diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner Herstellung beteiligt waren. Die Pracht und Grösse der modernen Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Voll- endung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen -- ein Mangel, den alles Bewusstsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Cha- rakters der letzteren nicht unfühlbar machen kann. Ja, die personale Seelenhaftigkeit besitzt als blosse Form einen spezifischen Wert, der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres Inhalts behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins, all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur einen positiven Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.
Der Dualismus der Werte, der sich so in der Kulturentwicklung offenbart, setzt sich also an eine und dieselbe Thatsache an: die Zer- legung und Spezialisation der seelischen wie der sachlichen Erschei- nungen ist gleichsam der Drehpunkt, um den sich beiderlei Werte bewegen. Die Differenzierung treibt die subjektive und die objek- tive Kultur immer weiter auseinander, derart indes, dass in dieser Gegenbewegung die letztere als das eigentlich bewegte Element er- scheint, während die erstere eine erheblichere Stabilität besitzt; aber indem jene Bewegung gleichzeitig nach zwei Richtungen geht -- in der oben angenommenen Bezeichnungsweise: auf Steigerung des Geistes und Verminderung der Seele -- ändert das subjektive Element, selbst wenn es ganz ungeändert bliebe, doch seine relative Stellung zu jenem und erscheint einerseits tiefer, andrerseits höher gerückt. --
Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven Geistern steht, von äusserster Bedeutsamkeit, und zwar grade nach der Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil eine Form ist, in der eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich gleichmässig ausdrückt, so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem Geist in Bezug auf Quantität, Höhenmass, Entwicklungstempo bei sehr verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes dennoch die gleiche sein. Grade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums dar- bietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kultur- bewegung seiner Zeit weiss, ob er diese als eine überlegene, von der er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet,
diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner Herstellung beteiligt waren. Die Pracht und Gröſse der modernen Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Voll- endung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen — ein Mangel, den alles Bewuſstsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Cha- rakters der letzteren nicht unfühlbar machen kann. Ja, die personale Seelenhaftigkeit besitzt als bloſse Form einen spezifischen Wert, der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres Inhalts behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins, all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur einen positiven Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.
Der Dualismus der Werte, der sich so in der Kulturentwicklung offenbart, setzt sich also an eine und dieselbe Thatsache an: die Zer- legung und Spezialisation der seelischen wie der sachlichen Erschei- nungen ist gleichsam der Drehpunkt, um den sich beiderlei Werte bewegen. Die Differenzierung treibt die subjektive und die objek- tive Kultur immer weiter auseinander, derart indes, daſs in dieser Gegenbewegung die letztere als das eigentlich bewegte Element er- scheint, während die erstere eine erheblichere Stabilität besitzt; aber indem jene Bewegung gleichzeitig nach zwei Richtungen geht — in der oben angenommenen Bezeichnungsweise: auf Steigerung des Geistes und Verminderung der Seele — ändert das subjektive Element, selbst wenn es ganz ungeändert bliebe, doch seine relative Stellung zu jenem und erscheint einerseits tiefer, andrerseits höher gerückt. —
Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven Geistern steht, von äuſserster Bedeutsamkeit, und zwar grade nach der Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil eine Form ist, in der eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich gleichmäſsig ausdrückt, so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem Geist in Bezug auf Quantität, Höhenmaſs, Entwicklungstempo bei sehr verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes dennoch die gleiche sein. Grade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums dar- bietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kultur- bewegung seiner Zeit weiſs, ob er diese als eine überlegene, von der er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet,
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[501/0525]
diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner
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Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche
Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Voll-
endung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in
Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen — ein Mangel, den
alles Bewuſstsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Cha-
rakters der letzteren nicht unfühlbar machen kann. Ja, die personale
Seelenhaftigkeit besitzt als bloſse Form einen spezifischen Wert,
der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres Inhalts
behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins,
all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von
denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur
einen positiven Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.
Der Dualismus der Werte, der sich so in der Kulturentwicklung
offenbart, setzt sich also an eine und dieselbe Thatsache an: die Zer-
legung und Spezialisation der seelischen wie der sachlichen Erschei-
nungen ist gleichsam der Drehpunkt, um den sich beiderlei Werte
bewegen. Die Differenzierung treibt die subjektive und die objek-
tive Kultur immer weiter auseinander, derart indes, daſs in dieser
Gegenbewegung die letztere als das eigentlich bewegte Element er-
scheint, während die erstere eine erheblichere Stabilität besitzt; aber
indem jene Bewegung gleichzeitig nach zwei Richtungen geht — in
der oben angenommenen Bezeichnungsweise: auf Steigerung des Geistes
und Verminderung der Seele — ändert das subjektive Element, selbst
wenn es ganz ungeändert bliebe, doch seine relative Stellung zu
jenem und erscheint einerseits tiefer, andrerseits höher gerückt. —
Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem
ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven
Geistern steht, von äuſserster Bedeutsamkeit, und zwar grade nach der
Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil eine Form ist, in der
eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich gleichmäſsig ausdrückt,
so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem
Geist in Bezug auf Quantität, Höhenmaſs, Entwicklungstempo bei sehr
verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes dennoch die gleiche
sein. Grade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der
Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums dar-
bietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein
Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kultur-
bewegung seiner Zeit weiſs, ob er diese als eine überlegene, von der
er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/525>, abgerufen am 22.11.2024.
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