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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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seiner Kulturhöhe grade dies -- ausser etwa in Bezug auf die höchsten
philosophischen Bewegungen -- zu vermeiden wusste. Aber die Grösse
des Kreises macht an und für sich das Auseinandertreten des subjek-
tiven und des objektiven Faktors noch nicht verständlich. Es gilt
vielmehr jetzt die konkreten wirkenden Ursachen der letzteren Er-
scheinung aufzusuchen.

Will man diese und die Stärke ihres gegenwärtigen Auftretens in
einen Begriff konzentrieren, so ist dieser: Arbeitsteilung; und zwar so-
wohl nach ihrer Bedeutung innerhalb der Produktion wie der Konsumtion.
In ersterer Hinsicht ist oft genug hervorgehoben worden, wie die
Vollendung des Produkts auf Kosten der Entwicklung des Produzenten
zustande kommt. Die Steigerung der physisch-psychischen Energien
und Geschicklichkeiten, die sich bei einseitiger Thätigkeit einstellt,
pflegt für die einheitliche Gesamtpersönlichkeit wenig Nutzen abzu-
werfen: sie lässt diese sogar vielfach verkümmern, indem sie ihr ein für
die harmonische Gestaltung des Ich unentbehrliches Kraftquantum ent-
saugt, oder sie entwickelt sich in andern Fällen wenigstens wie in
Abschnürung von dem Kern der Persönlichkeit, als eine Provinz mit
uneingeschränkter Autonomie, deren Erträge nicht der Zentralstelle zu-
fliessen. Die Erfahrung scheint zu zeigen, dass die innere Ganzheit
des Ich sich im wesentlichen in Wechselwirkung mit der Geschlossen-
heit und Abrundung der Lebensaufgabe herstellt.

Wie uns die Einheit eines Objekts überhaupt so zustande kommt,
dass wir die Art, wie wir unser "Ich" fühlen, in das Objekt hinein-
tragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der
Bestimmungen zu der Einheit des "Ich" zusammenwächst -- so wirkt,
im psychologisch-praktischen Sinne, die Einheit des Objekts, das wir
schaffen, und ihr Mangel auf die entsprechende Formung unserer Per-
sönlichkeit. Wo unsere Kraft nicht ein Ganzes hervorbringt, an dem
sie sich nach der ihr eigentümlichen Einheit ausleben kann, da fehlt
es an der eigentlichen Beziehung zwischen beiden, die inneren Ten-
denzen der Leistung ziehen sie zu den anderweitigen, mit ihr erst
eine Totalität bildenden Leistungen Anderer, auf den Produzenten aber
weist sie nicht zurück. Infolge solcher, bei grosser Spezialisierung ein-
tretenden Inadäquatheit zwischen der Existenzform des Arbeiters und
der seines Produktes löst sich das letztere so sehr leicht und gründ-
lich von dem ersteren ab, sein Sinn strömt ihm nicht von dessen
Seele zu, sondern von seinem Zusammenhang mit anderswoher stammen-
den Produkten, es fehlt ihm wegen seines fragmentarischen Charakters
das Wesen der Seelenhaftigkeit, das sonst dem Arbeitsprodukt, sobald
es ganz als Werk eines Menschen erscheint, so leicht angefühlt wird.

seiner Kulturhöhe grade dies — auſser etwa in Bezug auf die höchsten
philosophischen Bewegungen — zu vermeiden wuſste. Aber die Gröſse
des Kreises macht an und für sich das Auseinandertreten des subjek-
tiven und des objektiven Faktors noch nicht verständlich. Es gilt
vielmehr jetzt die konkreten wirkenden Ursachen der letzteren Er-
scheinung aufzusuchen.

Will man diese und die Stärke ihres gegenwärtigen Auftretens in
einen Begriff konzentrieren, so ist dieser: Arbeitsteilung; und zwar so-
wohl nach ihrer Bedeutung innerhalb der Produktion wie der Konsumtion.
In ersterer Hinsicht ist oft genug hervorgehoben worden, wie die
Vollendung des Produkts auf Kosten der Entwicklung des Produzenten
zustande kommt. Die Steigerung der physisch-psychischen Energien
und Geschicklichkeiten, die sich bei einseitiger Thätigkeit einstellt,
pflegt für die einheitliche Gesamtpersönlichkeit wenig Nutzen abzu-
werfen: sie läſst diese sogar vielfach verkümmern, indem sie ihr ein für
die harmonische Gestaltung des Ich unentbehrliches Kraftquantum ent-
saugt, oder sie entwickelt sich in andern Fällen wenigstens wie in
Abschnürung von dem Kern der Persönlichkeit, als eine Provinz mit
uneingeschränkter Autonomie, deren Erträge nicht der Zentralstelle zu-
flieſsen. Die Erfahrung scheint zu zeigen, daſs die innere Ganzheit
des Ich sich im wesentlichen in Wechselwirkung mit der Geschlossen-
heit und Abrundung der Lebensaufgabe herstellt.

Wie uns die Einheit eines Objekts überhaupt so zustande kommt,
daſs wir die Art, wie wir unser „Ich“ fühlen, in das Objekt hinein-
tragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der
Bestimmungen zu der Einheit des „Ich“ zusammenwächst — so wirkt,
im psychologisch-praktischen Sinne, die Einheit des Objekts, das wir
schaffen, und ihr Mangel auf die entsprechende Formung unserer Per-
sönlichkeit. Wo unsere Kraft nicht ein Ganzes hervorbringt, an dem
sie sich nach der ihr eigentümlichen Einheit ausleben kann, da fehlt
es an der eigentlichen Beziehung zwischen beiden, die inneren Ten-
denzen der Leistung ziehen sie zu den anderweitigen, mit ihr erst
eine Totalität bildenden Leistungen Anderer, auf den Produzenten aber
weist sie nicht zurück. Infolge solcher, bei groſser Spezialisierung ein-
tretenden Inadäquatheit zwischen der Existenzform des Arbeiters und
der seines Produktes löst sich das letztere so sehr leicht und gründ-
lich von dem ersteren ab, sein Sinn strömt ihm nicht von dessen
Seele zu, sondern von seinem Zusammenhang mit anderswoher stammen-
den Produkten, es fehlt ihm wegen seines fragmentarischen Charakters
das Wesen der Seelenhaftigkeit, das sonst dem Arbeitsprodukt, sobald
es ganz als Werk eines Menschen erscheint, so leicht angefühlt wird.

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[484/0508] seiner Kulturhöhe grade dies — auſser etwa in Bezug auf die höchsten philosophischen Bewegungen — zu vermeiden wuſste. Aber die Gröſse des Kreises macht an und für sich das Auseinandertreten des subjek- tiven und des objektiven Faktors noch nicht verständlich. Es gilt vielmehr jetzt die konkreten wirkenden Ursachen der letzteren Er- scheinung aufzusuchen. Will man diese und die Stärke ihres gegenwärtigen Auftretens in einen Begriff konzentrieren, so ist dieser: Arbeitsteilung; und zwar so- wohl nach ihrer Bedeutung innerhalb der Produktion wie der Konsumtion. In ersterer Hinsicht ist oft genug hervorgehoben worden, wie die Vollendung des Produkts auf Kosten der Entwicklung des Produzenten zustande kommt. Die Steigerung der physisch-psychischen Energien und Geschicklichkeiten, die sich bei einseitiger Thätigkeit einstellt, pflegt für die einheitliche Gesamtpersönlichkeit wenig Nutzen abzu- werfen: sie läſst diese sogar vielfach verkümmern, indem sie ihr ein für die harmonische Gestaltung des Ich unentbehrliches Kraftquantum ent- saugt, oder sie entwickelt sich in andern Fällen wenigstens wie in Abschnürung von dem Kern der Persönlichkeit, als eine Provinz mit uneingeschränkter Autonomie, deren Erträge nicht der Zentralstelle zu- flieſsen. Die Erfahrung scheint zu zeigen, daſs die innere Ganzheit des Ich sich im wesentlichen in Wechselwirkung mit der Geschlossen- heit und Abrundung der Lebensaufgabe herstellt. Wie uns die Einheit eines Objekts überhaupt so zustande kommt, daſs wir die Art, wie wir unser „Ich“ fühlen, in das Objekt hinein- tragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der Bestimmungen zu der Einheit des „Ich“ zusammenwächst — so wirkt, im psychologisch-praktischen Sinne, die Einheit des Objekts, das wir schaffen, und ihr Mangel auf die entsprechende Formung unserer Per- sönlichkeit. Wo unsere Kraft nicht ein Ganzes hervorbringt, an dem sie sich nach der ihr eigentümlichen Einheit ausleben kann, da fehlt es an der eigentlichen Beziehung zwischen beiden, die inneren Ten- denzen der Leistung ziehen sie zu den anderweitigen, mit ihr erst eine Totalität bildenden Leistungen Anderer, auf den Produzenten aber weist sie nicht zurück. Infolge solcher, bei groſser Spezialisierung ein- tretenden Inadäquatheit zwischen der Existenzform des Arbeiters und der seines Produktes löst sich das letztere so sehr leicht und gründ- lich von dem ersteren ab, sein Sinn strömt ihm nicht von dessen Seele zu, sondern von seinem Zusammenhang mit anderswoher stammen- den Produkten, es fehlt ihm wegen seines fragmentarischen Charakters das Wesen der Seelenhaftigkeit, das sonst dem Arbeitsprodukt, sobald es ganz als Werk eines Menschen erscheint, so leicht angefühlt wird.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/508>, abgerufen am 22.11.2024.