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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Verbreitung der letzteren Hand in Hand zu gehen pflegt. Für niedere
Kulturen ist es charakteristisch, dass der unentbehrliche Unterhalt sehr
billig, die höhere Lebenshaltung dagegen sehr teuer ist, wie etwa noch
jetzt in Russland im Verhältnis zu Zentraleuropa. Die Billigkeit von
Brot, Fleisch und Wohnung lässt es einerseits zu dem Druck nicht
kommen, der den Arbeiter zur Erkämpfung höherer Löhne zwingt, die
Teuerung der Luxusartikel andrerseits rückt ihm diese ganz ausser
Sehweite und verhindert ihre Ausbreitung. Erst die Verteurung des
ursprünglich Billigen und die Verbilligung des ursprünglich Teuren
-- deren Zusammenhang ich schon oben hervorhob -- bedeutet und
bewirkt ein Aufsteigen der geistigen Bethätigungen. Unter all der
ungeheuren Inkommensurabilität im einzelnen verraten diese Propor-
tionen dennoch eine allgemeine, in jenen Einzelheiten dennoch wirk-
same Beziehung von physischer und psychischer Arbeit, die das Wert-
mass der letzteren durch die erstere auszudrücken wohl gestatten würde,
wenn ihre Wirksamkeit nicht durch die soviel stärkere der indivi-
duellen Begabungsunterschiede übertönt würde.

Endlich giebt es einen dritten Standpunkt, von dem aus die Re-
duktion alles Arbeitswertes auf den Wert der Muskelarbeit ihres
rohen und plebejischen Charakters entkleidet wird. Sehen wir näm-
lich genauer zu, woraufhin denn eigentlich die Muskelarbeit als Wert
und Aufwand gilt, so ergiebt sich, dass dies gar nicht die rein phy-
sische Kraftleistung ist. Ich meine damit nicht das schon Erwähnte,
dass diese überhaupt ohne eine gewisse intellektuelle Dirigierung ganz
nutzlos für die menschlichen Zwecke wäre, in welcher Hinsicht aber
das psychische Element ein blosser Wertbeisatz bleibt; der eigentliche
Wert könnte dabei doch immer in dem rein Physischen bestehen, nur
dass dasselbe, um die erforderliche Richtung zu bekommen, jenes Zu-
satzes bedürfte. Ich meine vielmehr, dass die physische Arbeit ihren
ganzen Ton von Wert und Kostbarkeit nur durch den Aufwand von
psychischer Energie erhält, der sie trägt. Wenn jede Arbeit, äusser-
lich angesehen, das Überwinden von Hemmnissen bedeutet, die Formung
einer Materie, die dieser Formung nicht ohne weiteres gehorcht,
sondern ihr zunächst Widerstand entgegensetzt -- so zeigt die Innen-
seite der Arbeit dieselbe Gestalt. Die Arbeit ist eben Mühe, Last,
Schwierigkeit; so dass, wo sie das nicht ist, betont zu werden pflegt,
dass sie eben keine eigentliche Arbeit ist. Sie besteht, auf ihre Ge-
fühlsbedeutung hin angesehen, in der fortwährenden Überwindung der
Impulse zu Trägheit, Genuss, Erleichterung des Lebens -- wobei es
irrelevant ist, dass diese Impulse, wenn man sich ihnen wirklich un-
unterbrochen hingäbe, das Leben gleichfalls zu einer Last machen

Verbreitung der letzteren Hand in Hand zu gehen pflegt. Für niedere
Kulturen ist es charakteristisch, daſs der unentbehrliche Unterhalt sehr
billig, die höhere Lebenshaltung dagegen sehr teuer ist, wie etwa noch
jetzt in Ruſsland im Verhältnis zu Zentraleuropa. Die Billigkeit von
Brot, Fleisch und Wohnung läſst es einerseits zu dem Druck nicht
kommen, der den Arbeiter zur Erkämpfung höherer Löhne zwingt, die
Teuerung der Luxusartikel andrerseits rückt ihm diese ganz auſser
Sehweite und verhindert ihre Ausbreitung. Erst die Verteurung des
ursprünglich Billigen und die Verbilligung des ursprünglich Teuren
— deren Zusammenhang ich schon oben hervorhob — bedeutet und
bewirkt ein Aufsteigen der geistigen Bethätigungen. Unter all der
ungeheuren Inkommensurabilität im einzelnen verraten diese Propor-
tionen dennoch eine allgemeine, in jenen Einzelheiten dennoch wirk-
same Beziehung von physischer und psychischer Arbeit, die das Wert-
maſs der letzteren durch die erstere auszudrücken wohl gestatten würde,
wenn ihre Wirksamkeit nicht durch die soviel stärkere der indivi-
duellen Begabungsunterschiede übertönt würde.

Endlich giebt es einen dritten Standpunkt, von dem aus die Re-
duktion alles Arbeitswertes auf den Wert der Muskelarbeit ihres
rohen und plebejischen Charakters entkleidet wird. Sehen wir näm-
lich genauer zu, woraufhin denn eigentlich die Muskelarbeit als Wert
und Aufwand gilt, so ergiebt sich, daſs dies gar nicht die rein phy-
sische Kraftleistung ist. Ich meine damit nicht das schon Erwähnte,
daſs diese überhaupt ohne eine gewisse intellektuelle Dirigierung ganz
nutzlos für die menschlichen Zwecke wäre, in welcher Hinsicht aber
das psychische Element ein bloſser Wertbeisatz bleibt; der eigentliche
Wert könnte dabei doch immer in dem rein Physischen bestehen, nur
daſs dasselbe, um die erforderliche Richtung zu bekommen, jenes Zu-
satzes bedürfte. Ich meine vielmehr, daſs die physische Arbeit ihren
ganzen Ton von Wert und Kostbarkeit nur durch den Aufwand von
psychischer Energie erhält, der sie trägt. Wenn jede Arbeit, äuſser-
lich angesehen, das Überwinden von Hemmnissen bedeutet, die Formung
einer Materie, die dieser Formung nicht ohne weiteres gehorcht,
sondern ihr zunächst Widerstand entgegensetzt — so zeigt die Innen-
seite der Arbeit dieselbe Gestalt. Die Arbeit ist eben Mühe, Last,
Schwierigkeit; so daſs, wo sie das nicht ist, betont zu werden pflegt,
daſs sie eben keine eigentliche Arbeit ist. Sie besteht, auf ihre Ge-
fühlsbedeutung hin angesehen, in der fortwährenden Überwindung der
Impulse zu Trägheit, Genuſs, Erleichterung des Lebens — wobei es
irrelevant ist, daſs diese Impulse, wenn man sich ihnen wirklich un-
unterbrochen hingäbe, das Leben gleichfalls zu einer Last machen

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[447/0471] Verbreitung der letzteren Hand in Hand zu gehen pflegt. Für niedere Kulturen ist es charakteristisch, daſs der unentbehrliche Unterhalt sehr billig, die höhere Lebenshaltung dagegen sehr teuer ist, wie etwa noch jetzt in Ruſsland im Verhältnis zu Zentraleuropa. Die Billigkeit von Brot, Fleisch und Wohnung läſst es einerseits zu dem Druck nicht kommen, der den Arbeiter zur Erkämpfung höherer Löhne zwingt, die Teuerung der Luxusartikel andrerseits rückt ihm diese ganz auſser Sehweite und verhindert ihre Ausbreitung. Erst die Verteurung des ursprünglich Billigen und die Verbilligung des ursprünglich Teuren — deren Zusammenhang ich schon oben hervorhob — bedeutet und bewirkt ein Aufsteigen der geistigen Bethätigungen. Unter all der ungeheuren Inkommensurabilität im einzelnen verraten diese Propor- tionen dennoch eine allgemeine, in jenen Einzelheiten dennoch wirk- same Beziehung von physischer und psychischer Arbeit, die das Wert- maſs der letzteren durch die erstere auszudrücken wohl gestatten würde, wenn ihre Wirksamkeit nicht durch die soviel stärkere der indivi- duellen Begabungsunterschiede übertönt würde. Endlich giebt es einen dritten Standpunkt, von dem aus die Re- duktion alles Arbeitswertes auf den Wert der Muskelarbeit ihres rohen und plebejischen Charakters entkleidet wird. Sehen wir näm- lich genauer zu, woraufhin denn eigentlich die Muskelarbeit als Wert und Aufwand gilt, so ergiebt sich, daſs dies gar nicht die rein phy- sische Kraftleistung ist. Ich meine damit nicht das schon Erwähnte, daſs diese überhaupt ohne eine gewisse intellektuelle Dirigierung ganz nutzlos für die menschlichen Zwecke wäre, in welcher Hinsicht aber das psychische Element ein bloſser Wertbeisatz bleibt; der eigentliche Wert könnte dabei doch immer in dem rein Physischen bestehen, nur daſs dasselbe, um die erforderliche Richtung zu bekommen, jenes Zu- satzes bedürfte. Ich meine vielmehr, daſs die physische Arbeit ihren ganzen Ton von Wert und Kostbarkeit nur durch den Aufwand von psychischer Energie erhält, der sie trägt. Wenn jede Arbeit, äuſser- lich angesehen, das Überwinden von Hemmnissen bedeutet, die Formung einer Materie, die dieser Formung nicht ohne weiteres gehorcht, sondern ihr zunächst Widerstand entgegensetzt — so zeigt die Innen- seite der Arbeit dieselbe Gestalt. Die Arbeit ist eben Mühe, Last, Schwierigkeit; so daſs, wo sie das nicht ist, betont zu werden pflegt, daſs sie eben keine eigentliche Arbeit ist. Sie besteht, auf ihre Ge- fühlsbedeutung hin angesehen, in der fortwährenden Überwindung der Impulse zu Trägheit, Genuſs, Erleichterung des Lebens — wobei es irrelevant ist, daſs diese Impulse, wenn man sich ihnen wirklich un- unterbrochen hingäbe, das Leben gleichfalls zu einer Last machen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/471>, abgerufen am 22.11.2024.