durch die Ausdehnung ihres Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität ihrer Technik, durch ihre Distanz von jeder Einzelperson die Kraft und Würde zuwächst, die sie die Öffentlichkeit ihres Gebarens ver- tragen lässt. So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in demselben Masse ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das Individuum die Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurückziehens und Abschlusses seiner Privatangelegenheiten gegen alle Draussen- stehenden gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der deutschen zu vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in grossen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation zu erkennen. Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungs- prozess, und zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die katholische Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe über dem Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen, jede Kritik, jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch seinerseits kein ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich zur Mitwisserin und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen Verhältnisse. Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation umgekehrt Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte prinzipiell alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen des einzelnen Gläubigen ab. Dieser hingegen gewann zugleich eine viel ungestörtere Freiheit der religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis zu seinem Gott wurde ein privates, das er nur mit sich selbst ab- zumachen hatte.
Und nun kommen wir von der Privatheit und Heimlichkeit, die den ökonomischen Verhältnissen, in Übereinstimmung mit den all- gemeinen Kulturtendenzen, durch die Geldwirtschaft zu eigen wird, zu dem Verkauf des Menschen: der Bestechung zurück, welche in der Geldwirtschaft, eben durch jene Eigenschaften derselben, ihre höchste Ausbildung erlangt. Eine Bestechung durch ein Stück Land oder eine Viehherde ist nicht nur vor den Augen der Umgebung nicht zu ver- heimlichen, sondern auch der Bestochene selbst kann sich nicht so scheinbar ignorierend, als ob gar nichts geschehen wäre, dagegen ver- halten, wie die oben charakterisierte repräsentative Würde der Be- stechlichkeit es mit sich bringt. Mit Geld dagegen kann man jemanden sozusagen hinter seinem eigenen Rücken bestechen, er braucht sich nichts davon wissen zu machen, weil es ihm eben nicht spezifisch und persönlich anhaftet. Die Heimlichkeit, die ungestörte Repräsentation, die Intaktheit aller sonstigen Lebensbeziehungen kann bei der Be- stechung durch Geld noch vollständiger bestehen, als selbst bei der Bestechung durch Frauengunst. Denn so völlig und restlos diese sich
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durch die Ausdehnung ihres Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität ihrer Technik, durch ihre Distanz von jeder Einzelperson die Kraft und Würde zuwächst, die sie die Öffentlichkeit ihres Gebarens ver- tragen läſst. So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in demselben Maſse ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das Individuum die Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurückziehens und Abschlusses seiner Privatangelegenheiten gegen alle Drauſsen- stehenden gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der deutschen zu vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in groſsen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation zu erkennen. Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungs- prozeſs, und zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die katholische Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe über dem Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen, jede Kritik, jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch seinerseits kein ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich zur Mitwisserin und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen Verhältnisse. Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation umgekehrt Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte prinzipiell alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen des einzelnen Gläubigen ab. Dieser hingegen gewann zugleich eine viel ungestörtere Freiheit der religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis zu seinem Gott wurde ein privates, das er nur mit sich selbst ab- zumachen hatte.
Und nun kommen wir von der Privatheit und Heimlichkeit, die den ökonomischen Verhältnissen, in Übereinstimmung mit den all- gemeinen Kulturtendenzen, durch die Geldwirtschaft zu eigen wird, zu dem Verkauf des Menschen: der Bestechung zurück, welche in der Geldwirtschaft, eben durch jene Eigenschaften derselben, ihre höchste Ausbildung erlangt. Eine Bestechung durch ein Stück Land oder eine Viehherde ist nicht nur vor den Augen der Umgebung nicht zu ver- heimlichen, sondern auch der Bestochene selbst kann sich nicht so scheinbar ignorierend, als ob gar nichts geschehen wäre, dagegen ver- halten, wie die oben charakterisierte repräsentative Würde der Be- stechlichkeit es mit sich bringt. Mit Geld dagegen kann man jemanden sozusagen hinter seinem eigenen Rücken bestechen, er braucht sich nichts davon wissen zu machen, weil es ihm eben nicht spezifisch und persönlich anhaftet. Die Heimlichkeit, die ungestörte Repräsentation, die Intaktheit aller sonstigen Lebensbeziehungen kann bei der Be- stechung durch Geld noch vollständiger bestehen, als selbst bei der Bestechung durch Frauengunst. Denn so völlig und restlos diese sich
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durch die Ausdehnung ihres Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität
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und Würde zuwächst, die sie die Öffentlichkeit ihres Gebarens ver-
tragen läſst. So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in
demselben Maſse ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das
Individuum die Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurückziehens
und Abschlusses seiner Privatangelegenheiten gegen alle Drauſsen-
stehenden gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der
deutschen zu vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei
Jahrhunderte in groſsen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation
zu erkennen. Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungs-
prozeſs, und zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die
katholische Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe
über dem Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen,
jede Kritik, jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch
seinerseits kein ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich
zur Mitwisserin und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen
Verhältnisse. Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation
umgekehrt Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte
prinzipiell alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen
des einzelnen Gläubigen ab. Dieser hingegen gewann zugleich eine
viel ungestörtere Freiheit der religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis
zu seinem Gott wurde ein privates, das er nur mit sich selbst ab-
zumachen hatte.
Und nun kommen wir von der Privatheit und Heimlichkeit, die
den ökonomischen Verhältnissen, in Übereinstimmung mit den all-
gemeinen Kulturtendenzen, durch die Geldwirtschaft zu eigen wird, zu
dem Verkauf des Menschen: der Bestechung zurück, welche in der
Geldwirtschaft, eben durch jene Eigenschaften derselben, ihre höchste
Ausbildung erlangt. Eine Bestechung durch ein Stück Land oder eine
Viehherde ist nicht nur vor den Augen der Umgebung nicht zu ver-
heimlichen, sondern auch der Bestochene selbst kann sich nicht so
scheinbar ignorierend, als ob gar nichts geschehen wäre, dagegen ver-
halten, wie die oben charakterisierte repräsentative Würde der Be-
stechlichkeit es mit sich bringt. Mit Geld dagegen kann man jemanden
sozusagen hinter seinem eigenen Rücken bestechen, er braucht sich
nichts davon wissen zu machen, weil es ihm eben nicht spezifisch und
persönlich anhaftet. Die Heimlichkeit, die ungestörte Repräsentation,
die Intaktheit aller sonstigen Lebensbeziehungen kann bei der Be-
stechung durch Geld noch vollständiger bestehen, als selbst bei der
Bestechung durch Frauengunst. Denn so völlig und restlos diese sich
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/427>, abgerufen am 25.11.2024.
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