ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Geniessen ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spe- zifische ihrer gerade in dem Bewusstsein, die Sache zu würdigen und zu geniessen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinn- lichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann wird prinzipiell mit grosser Sicherheit zwischen der ästhetischen und der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen giebt sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, dass diese Projektion eine vollkommene ist, d. h. dass der Gefühlsinhalt sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Sub- jekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch-psycho- logisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen ge- kommen sein, da doch der primitive Genuss ihrer, von dem jeder höhere ausgegangen sein muss, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare Geniessbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht giebt uns eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt irgend welcher Art uns grosse Freude oder Förderung bereitet hat, so haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl, und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Geniessen desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch be- stimmt ist, dass wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm ver- band, tritt jetzt das blosse Anschauen seiner als die Ursache der an- genehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so dass sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgend einem Sinne konsumierbar ist. Kurz, während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein blosses Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reser- vierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Um- setzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst
ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Genieſsen ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spe- zifische ihrer gerade in dem Bewuſstsein, die Sache zu würdigen und zu genieſsen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinn- lichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann wird prinzipiell mit groſser Sicherheit zwischen der ästhetischen und der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen giebt sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, daſs diese Projektion eine vollkommene ist, d. h. daſs der Gefühlsinhalt sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Sub- jekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch-psycho- logisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen ge- kommen sein, da doch der primitive Genuſs ihrer, von dem jeder höhere ausgegangen sein muſs, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare Genieſsbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht giebt uns eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt irgend welcher Art uns groſse Freude oder Förderung bereitet hat, so haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl, und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Genieſsen desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch be- stimmt ist, daſs wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm ver- band, tritt jetzt das bloſse Anschauen seiner als die Ursache der an- genehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so daſs sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgend einem Sinne konsumierbar ist. Kurz, während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein bloſses Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reser- vierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Um- setzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst
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ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Genieſsen
ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spe-
zifische ihrer gerade in dem Bewuſstsein, die Sache zu würdigen und
zu genieſsen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinn-
lichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann
wird prinzipiell mit groſser Sicherheit zwischen der ästhetischen und
der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er
vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten
seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der
einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen giebt
sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder
andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion
des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, daſs
diese Projektion eine vollkommene ist, d. h. daſs der Gefühlsinhalt
sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Sub-
jekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als
etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch-psycho-
logisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen ge-
kommen sein, da doch der primitive Genuſs ihrer, von dem jeder höhere
ausgegangen sein muſs, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare
Genieſsbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht giebt uns
eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt
irgend welcher Art uns groſse Freude oder Förderung bereitet hat, so
haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl,
und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Genieſsen
desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude
trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch be-
stimmt ist, daſs wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen;
an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm ver-
band, tritt jetzt das bloſse Anschauen seiner als die Ursache der an-
genehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt,
so daſs sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das
knüpft, was von ihm in irgend einem Sinne konsumierbar ist. Kurz,
während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen
oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein bloſses
Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reser-
vierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin
scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert
zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Um-
setzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die
Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/47>, abgerufen am 24.11.2024.
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