sehr kontra-ideal ist, eine irgendwie vorgezeichnete Möglichkeit, gleich- sam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, un- zulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeut- samkeit und Zusammenhang dadurch, dass sie sozusagen die Teilver- wirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes Sein, schönes wie hässliches, rechtes wie irrendes, grosses wie kleinliches erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, dass es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt ver- hält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses Inhalts von dem Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen ab- hängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken, als dass es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewusstseins ver- wirkliche, die an der grade fraglichen Stelle sozusagen darauf ge- wartet haben. Dass wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, d. h. dass sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das ist doch nur ein andrer Ausdruck für die Bewusstseinsthatsache, dass wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet keineswegs, dass es für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit giebt. Viel- mehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit das- jenige, was grade für diesen Geist "Wahrheit" ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und unabhängig von allem in diesem Geiste erfolgenden Bewusstwerden festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir be- stimmten Wissensthatsachen entnehmen, dass nun auch bestimmte andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsur- sache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede einzelne dieser das Bewusstwerden von etwas, das innerhalb des sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich an- gesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir be- weisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahr- nehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit; sondern dies sind nur Bedingungen, die das über- theoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung, oder wie man
Simmel, Philosophie des Geldes. 31
sehr kontra-ideal ist, eine irgendwie vorgezeichnete Möglichkeit, gleich- sam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, un- zulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeut- samkeit und Zusammenhang dadurch, daſs sie sozusagen die Teilver- wirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes Sein, schönes wie häſsliches, rechtes wie irrendes, groſses wie kleinliches erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, daſs es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt ver- hält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses Inhalts von dem Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen ab- hängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken, als daſs es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewuſstseins ver- wirkliche, die an der grade fraglichen Stelle sozusagen darauf ge- wartet haben. Daſs wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, d. h. daſs sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das ist doch nur ein andrer Ausdruck für die Bewuſstseinsthatsache, daſs wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet keineswegs, daſs es für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit giebt. Viel- mehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit das- jenige, was grade für diesen Geist „Wahrheit“ ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und unabhängig von allem in diesem Geiste erfolgenden Bewuſstwerden festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir be- stimmten Wissensthatsachen entnehmen, daſs nun auch bestimmte andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsur- sache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede einzelne dieser das Bewuſstwerden von etwas, das innerhalb des sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich an- gesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir be- weisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahr- nehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit; sondern dies sind nur Bedingungen, die das über- theoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung, oder wie man
Simmel, Philosophie des Geldes. 31
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sam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, un-
zulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeut-
samkeit und Zusammenhang dadurch, daſs sie sozusagen die Teilver-
wirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes
Sein, schönes wie häſsliches, rechtes wie irrendes, groſses wie kleinliches
erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, daſs
es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt ver-
hält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres
Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses
Inhalts von dem Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen ab-
hängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken,
als daſs es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewuſstseins ver-
wirkliche, die an der grade fraglichen Stelle sozusagen darauf ge-
wartet haben. Daſs wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, d. h.
daſs sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das
ist doch nur ein andrer Ausdruck für die Bewuſstseinsthatsache, daſs
wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden
Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet keineswegs, daſs es
für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit giebt. Viel-
mehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf
der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit das-
jenige, was grade für diesen Geist „Wahrheit“ ist, sachlich präformiert,
wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben
sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert
sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und
unabhängig von allem in diesem Geiste erfolgenden Bewuſstwerden
festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir be-
stimmten Wissensthatsachen entnehmen, daſs nun auch bestimmte
andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsur-
sache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede
einzelne dieser das Bewuſstwerden von etwas, das innerhalb des
sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits
gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich an-
gesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein
gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir be-
weisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen
Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahr-
nehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/505>, abgerufen am 22.11.2024.
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