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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben
(wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann aller-
dings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem
Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird. Und
zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung, nicht
einmal auf ökonomische Leistungen irgend einer anderen Art. Wenn
jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so kann
er grade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen
produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl
aber kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und
zu Gelde gemacht werden. Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und
kann in dieser, wenn auch vielleicht in keiner einzigen anderen Be-
ziehung für jenes eintreten. Die despotische Verfassung, die die Un-
bedingtheit des Zwanges den Unterthanen gegenüber erstrebt, wird
deshalb am zweckmässigsten von ihnen gleich von vornherein nur Geld-
leistungen verlangen. Der Geldforderung gegenüber giebt es über-
haupt denjenigen Widerstand nicht, den die Unmöglichkeit, ander-
weitige Leistungen absolut zu erzwingen, gelegentlich des Anspruchs
auf solche erzeugen mag. Es ist deshalb von innerlicher und äusser-
licher Nützlichkeit, ein Quantum von Forderungen, denen gegenüber
jegliche Art von Widerstand zu befürchten ist, auf blosses Geld zu
reduzieren. Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, wes-
halb wir im allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Be-
günstigung der Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen
Despotien z. B. hatten die durchgängige Tendenz, die Domänen zu
veräussern), und weshalb das Merkantilsystem mit seiner gesteigerten
Wertung des Geldes in der Zeit der unumschränktesten Fürstenmacht
ins Leben gerufen wurde. So ist von allen Forderungen die auf Geld
gerichtete diejenige, deren Erfüllung am wenigsten in den guten Willen
des Verpflichteten gestellt ist. Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die
allen anderen gegenüber besteht und deren Beweis und Bewährung
nur davon abhängt, was man dafür auf sich zu nehmen willens ist.
Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr hervor-
zuhebende Thatsache, dass die Umwandlung der Naturalleistung in
Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt. Denn
der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forde-
rung wählen, welche dem Unterthanen möglichste Freiheit in seinen
rein individuellen Beziehungen
lässt. Die furchtbaren
Tyrannien der italienischen Renaissance sind doch zugleich die Pflanz-
stätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums
in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten --

Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben
(wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann aller-
dings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem
Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird. Und
zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung, nicht
einmal auf ökonomische Leistungen irgend einer anderen Art. Wenn
jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so kann
er grade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen
produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl
aber kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und
zu Gelde gemacht werden. Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und
kann in dieser, wenn auch vielleicht in keiner einzigen anderen Be-
ziehung für jenes eintreten. Die despotische Verfassung, die die Un-
bedingtheit des Zwanges den Unterthanen gegenüber erstrebt, wird
deshalb am zweckmäſsigsten von ihnen gleich von vornherein nur Geld-
leistungen verlangen. Der Geldforderung gegenüber giebt es über-
haupt denjenigen Widerstand nicht, den die Unmöglichkeit, ander-
weitige Leistungen absolut zu erzwingen, gelegentlich des Anspruchs
auf solche erzeugen mag. Es ist deshalb von innerlicher und äuſser-
licher Nützlichkeit, ein Quantum von Forderungen, denen gegenüber
jegliche Art von Widerstand zu befürchten ist, auf bloſses Geld zu
reduzieren. Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, wes-
halb wir im allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Be-
günstigung der Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen
Despotien z. B. hatten die durchgängige Tendenz, die Domänen zu
veräuſsern), und weshalb das Merkantilsystem mit seiner gesteigerten
Wertung des Geldes in der Zeit der unumschränktesten Fürstenmacht
ins Leben gerufen wurde. So ist von allen Forderungen die auf Geld
gerichtete diejenige, deren Erfüllung am wenigsten in den guten Willen
des Verpflichteten gestellt ist. Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die
allen anderen gegenüber besteht und deren Beweis und Bewährung
nur davon abhängt, was man dafür auf sich zu nehmen willens ist.
Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr hervor-
zuhebende Thatsache, daſs die Umwandlung der Naturalleistung in
Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt. Denn
der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forde-
rung wählen, welche dem Unterthanen möglichste Freiheit in seinen
rein individuellen Beziehungen
läſst. Die furchtbaren
Tyrannien der italienischen Renaissance sind doch zugleich die Pflanz-
stätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums
in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten —

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[418/0442] Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben (wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann aller- dings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird. Und zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung, nicht einmal auf ökonomische Leistungen irgend einer anderen Art. Wenn jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so kann er grade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl aber kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und zu Gelde gemacht werden. Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und kann in dieser, wenn auch vielleicht in keiner einzigen anderen Be- ziehung für jenes eintreten. Die despotische Verfassung, die die Un- bedingtheit des Zwanges den Unterthanen gegenüber erstrebt, wird deshalb am zweckmäſsigsten von ihnen gleich von vornherein nur Geld- leistungen verlangen. Der Geldforderung gegenüber giebt es über- haupt denjenigen Widerstand nicht, den die Unmöglichkeit, ander- weitige Leistungen absolut zu erzwingen, gelegentlich des Anspruchs auf solche erzeugen mag. Es ist deshalb von innerlicher und äuſser- licher Nützlichkeit, ein Quantum von Forderungen, denen gegenüber jegliche Art von Widerstand zu befürchten ist, auf bloſses Geld zu reduzieren. Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, wes- halb wir im allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Be- günstigung der Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen Despotien z. B. hatten die durchgängige Tendenz, die Domänen zu veräuſsern), und weshalb das Merkantilsystem mit seiner gesteigerten Wertung des Geldes in der Zeit der unumschränktesten Fürstenmacht ins Leben gerufen wurde. So ist von allen Forderungen die auf Geld gerichtete diejenige, deren Erfüllung am wenigsten in den guten Willen des Verpflichteten gestellt ist. Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die allen anderen gegenüber besteht und deren Beweis und Bewährung nur davon abhängt, was man dafür auf sich zu nehmen willens ist. Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr hervor- zuhebende Thatsache, daſs die Umwandlung der Naturalleistung in Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt. Denn der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forde- rung wählen, welche dem Unterthanen möglichste Freiheit in seinen rein individuellen Beziehungen läſst. Die furchtbaren Tyrannien der italienischen Renaissance sind doch zugleich die Pflanz- stätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten —

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/442>, abgerufen am 22.11.2024.