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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung
der Geldbussen beschleunigt und gesichert wird. Den Charakter
kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit gegenüber allen spezi-
fischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Mass, in dem es
zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und für immer
verschiedenartigere wird. So lange es erstens überhaupt noch nicht so
viel Gegenstände giebt, die eventuell um Geld erworben werden
könnten, und so lange zweitens von den vorhandenen ökonomischen
Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf entzogen ist (wie es sehr
lange Perioden hindurch z. B. der Grundbesitz ist) -- so lange hat
das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter, es steht noch
nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt entgegen-
gesetzte Wesen, sakrale Würde, der Accent eines Ausnahmewertes kann
ihm in primitiven Verhältnissen zukommen. Ich erinnere an die früher
angeführten strengen Normen, die gewisse Geldsorten ausschliesslich
für wichtige oder feierliche Transaktionen bestimmte, besonders aber
an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel. Die Insulaner, heisst es,
bedürften für den Lebensunterhalt keines Geldes, denn alle seien Selbst-
produzenten. Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Er-
werb einer Frau, die Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die
politische Bedeutung der Gemeinde hänge ausschliesslich von dem
Geldbesitz ab. Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, wes-
halb das Geld nicht so gemein ist wie bei uns, wo es grade die
niedrigsten Bedürfnisse unmittelbarer als jene höheren deckt. Ja, die
bloss quantitative Thatsache, dass es überhaupt noch nicht so viel Geld
giebt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, lässt es
in den Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden
Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so
dass es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für
einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die vor-
schreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende
Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes
und schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen.

Es ist interessant, dass das Gefühl für diese innere Inadäquat-
heit des Geldes sehr früh anklingt. Während schon in der ältesten
jüdischen Geschichte Geld als Zahlmittel für Frauen und für Bussen
auftritt, müssen doch die Abgaben an den Tempel immer in natura
geliefert werden. So muss z. B. derjenige, der wegen der weiten Ent-
fernung vom Heiligtume seinen Zehnten in Geld mitbringt, an Ort und
Stelle diesen wieder in Waren umsetzen, und dem entspricht es, dass
in Delos, dem altgeweihten Heiligtum, ganz besonders lange nach dem

Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung
der Geldbuſsen beschleunigt und gesichert wird. Den Charakter
kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit gegenüber allen spezi-
fischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Maſs, in dem es
zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und für immer
verschiedenartigere wird. So lange es erstens überhaupt noch nicht so
viel Gegenstände giebt, die eventuell um Geld erworben werden
könnten, und so lange zweitens von den vorhandenen ökonomischen
Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf entzogen ist (wie es sehr
lange Perioden hindurch z. B. der Grundbesitz ist) — so lange hat
das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter, es steht noch
nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt entgegen-
gesetzte Wesen, sakrale Würde, der Accent eines Ausnahmewertes kann
ihm in primitiven Verhältnissen zukommen. Ich erinnere an die früher
angeführten strengen Normen, die gewisse Geldsorten ausschlieſslich
für wichtige oder feierliche Transaktionen bestimmte, besonders aber
an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel. Die Insulaner, heiſst es,
bedürften für den Lebensunterhalt keines Geldes, denn alle seien Selbst-
produzenten. Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Er-
werb einer Frau, die Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die
politische Bedeutung der Gemeinde hänge ausschlieſslich von dem
Geldbesitz ab. Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, wes-
halb das Geld nicht so gemein ist wie bei uns, wo es grade die
niedrigsten Bedürfnisse unmittelbarer als jene höheren deckt. Ja, die
bloſs quantitative Thatsache, daſs es überhaupt noch nicht so viel Geld
giebt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, läſst es
in den Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden
Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so
daſs es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für
einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die vor-
schreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende
Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes
und schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen.

Es ist interessant, daſs das Gefühl für diese innere Inadäquat-
heit des Geldes sehr früh anklingt. Während schon in der ältesten
jüdischen Geschichte Geld als Zahlmittel für Frauen und für Buſsen
auftritt, müssen doch die Abgaben an den Tempel immer in natura
geliefert werden. So muſs z. B. derjenige, der wegen der weiten Ent-
fernung vom Heiligtume seinen Zehnten in Geld mitbringt, an Ort und
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in Delos, dem altgeweihten Heiligtum, ganz besonders lange nach dem

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[378/0402] Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung der Geldbuſsen beschleunigt und gesichert wird. Den Charakter kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit gegenüber allen spezi- fischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Maſs, in dem es zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und für immer verschiedenartigere wird. So lange es erstens überhaupt noch nicht so viel Gegenstände giebt, die eventuell um Geld erworben werden könnten, und so lange zweitens von den vorhandenen ökonomischen Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf entzogen ist (wie es sehr lange Perioden hindurch z. B. der Grundbesitz ist) — so lange hat das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter, es steht noch nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt entgegen- gesetzte Wesen, sakrale Würde, der Accent eines Ausnahmewertes kann ihm in primitiven Verhältnissen zukommen. Ich erinnere an die früher angeführten strengen Normen, die gewisse Geldsorten ausschlieſslich für wichtige oder feierliche Transaktionen bestimmte, besonders aber an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel. Die Insulaner, heiſst es, bedürften für den Lebensunterhalt keines Geldes, denn alle seien Selbst- produzenten. Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Er- werb einer Frau, die Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die politische Bedeutung der Gemeinde hänge ausschlieſslich von dem Geldbesitz ab. Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, wes- halb das Geld nicht so gemein ist wie bei uns, wo es grade die niedrigsten Bedürfnisse unmittelbarer als jene höheren deckt. Ja, die bloſs quantitative Thatsache, daſs es überhaupt noch nicht so viel Geld giebt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, läſst es in den Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so daſs es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die vor- schreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes und schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen. Es ist interessant, daſs das Gefühl für diese innere Inadäquat- heit des Geldes sehr früh anklingt. Während schon in der ältesten jüdischen Geschichte Geld als Zahlmittel für Frauen und für Buſsen auftritt, müssen doch die Abgaben an den Tempel immer in natura geliefert werden. So muſs z. B. derjenige, der wegen der weiten Ent- fernung vom Heiligtume seinen Zehnten in Geld mitbringt, an Ort und Stelle diesen wieder in Waren umsetzen, und dem entspricht es, daſs in Delos, dem altgeweihten Heiligtum, ganz besonders lange nach dem

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/402>, abgerufen am 25.11.2024.