ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander nähern, desto energischer wird das letztere die noch bestehenden Differenzpunkte betonen, desto höher sie werten. So entsteht der leidenschaftliche und aggressive Klassenhass nicht dann, wenn die Klassen noch durch un- überbrückbare Klüfte geschieden sind, sondern erst in dem Augenblick, wo die niedere Klasse sich schon etwas erhoben hat, die höhere einen Teil ihres Prestige verloren hat und ein Nivellement ihrer diskutiert werden kann. So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozess in den wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich von dem geldwirtschaftenden Kaufmann abzuscheiden. Er trieb Wirt- schaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf, er gab doch nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das that, so war es doch schliesslich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der Kauf- mann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst des Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus -- wenngleich unter dem wesentlichen Mitwirken anderer -- dem spartanischen Voll- bürger zwar gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht es selbst zu bebauen. Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war im Interesse der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das Geldgeschäft demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der sozial Höherstehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger der sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander "gemein". Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als de- klassierend, während der Bauer, wenn er statt seiner Naturalleistungen dem Herrn in Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.
Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte als das Unvergleichliche des Geldes, dass es allen Entgegengesetztheiten historisch-psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äusserster Ent- schiedenheit ausbildet. In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint das Geld, die verkörperte Relativität der Dinge, gleichsam als das Ab- solute, das alles Relative mit seinen Gegensätzen umschliesst und trägt.
ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander nähern, desto energischer wird das letztere die noch bestehenden Differenzpunkte betonen, desto höher sie werten. So entsteht der leidenschaftliche und aggressive Klassenhaſs nicht dann, wenn die Klassen noch durch un- überbrückbare Klüfte geschieden sind, sondern erst in dem Augenblick, wo die niedere Klasse sich schon etwas erhoben hat, die höhere einen Teil ihres Prestige verloren hat und ein Nivellement ihrer diskutiert werden kann. So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozeſs in den wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich von dem geldwirtschaftenden Kaufmann abzuscheiden. Er trieb Wirt- schaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf, er gab doch nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das that, so war es doch schlieſslich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der Kauf- mann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst des Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus — wenngleich unter dem wesentlichen Mitwirken anderer — dem spartanischen Voll- bürger zwar gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht es selbst zu bebauen. Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war im Interesse der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das Geldgeschäft demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der sozial Höherstehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger der sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander „gemein“. Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als de- klassierend, während der Bauer, wenn er statt seiner Naturalleistungen dem Herrn in Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.
Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte als das Unvergleichliche des Geldes, daſs es allen Entgegengesetztheiten historisch-psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äuſserster Ent- schiedenheit ausbildet. In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint das Geld, die verkörperte Relativität der Dinge, gleichsam als das Ab- solute, das alles Relative mit seinen Gegensätzen umschlieſst und trägt.
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ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander nähern, desto
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betonen, desto höher sie werten. So entsteht der leidenschaftliche und
aggressive Klassenhaſs nicht dann, wenn die Klassen noch durch un-
überbrückbare Klüfte geschieden sind, sondern erst in dem Augenblick, wo
die niedere Klasse sich schon etwas erhoben hat, die höhere einen Teil
ihres Prestige verloren hat und ein Nivellement ihrer diskutiert werden
kann. So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozeſs in den
wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich
von dem geldwirtschaftenden Kaufmann abzuscheiden. Er trieb Wirt-
schaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf, er gab doch
nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das that, so war es doch
schlieſslich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der Kauf-
mann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst
des Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus — wenngleich
unter dem wesentlichen Mitwirken anderer — dem spartanischen Voll-
bürger zwar gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht es selbst zu
bebauen. Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war
im Interesse der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das
Geldgeschäft demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der
sozial Höherstehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger
der sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander
„gemein“. Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als de-
klassierend, während der Bauer, wenn er statt seiner Naturalleistungen
dem Herrn in Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.
Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte
als das Unvergleichliche des Geldes, daſs es allen Entgegengesetztheiten
historisch-psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen
Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äuſserster Ent-
schiedenheit ausbildet. In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/454>, abgerufen am 22.11.2024.
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