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes zurückweisen- den Zug des letzteren. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen -- als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge. Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Über- gewicht ab, das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke des Lebens gewinnen. Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der Militarismus das schlagendste Beispiel. Das stehende Heer ist blosse Vorbereitung, latente Energie, Eventualität, deren Definitivum und Zweck nicht nur jetzt verhältnismässig selten eintritt, sondern auch mit allen Kräften zu vermeiden gesucht wird; ja, die äusserste Anspannung der militärischen Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre
sammengehalten werden; wie Religiosität um so höher steht, eine je unermeſslichere Distanz sie — im Gegensatz zu allem Anthropomor- phismus und allen sinnlichen Erweisen — zwischen Gott und der Einzel- seele bestehen läſst, um grade damit das äuſserste Maſs des Glaubens hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Daſs bei dem gröſseren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, daſs er hier eine un- persönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigent- lich persönlichen Charakter — ohne den die Kategorie der Vornehm- heit nicht anwendbar ist — verloren hat: der Kredit ist eine tech- nische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psycho- logischen Obertönen geworden. — Und zweitens: jene Aufhäufung der kleinen Schulden bis zu der schlieſslichen Bezahlung mit dem Check bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kauf- mann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat, äuſserlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Checkbank, wird diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz zwischen dem „Gentleman“ und dem Krämer betont, die den Begriff des ersteren entstehen läſst und für die diese Art des Ver- kehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.
Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die distan- zierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes zurückweisen- den Zug des letzteren. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen — als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge. Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Über- gewicht ab, das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke des Lebens gewinnen. Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der Militarismus das schlagendste Beispiel. Das stehende Heer ist bloſse Vorbereitung, latente Energie, Eventualität, deren Definitivum und Zweck nicht nur jetzt verhältnismäſsig selten eintritt, sondern auch mit allen Kräften zu vermeiden gesucht wird; ja, die äuſserste Anspannung der militärischen Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre
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sammengehalten werden; wie Religiosität um so höher steht, eine je
unermeſslichere Distanz sie — im Gegensatz zu allem Anthropomor-
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seele bestehen läſst, um grade damit das äuſserste Maſs des Glaubens
hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Daſs bei dem gröſseren
Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim
Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, daſs er hier eine un-
persönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigent-
lich persönlichen Charakter — ohne den die Kategorie der Vornehm-
heit nicht anwendbar ist — verloren hat: der Kredit ist eine tech-
nische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psycho-
logischen Obertönen geworden. — Und zweitens: jene Aufhäufung der
kleinen Schulden bis zu der schlieſslichen Bezahlung mit dem Check
bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kauf-
mann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei
jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung
des Kaufmanns hat, äuſserlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die
Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser,
wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem
nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person
zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die
Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Checkbank, wird
diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die
Distanz zwischen dem „Gentleman“ und dem Krämer betont, die den
Begriff des ersteren entstehen läſst und für die diese Art des Ver-
kehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.
Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die distan-
zierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur
noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes zurückweisen-
den Zug des letzteren. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es
scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung,
ungelöstem Drängen — als sollte die Hauptsache erst kommen, das
Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der
Dinge. Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Über-
gewicht ab, das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke
des Lebens gewinnen. Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der
Militarismus das schlagendste Beispiel. Das stehende Heer ist bloſse
Vorbereitung, latente Energie, Eventualität, deren Definitivum und
Zweck nicht nur jetzt verhältnismäſsig selten eintritt, sondern auch mit
allen Kräften zu vermeiden gesucht wird; ja, die äuſserste Anspannung
der militärischen Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/542>, abgerufen am 22.11.2024.
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