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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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haben. Ich will nun von vornherein gestehen: ich halte es nicht für
schlechthin ausgeschlossen, dass einmal das mechanische Äquivalent
auch der psychischen Thätigkeit gefunden werde. Freilich, die Be-
deutung
ihres Inhaltes, seine sachlich bestimmte Stelle in den
logischen, ethischen, ästhetischen Zusammenhängen steht absolut jen-
seits aller physischen Bewegungen, ungefähr wie die Bedeutung eines
Wortes jenseits seines physiologisch-akustischen Sprachlautes steht.
Aber die Kraft, die der Organismus für das Denken dieses Inhaltes
als Gehirnvorgang aufwenden muss, ist prinzipiell ebenso berechenbar
wie die für eine Muskelleistung erforderliche. Sollte dies eines Tages
gelingen, so könnte man allerdings das Kraftmass einer bestimmten
Muskelleistung zur Masseinheit machen, nach der auch der psychische
Kraftverbrauch bestimmt wird, und die psychische Arbeit wäre nach
dem, was daran wirklich Arbeit ist, auf gleichem Fusse mit der
Muskelarbeit zu behandeln, ihre Produkte würden in eine bloss quantita-
tive Wertabwägung mit denen der letzteren eintreten. Dies ist natür-
lich eine wissenschaftliche Utopie, die nur darthun kann, dass die
Reduktion aller wirtschaftlich anrechenbaren Arbeit auf Muskelarbeit
selbst für einen keineswegs dogmatisch-materialistischen Standpunkt
nicht den prinzipiellen Widersinn zu enthalten braucht, mit dem der
Dualismus von Geistigkeit und Körperlichkeit diesen Versuch zu
schlagen schien.

In etwas konkreterer Weise scheint sich die folgende Vorstellung
dem gleichen Ziele zu nähern. Ich gehe davon aus, dass unsere Unter-
haltsmittel durch physische Arbeit produziert werden. Zwar ist keine
Arbeit rein physisch, jede Handarbeit wird erst durch das irgendwie
mitwirkende Bewusstsein zu einer zweckmässigen Leistung, so dass auch
diejenige, die der höheren geistigen Arbeit ihre Bedingungen bereitet,
selbst schon einen Beisatz seelischer Art enthält. Allein diese
psychische Leistung des Handarbeiters wird doch ihrerseits erst wieder
durch Unterhaltsmittel ermöglicht; und zwar werden, je niedriger der
Arbeiter steht, d. h. je geringfügiger das seelische Element seiner
Arbeit im Verhältnis zu der Muskelleistung ist, auch seine Unterhalts-
mittel (im weitesten Sinne) durch Arbeit von wesentlich physischem
Charakter hergestellt werden -- mit einer der modernsten Zeit an-
gehörigen und im letzten Kapitel zu behandelnden Ausnahme. Da
sich dies Verhältnis nun an je zwei Arbeiterkategorien wiederholt, so
ergiebt dies eine unendliche Reihe, aus welcher die psychische Arbeit
zwar nie verschwinden kann, in der sie aber immer weiter zurück-
geschoben wird. So ruhen die Unterhaltsmittel auch der höchsten
Arbeiterkategorien auf einer Reihe von Arbeiten, in denen der

haben. Ich will nun von vornherein gestehen: ich halte es nicht für
schlechthin ausgeschlossen, daſs einmal das mechanische Äquivalent
auch der psychischen Thätigkeit gefunden werde. Freilich, die Be-
deutung
ihres Inhaltes, seine sachlich bestimmte Stelle in den
logischen, ethischen, ästhetischen Zusammenhängen steht absolut jen-
seits aller physischen Bewegungen, ungefähr wie die Bedeutung eines
Wortes jenseits seines physiologisch-akustischen Sprachlautes steht.
Aber die Kraft, die der Organismus für das Denken dieses Inhaltes
als Gehirnvorgang aufwenden muſs, ist prinzipiell ebenso berechenbar
wie die für eine Muskelleistung erforderliche. Sollte dies eines Tages
gelingen, so könnte man allerdings das Kraftmaſs einer bestimmten
Muskelleistung zur Maſseinheit machen, nach der auch der psychische
Kraftverbrauch bestimmt wird, und die psychische Arbeit wäre nach
dem, was daran wirklich Arbeit ist, auf gleichem Fuſse mit der
Muskelarbeit zu behandeln, ihre Produkte würden in eine bloſs quantita-
tive Wertabwägung mit denen der letzteren eintreten. Dies ist natür-
lich eine wissenschaftliche Utopie, die nur darthun kann, daſs die
Reduktion aller wirtschaftlich anrechenbaren Arbeit auf Muskelarbeit
selbst für einen keineswegs dogmatisch-materialistischen Standpunkt
nicht den prinzipiellen Widersinn zu enthalten braucht, mit dem der
Dualismus von Geistigkeit und Körperlichkeit diesen Versuch zu
schlagen schien.

In etwas konkreterer Weise scheint sich die folgende Vorstellung
dem gleichen Ziele zu nähern. Ich gehe davon aus, daſs unsere Unter-
haltsmittel durch physische Arbeit produziert werden. Zwar ist keine
Arbeit rein physisch, jede Handarbeit wird erst durch das irgendwie
mitwirkende Bewuſstsein zu einer zweckmäſsigen Leistung, so daſs auch
diejenige, die der höheren geistigen Arbeit ihre Bedingungen bereitet,
selbst schon einen Beisatz seelischer Art enthält. Allein diese
psychische Leistung des Handarbeiters wird doch ihrerseits erst wieder
durch Unterhaltsmittel ermöglicht; und zwar werden, je niedriger der
Arbeiter steht, d. h. je geringfügiger das seelische Element seiner
Arbeit im Verhältnis zu der Muskelleistung ist, auch seine Unterhalts-
mittel (im weitesten Sinne) durch Arbeit von wesentlich physischem
Charakter hergestellt werden — mit einer der modernsten Zeit an-
gehörigen und im letzten Kapitel zu behandelnden Ausnahme. Da
sich dies Verhältnis nun an je zwei Arbeiterkategorien wiederholt, so
ergiebt dies eine unendliche Reihe, aus welcher die psychische Arbeit
zwar nie verschwinden kann, in der sie aber immer weiter zurück-
geschoben wird. So ruhen die Unterhaltsmittel auch der höchsten
Arbeiterkategorien auf einer Reihe von Arbeiten, in denen der

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[442/0466] haben. Ich will nun von vornherein gestehen: ich halte es nicht für schlechthin ausgeschlossen, daſs einmal das mechanische Äquivalent auch der psychischen Thätigkeit gefunden werde. Freilich, die Be- deutung ihres Inhaltes, seine sachlich bestimmte Stelle in den logischen, ethischen, ästhetischen Zusammenhängen steht absolut jen- seits aller physischen Bewegungen, ungefähr wie die Bedeutung eines Wortes jenseits seines physiologisch-akustischen Sprachlautes steht. Aber die Kraft, die der Organismus für das Denken dieses Inhaltes als Gehirnvorgang aufwenden muſs, ist prinzipiell ebenso berechenbar wie die für eine Muskelleistung erforderliche. Sollte dies eines Tages gelingen, so könnte man allerdings das Kraftmaſs einer bestimmten Muskelleistung zur Maſseinheit machen, nach der auch der psychische Kraftverbrauch bestimmt wird, und die psychische Arbeit wäre nach dem, was daran wirklich Arbeit ist, auf gleichem Fuſse mit der Muskelarbeit zu behandeln, ihre Produkte würden in eine bloſs quantita- tive Wertabwägung mit denen der letzteren eintreten. Dies ist natür- lich eine wissenschaftliche Utopie, die nur darthun kann, daſs die Reduktion aller wirtschaftlich anrechenbaren Arbeit auf Muskelarbeit selbst für einen keineswegs dogmatisch-materialistischen Standpunkt nicht den prinzipiellen Widersinn zu enthalten braucht, mit dem der Dualismus von Geistigkeit und Körperlichkeit diesen Versuch zu schlagen schien. In etwas konkreterer Weise scheint sich die folgende Vorstellung dem gleichen Ziele zu nähern. Ich gehe davon aus, daſs unsere Unter- haltsmittel durch physische Arbeit produziert werden. Zwar ist keine Arbeit rein physisch, jede Handarbeit wird erst durch das irgendwie mitwirkende Bewuſstsein zu einer zweckmäſsigen Leistung, so daſs auch diejenige, die der höheren geistigen Arbeit ihre Bedingungen bereitet, selbst schon einen Beisatz seelischer Art enthält. Allein diese psychische Leistung des Handarbeiters wird doch ihrerseits erst wieder durch Unterhaltsmittel ermöglicht; und zwar werden, je niedriger der Arbeiter steht, d. h. je geringfügiger das seelische Element seiner Arbeit im Verhältnis zu der Muskelleistung ist, auch seine Unterhalts- mittel (im weitesten Sinne) durch Arbeit von wesentlich physischem Charakter hergestellt werden — mit einer der modernsten Zeit an- gehörigen und im letzten Kapitel zu behandelnden Ausnahme. Da sich dies Verhältnis nun an je zwei Arbeiterkategorien wiederholt, so ergiebt dies eine unendliche Reihe, aus welcher die psychische Arbeit zwar nie verschwinden kann, in der sie aber immer weiter zurück- geschoben wird. So ruhen die Unterhaltsmittel auch der höchsten Arbeiterkategorien auf einer Reihe von Arbeiten, in denen der

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/466>, abgerufen am 22.11.2024.