Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeitstheorie, sei der Gebrauchswert; allein das bedeute, dass auf
jedes Produkt grade so viel Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeits-
zeit verwendet werden, wie im Verhältnis zu seiner Nützlichkeits-
bedeutung auf dasselbe kommen. Es wird also sozusagen ein qualitativ
einheitlicher Gesamtbedarf der Gesellschaft vorgestellt -- dem Motto
der Arbeitstheorie, Arbeit sei eben Arbeit und als solche gleichwertig,
entspricht hier das weitere, Bedürfnis sei eben Bedürfnis und als
solches gleich wichtig -- und die Nützlichkeitsgleichheit aller Arbeiten
wird nun erzielt, indem in jeder Produktionssphäre nur so viel Arbeit
geleistet wird, dass genau der von ihr umschriebene Teil jenes Be-
darfes gedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung wäre freilich keine
Arbeit weniger nützlich als die andere. Denn wenn man z. B. heute
Klavierspielen für eine weniger nützliche Arbeit als Lokomotiven-
Bauen hält, so liegt das nur daran, dass mehr Zeit darauf verwandt
wird, als dem wirklichen Bedürfnis danach entspricht. Wäre es auf
das hiermit bezeichnete Mass eingeschränkt, so wäre es genau so wertvoll
wie Lokomotiven-Bauen -- grade wie auch das letztere unnützlicher
würde, wenn man mehr Zeit darauf verwendete, d. h. mehr Lokomo-
tiven baute, als Bedarf danach ist. Mit anderen Worten: es giebt
prinzipiell gar keine Gebrauchswertunterschiede; denn wenn ein
Produkt momentan weniger Gebrauchswert hat als ein anderes (also
die auf jenes verwandte Arbeit wertloser ist, als die dem letzteren
geltende), so kann man einfach die Arbeit an seiner Kategorie, d. h.
die Quantität seiner Produktion, so lange herabsetzen, bis das darauf
gerichtete Bedürfnis ebenso stark ist, wie das auf den andern Gegen-
stand gerichtete, d. h. bis die "industrielle Reservearmee" völlig ver-
schwunden ist. Nur unter dieser Bedingung kann die Arbeit das Wert-
mass der Produkte getreu ausdrücken.

Das Wesen des Geldes ist seine unbedingte Fungibilität, die innere
Gleichartigkeit, die jedes Stück durch jedes, nach rein quantitativen
Abwägungen, ersetzbar macht. Damit es ein Arbeitsgeld gebe, muss
der Arbeit diese Fungibilität verschafft werden, und dies kann nur
auf die geschilderte Weise geschehen: dass ihr der immer gleiche
Nützlichkeitsgrad verschafft wird, und dies wiederum ist nur durch
Reduktion der Arbeit für jede Produktionsgattung auf dasjenige Mass
erzielbar, bei dem der Bedarf nach ihr genau so gross ist wie der
nach jeder andern. Dabei würde natürlich die thatsächliche Arbeits-
stunde noch immer höher oder tiefer bewertet werden können; aber
jetzt wäre man sicher, dass der höhere Wert, aus der höheren Nütz-
lichkeit des Produktes abgeleitet, ein proportional konzentrierteres
Arbeitsquantum pro Stunde anzeigt; oder umgekehrt: dass, sobald auf

Arbeitstheorie, sei der Gebrauchswert; allein das bedeute, daſs auf
jedes Produkt grade so viel Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeits-
zeit verwendet werden, wie im Verhältnis zu seiner Nützlichkeits-
bedeutung auf dasselbe kommen. Es wird also sozusagen ein qualitativ
einheitlicher Gesamtbedarf der Gesellschaft vorgestellt — dem Motto
der Arbeitstheorie, Arbeit sei eben Arbeit und als solche gleichwertig,
entspricht hier das weitere, Bedürfnis sei eben Bedürfnis und als
solches gleich wichtig — und die Nützlichkeitsgleichheit aller Arbeiten
wird nun erzielt, indem in jeder Produktionssphäre nur so viel Arbeit
geleistet wird, daſs genau der von ihr umschriebene Teil jenes Be-
darfes gedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung wäre freilich keine
Arbeit weniger nützlich als die andere. Denn wenn man z. B. heute
Klavierspielen für eine weniger nützliche Arbeit als Lokomotiven-
Bauen hält, so liegt das nur daran, daſs mehr Zeit darauf verwandt
wird, als dem wirklichen Bedürfnis danach entspricht. Wäre es auf
das hiermit bezeichnete Maſs eingeschränkt, so wäre es genau so wertvoll
wie Lokomotiven-Bauen — grade wie auch das letztere unnützlicher
würde, wenn man mehr Zeit darauf verwendete, d. h. mehr Lokomo-
tiven baute, als Bedarf danach ist. Mit anderen Worten: es giebt
prinzipiell gar keine Gebrauchswertunterschiede; denn wenn ein
Produkt momentan weniger Gebrauchswert hat als ein anderes (also
die auf jenes verwandte Arbeit wertloser ist, als die dem letzteren
geltende), so kann man einfach die Arbeit an seiner Kategorie, d. h.
die Quantität seiner Produktion, so lange herabsetzen, bis das darauf
gerichtete Bedürfnis ebenso stark ist, wie das auf den andern Gegen-
stand gerichtete, d. h. bis die „industrielle Reservearmee“ völlig ver-
schwunden ist. Nur unter dieser Bedingung kann die Arbeit das Wert-
maſs der Produkte getreu ausdrücken.

Das Wesen des Geldes ist seine unbedingte Fungibilität, die innere
Gleichartigkeit, die jedes Stück durch jedes, nach rein quantitativen
Abwägungen, ersetzbar macht. Damit es ein Arbeitsgeld gebe, muſs
der Arbeit diese Fungibilität verschafft werden, und dies kann nur
auf die geschilderte Weise geschehen: daſs ihr der immer gleiche
Nützlichkeitsgrad verschafft wird, und dies wiederum ist nur durch
Reduktion der Arbeit für jede Produktionsgattung auf dasjenige Maſs
erzielbar, bei dem der Bedarf nach ihr genau so groſs ist wie der
nach jeder andern. Dabei würde natürlich die thatsächliche Arbeits-
stunde noch immer höher oder tiefer bewertet werden können; aber
jetzt wäre man sicher, daſs der höhere Wert, aus der höheren Nütz-
lichkeit des Produktes abgeleitet, ein proportional konzentrierteres
Arbeitsquantum pro Stunde anzeigt; oder umgekehrt: daſs, sobald auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0476" n="452"/>
Arbeitstheorie, sei der Gebrauchswert; allein das bedeute, da&#x017F;s auf<lb/>
jedes Produkt grade so viel Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeits-<lb/>
zeit verwendet werden, wie im Verhältnis zu seiner Nützlichkeits-<lb/>
bedeutung auf dasselbe kommen. Es wird also sozusagen ein qualitativ<lb/>
einheitlicher Gesamtbedarf der Gesellschaft vorgestellt &#x2014; dem Motto<lb/>
der Arbeitstheorie, Arbeit sei eben Arbeit und als solche gleichwertig,<lb/>
entspricht hier das weitere, Bedürfnis sei eben Bedürfnis und als<lb/>
solches gleich wichtig &#x2014; und die Nützlichkeitsgleichheit aller Arbeiten<lb/>
wird nun erzielt, indem in jeder Produktionssphäre nur so viel Arbeit<lb/>
geleistet wird, da&#x017F;s genau der von ihr umschriebene Teil jenes Be-<lb/>
darfes gedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung wäre freilich keine<lb/>
Arbeit weniger nützlich als die andere. Denn wenn man z. B. heute<lb/>
Klavierspielen für eine weniger nützliche Arbeit als Lokomotiven-<lb/>
Bauen hält, so liegt das nur daran, da&#x017F;s mehr Zeit darauf verwandt<lb/>
wird, als dem wirklichen Bedürfnis danach entspricht. Wäre es auf<lb/>
das hiermit bezeichnete Ma&#x017F;s eingeschränkt, so wäre es genau so wertvoll<lb/>
wie Lokomotiven-Bauen &#x2014; grade wie auch das letztere unnützlicher<lb/>
würde, wenn man mehr Zeit darauf verwendete, d. h. mehr Lokomo-<lb/>
tiven baute, als Bedarf danach ist. Mit anderen Worten: es giebt<lb/><hi rendition="#g">prinzipiell</hi> gar keine Gebrauchswertunterschiede; denn wenn ein<lb/>
Produkt momentan weniger Gebrauchswert hat als ein anderes (also<lb/>
die auf jenes verwandte Arbeit wertloser ist, als die dem letzteren<lb/>
geltende), so kann man einfach die Arbeit an seiner Kategorie, d. h.<lb/>
die Quantität seiner Produktion, so lange herabsetzen, bis das darauf<lb/>
gerichtete Bedürfnis ebenso stark ist, wie das auf den andern Gegen-<lb/>
stand gerichtete, d. h. bis die &#x201E;industrielle Reservearmee&#x201C; völlig ver-<lb/>
schwunden ist. Nur unter dieser Bedingung kann die Arbeit das Wert-<lb/>
ma&#x017F;s der Produkte getreu ausdrücken.</p><lb/>
            <p>Das Wesen des Geldes ist seine unbedingte Fungibilität, die innere<lb/>
Gleichartigkeit, die jedes Stück durch jedes, nach rein quantitativen<lb/>
Abwägungen, ersetzbar macht. Damit es ein Arbeitsgeld gebe, mu&#x017F;s<lb/>
der Arbeit diese Fungibilität verschafft werden, und dies kann nur<lb/>
auf die geschilderte Weise geschehen: da&#x017F;s ihr der immer gleiche<lb/>
Nützlichkeitsgrad verschafft wird, und dies wiederum ist nur durch<lb/>
Reduktion der Arbeit für jede Produktionsgattung auf dasjenige Ma&#x017F;s<lb/>
erzielbar, bei dem der Bedarf nach ihr genau so gro&#x017F;s ist wie der<lb/>
nach jeder andern. Dabei würde natürlich die thatsächliche Arbeits-<lb/>
stunde noch immer höher oder tiefer bewertet werden können; aber<lb/>
jetzt wäre man sicher, da&#x017F;s der höhere Wert, aus der höheren Nütz-<lb/>
lichkeit des Produktes abgeleitet, ein proportional konzentrierteres<lb/>
Arbeitsquantum pro Stunde anzeigt; oder umgekehrt: da&#x017F;s, sobald auf<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[452/0476] Arbeitstheorie, sei der Gebrauchswert; allein das bedeute, daſs auf jedes Produkt grade so viel Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeits- zeit verwendet werden, wie im Verhältnis zu seiner Nützlichkeits- bedeutung auf dasselbe kommen. Es wird also sozusagen ein qualitativ einheitlicher Gesamtbedarf der Gesellschaft vorgestellt — dem Motto der Arbeitstheorie, Arbeit sei eben Arbeit und als solche gleichwertig, entspricht hier das weitere, Bedürfnis sei eben Bedürfnis und als solches gleich wichtig — und die Nützlichkeitsgleichheit aller Arbeiten wird nun erzielt, indem in jeder Produktionssphäre nur so viel Arbeit geleistet wird, daſs genau der von ihr umschriebene Teil jenes Be- darfes gedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung wäre freilich keine Arbeit weniger nützlich als die andere. Denn wenn man z. B. heute Klavierspielen für eine weniger nützliche Arbeit als Lokomotiven- Bauen hält, so liegt das nur daran, daſs mehr Zeit darauf verwandt wird, als dem wirklichen Bedürfnis danach entspricht. Wäre es auf das hiermit bezeichnete Maſs eingeschränkt, so wäre es genau so wertvoll wie Lokomotiven-Bauen — grade wie auch das letztere unnützlicher würde, wenn man mehr Zeit darauf verwendete, d. h. mehr Lokomo- tiven baute, als Bedarf danach ist. Mit anderen Worten: es giebt prinzipiell gar keine Gebrauchswertunterschiede; denn wenn ein Produkt momentan weniger Gebrauchswert hat als ein anderes (also die auf jenes verwandte Arbeit wertloser ist, als die dem letzteren geltende), so kann man einfach die Arbeit an seiner Kategorie, d. h. die Quantität seiner Produktion, so lange herabsetzen, bis das darauf gerichtete Bedürfnis ebenso stark ist, wie das auf den andern Gegen- stand gerichtete, d. h. bis die „industrielle Reservearmee“ völlig ver- schwunden ist. Nur unter dieser Bedingung kann die Arbeit das Wert- maſs der Produkte getreu ausdrücken. Das Wesen des Geldes ist seine unbedingte Fungibilität, die innere Gleichartigkeit, die jedes Stück durch jedes, nach rein quantitativen Abwägungen, ersetzbar macht. Damit es ein Arbeitsgeld gebe, muſs der Arbeit diese Fungibilität verschafft werden, und dies kann nur auf die geschilderte Weise geschehen: daſs ihr der immer gleiche Nützlichkeitsgrad verschafft wird, und dies wiederum ist nur durch Reduktion der Arbeit für jede Produktionsgattung auf dasjenige Maſs erzielbar, bei dem der Bedarf nach ihr genau so groſs ist wie der nach jeder andern. Dabei würde natürlich die thatsächliche Arbeits- stunde noch immer höher oder tiefer bewertet werden können; aber jetzt wäre man sicher, daſs der höhere Wert, aus der höheren Nütz- lichkeit des Produktes abgeleitet, ein proportional konzentrierteres Arbeitsquantum pro Stunde anzeigt; oder umgekehrt: daſs, sobald auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/476
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/476>, abgerufen am 25.11.2024.