ausstrahlende Versuchung sozusagen nicht als Naturtrieb auftritt und nicht die Kraft eines solchen als Entschuldigung des Unterliegens mit sich trägt. Deshalb erscheint, wie der Diebstahl von Geld, so die Be- stechlichkeit durch Geld gegenüber der durch einen momentan zu geniessenden Wert, als das Zeichen der raffinierteren und gründlicher verdorbenen sittlichen Beschaffenheit, so dass die Heimlichkeit, die das Geldwesen ermöglicht, als eine Art von Schutzvorrichtung für das Subjekt wirkt. Indem sie immerhin einen Tribut an das Scham- gefühl darstellt, gehört sie zu einem verbreiteten Typus: dass ein unsittliches Verhalten sich einen Beisatz sittlicher Elemente angliedert, nicht um sein Unsittlichkeitsquantum herabzusetzen, sondern grade um es realisieren zu können. Freilich zeigt sich auch hier, wie die Ver- hältnisse des Geldes von einer gewissen Quantitätsgrenze an ihren qualitativen Charakter wechseln. Es giebt gigantische Bestechungen, die, jene Schutzvorrichtung ebenso zweckmässig abändernd, auf die Heimlichkeit in demselben Masse zu gunsten eines gleichsam offiziellen Charakters verzichten, in dem sie sie eben ihres Umfanges wegen tech- nisch gar nicht aufrecht erhalten könnten. In den zwanzig Jahren zwischen der Zuerteilung der legislativen und administrativen Selb- ständigkeit an Irland und der Union mit England war den englischen Ministern das eigentlich unlösbare Problem gestellt, zwei verschiedene Staaten mit einer einheitlichen Politik zu leiten und zwei selbständige Legislaturen fortwährend in Harmonie zu erhalten. Sie fanden die Lösung in fortwährender Bestechung: alle die mannigfaltigen Ten- denzen des irischen Parlaments wurden einfach dadurch, dass man die Stimmen kaufte, in die erwünschte Einheit gebunden. So konnte von Robert Walpole einer seiner wärmsten Verehrer sagen: "Er war selbst völlig unbestechlich; aber um seine politischen Absichten, weise und gerecht wie sie waren, zu erreichen, war er bereit ein ganzes Unter- haus zu bestechen, und wäre nicht davor zurückgeschreckt, ein ganzes Volk zu bestechen." Ja, wie schon das reinste, seiner Sittlichkeit sich bewusste Gewissen des Bestechenden sogar mit der leidenschaftlichsten Verdammung der Bestechlichkeit zusammenbestehen kann, lehrt die Äusserung eines Florentiner Bischofs auf dem Höhepunkt des mittel- alterlichen Kampfes gegen die Simonie: er möchte den päpstlichen Stuhl erkaufen, und wenn er ihn tausend Pfund kosten sollte, nur um die verfluchten Simonisten austreiben zu können! Und wie es grade der Riesenmassstab von Geldsummen ist, der der Bestechung -- ähn- lich wie der Prostitution -- das Brandmal der Schamlosigkeit und des- halb das der Heimlichkeit erspart, findet vielleicht sein schlagendstes Beispiel daran: das grösste Finanzgeschäft der beginnenden Neuzeit
ausstrahlende Versuchung sozusagen nicht als Naturtrieb auftritt und nicht die Kraft eines solchen als Entschuldigung des Unterliegens mit sich trägt. Deshalb erscheint, wie der Diebstahl von Geld, so die Be- stechlichkeit durch Geld gegenüber der durch einen momentan zu genieſsenden Wert, als das Zeichen der raffinierteren und gründlicher verdorbenen sittlichen Beschaffenheit, so daſs die Heimlichkeit, die das Geldwesen ermöglicht, als eine Art von Schutzvorrichtung für das Subjekt wirkt. Indem sie immerhin einen Tribut an das Scham- gefühl darstellt, gehört sie zu einem verbreiteten Typus: daſs ein unsittliches Verhalten sich einen Beisatz sittlicher Elemente angliedert, nicht um sein Unsittlichkeitsquantum herabzusetzen, sondern grade um es realisieren zu können. Freilich zeigt sich auch hier, wie die Ver- hältnisse des Geldes von einer gewissen Quantitätsgrenze an ihren qualitativen Charakter wechseln. Es giebt gigantische Bestechungen, die, jene Schutzvorrichtung ebenso zweckmäſsig abändernd, auf die Heimlichkeit in demselben Maſse zu gunsten eines gleichsam offiziellen Charakters verzichten, in dem sie sie eben ihres Umfanges wegen tech- nisch gar nicht aufrecht erhalten könnten. In den zwanzig Jahren zwischen der Zuerteilung der legislativen und administrativen Selb- ständigkeit an Irland und der Union mit England war den englischen Ministern das eigentlich unlösbare Problem gestellt, zwei verschiedene Staaten mit einer einheitlichen Politik zu leiten und zwei selbständige Legislaturen fortwährend in Harmonie zu erhalten. Sie fanden die Lösung in fortwährender Bestechung: alle die mannigfaltigen Ten- denzen des irischen Parlaments wurden einfach dadurch, daſs man die Stimmen kaufte, in die erwünschte Einheit gebunden. So konnte von Robert Walpole einer seiner wärmsten Verehrer sagen: „Er war selbst völlig unbestechlich; aber um seine politischen Absichten, weise und gerecht wie sie waren, zu erreichen, war er bereit ein ganzes Unter- haus zu bestechen, und wäre nicht davor zurückgeschreckt, ein ganzes Volk zu bestechen.“ Ja, wie schon das reinste, seiner Sittlichkeit sich bewuſste Gewissen des Bestechenden sogar mit der leidenschaftlichsten Verdammung der Bestechlichkeit zusammenbestehen kann, lehrt die Äuſserung eines Florentiner Bischofs auf dem Höhepunkt des mittel- alterlichen Kampfes gegen die Simonie: er möchte den päpstlichen Stuhl erkaufen, und wenn er ihn tausend Pfund kosten sollte, nur um die verfluchten Simonisten austreiben zu können! Und wie es grade der Riesenmaſsstab von Geldsummen ist, der der Bestechung — ähn- lich wie der Prostitution — das Brandmal der Schamlosigkeit und des- halb das der Heimlichkeit erspart, findet vielleicht sein schlagendstes Beispiel daran: das gröſste Finanzgeschäft der beginnenden Neuzeit
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[405/0429]
ausstrahlende Versuchung sozusagen nicht als Naturtrieb auftritt und
nicht die Kraft eines solchen als Entschuldigung des Unterliegens mit
sich trägt. Deshalb erscheint, wie der Diebstahl von Geld, so die Be-
stechlichkeit durch Geld gegenüber der durch einen momentan zu
genieſsenden Wert, als das Zeichen der raffinierteren und gründlicher
verdorbenen sittlichen Beschaffenheit, so daſs die Heimlichkeit, die
das Geldwesen ermöglicht, als eine Art von Schutzvorrichtung für
das Subjekt wirkt. Indem sie immerhin einen Tribut an das Scham-
gefühl darstellt, gehört sie zu einem verbreiteten Typus: daſs ein
unsittliches Verhalten sich einen Beisatz sittlicher Elemente angliedert,
nicht um sein Unsittlichkeitsquantum herabzusetzen, sondern grade um
es realisieren zu können. Freilich zeigt sich auch hier, wie die Ver-
hältnisse des Geldes von einer gewissen Quantitätsgrenze an ihren
qualitativen Charakter wechseln. Es giebt gigantische Bestechungen,
die, jene Schutzvorrichtung ebenso zweckmäſsig abändernd, auf die
Heimlichkeit in demselben Maſse zu gunsten eines gleichsam offiziellen
Charakters verzichten, in dem sie sie eben ihres Umfanges wegen tech-
nisch gar nicht aufrecht erhalten könnten. In den zwanzig Jahren
zwischen der Zuerteilung der legislativen und administrativen Selb-
ständigkeit an Irland und der Union mit England war den englischen
Ministern das eigentlich unlösbare Problem gestellt, zwei verschiedene
Staaten mit einer einheitlichen Politik zu leiten und zwei selbständige
Legislaturen fortwährend in Harmonie zu erhalten. Sie fanden die
Lösung in fortwährender Bestechung: alle die mannigfaltigen Ten-
denzen des irischen Parlaments wurden einfach dadurch, daſs man die
Stimmen kaufte, in die erwünschte Einheit gebunden. So konnte von
Robert Walpole einer seiner wärmsten Verehrer sagen: „Er war selbst
völlig unbestechlich; aber um seine politischen Absichten, weise und
gerecht wie sie waren, zu erreichen, war er bereit ein ganzes Unter-
haus zu bestechen, und wäre nicht davor zurückgeschreckt, ein ganzes
Volk zu bestechen.“ Ja, wie schon das reinste, seiner Sittlichkeit sich
bewuſste Gewissen des Bestechenden sogar mit der leidenschaftlichsten
Verdammung der Bestechlichkeit zusammenbestehen kann, lehrt die
Äuſserung eines Florentiner Bischofs auf dem Höhepunkt des mittel-
alterlichen Kampfes gegen die Simonie: er möchte den päpstlichen
Stuhl erkaufen, und wenn er ihn tausend Pfund kosten sollte, nur um
die verfluchten Simonisten austreiben zu können! Und wie es grade
der Riesenmaſsstab von Geldsummen ist, der der Bestechung — ähn-
lich wie der Prostitution — das Brandmal der Schamlosigkeit und des-
halb das der Heimlichkeit erspart, findet vielleicht sein schlagendstes
Beispiel daran: das gröſste Finanzgeschäft der beginnenden Neuzeit
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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