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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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stand, den diese in dem Missethäter hervorruft, ihr definitiver Zweck,
während er vorher für denjenigen, der nur seine Entschädigung suchte,
ein gleichgültiges Accidenz gewesen war; so dass man erst jetzt von
Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann. Jetzt handelt es sich
darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Busse als äusserliches
Geschehen ist das blosse Mittel dazu. Die Geldstrafe hat so einen
ganz andern Sinn als jener frühere Geldersatz für Verwundungen
und Tötungen; sie soll nicht den angerichteten Schaden ausgleichen,
sondern dem Thäter ein Schmerz sein, weshalb sie denn auch in
modernen Rechten, im Falle der Unbeitreibbarkeit, durch Freiheits-
strafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld bringt,
sondern ihn noch erhebliches kostet. Indem die Geldstrafe so nur um
ihres subjektiven Reflexes willen gehandhabt wird, mit dem der Misse-
thäter sie empfindet, kann sie allerdings einen dem Geld als solchem
fremden, individuellen Zug erhalten. Dieser dokumentiert sich in
einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe vor anderen Strafen voraus
hat: in ihrer grossen Abstufbarkeit, in ihrer eventuellen völligen
Widerruflichkeit, endlich darin, dass sie nicht wie die Freiheitsstrafen
oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer Zeiten die Arbeits-
kraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern sie umgekehrt
wegen des Ersatzes des Dahingegebenen grade anstachelt. Dieses
personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr
äusserlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll, reicht
indes nicht sehr tief hinab. Das zeigt sich z. B. schon darin, dass
heutzutage die Verurteilung zur höchsten Geldstrafe die gesellschaft-
liche Position des Betroffenen nicht entfernt so herabsetzt, wie die zur
geringsten Gefängnisstrafe; nur wo das Persönlichkeitsgefühl überhaupt
noch nicht sehr stark entwickelt ist, wie in der russischen Bauern-
schaft, konnte es vorkommen, dass vom Missethäter selbst die Prügel-
strafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird. Ferner zeigt sich die
Schwäche des personalen Momentes in der Geldstrafe, wie sie wenigstens
bis jetzt gehandhabt wird, darin, dass ihre prinzipielle Abstufbarkeit
der wirklichen Individualität der Verhältnisse keineswegs folgt. Das
Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach
unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, dass selbst das Mindest-
mass für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchst-
mass für den ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe
vielleicht einen Tag hungern muss, werden die paar Tausend Mark,
zu denen dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die
geringste Entbehrung auferlegen, so dass der subjektive Strafzweck dort
übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird.

stand, den diese in dem Missethäter hervorruft, ihr definitiver Zweck,
während er vorher für denjenigen, der nur seine Entschädigung suchte,
ein gleichgültiges Accidenz gewesen war; so daſs man erst jetzt von
Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann. Jetzt handelt es sich
darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Buſse als äuſserliches
Geschehen ist das bloſse Mittel dazu. Die Geldstrafe hat so einen
ganz andern Sinn als jener frühere Geldersatz für Verwundungen
und Tötungen; sie soll nicht den angerichteten Schaden ausgleichen,
sondern dem Thäter ein Schmerz sein, weshalb sie denn auch in
modernen Rechten, im Falle der Unbeitreibbarkeit, durch Freiheits-
strafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld bringt,
sondern ihn noch erhebliches kostet. Indem die Geldstrafe so nur um
ihres subjektiven Reflexes willen gehandhabt wird, mit dem der Misse-
thäter sie empfindet, kann sie allerdings einen dem Geld als solchem
fremden, individuellen Zug erhalten. Dieser dokumentiert sich in
einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe vor anderen Strafen voraus
hat: in ihrer groſsen Abstufbarkeit, in ihrer eventuellen völligen
Widerruflichkeit, endlich darin, daſs sie nicht wie die Freiheitsstrafen
oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer Zeiten die Arbeits-
kraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern sie umgekehrt
wegen des Ersatzes des Dahingegebenen grade anstachelt. Dieses
personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr
äuſserlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll, reicht
indes nicht sehr tief hinab. Das zeigt sich z. B. schon darin, daſs
heutzutage die Verurteilung zur höchsten Geldstrafe die gesellschaft-
liche Position des Betroffenen nicht entfernt so herabsetzt, wie die zur
geringsten Gefängnisstrafe; nur wo das Persönlichkeitsgefühl überhaupt
noch nicht sehr stark entwickelt ist, wie in der russischen Bauern-
schaft, konnte es vorkommen, daſs vom Missethäter selbst die Prügel-
strafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird. Ferner zeigt sich die
Schwäche des personalen Momentes in der Geldstrafe, wie sie wenigstens
bis jetzt gehandhabt wird, darin, daſs ihre prinzipielle Abstufbarkeit
der wirklichen Individualität der Verhältnisse keineswegs folgt. Das
Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach
unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, daſs selbst das Mindest-
maſs für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchst-
maſs für den ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe
vielleicht einen Tag hungern muſs, werden die paar Tausend Mark,
zu denen dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die
geringste Entbehrung auferlegen, so daſs der subjektive Strafzweck dort
übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird.

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[376/0400] stand, den diese in dem Missethäter hervorruft, ihr definitiver Zweck, während er vorher für denjenigen, der nur seine Entschädigung suchte, ein gleichgültiges Accidenz gewesen war; so daſs man erst jetzt von Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann. Jetzt handelt es sich darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Buſse als äuſserliches Geschehen ist das bloſse Mittel dazu. Die Geldstrafe hat so einen ganz andern Sinn als jener frühere Geldersatz für Verwundungen und Tötungen; sie soll nicht den angerichteten Schaden ausgleichen, sondern dem Thäter ein Schmerz sein, weshalb sie denn auch in modernen Rechten, im Falle der Unbeitreibbarkeit, durch Freiheits- strafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld bringt, sondern ihn noch erhebliches kostet. Indem die Geldstrafe so nur um ihres subjektiven Reflexes willen gehandhabt wird, mit dem der Misse- thäter sie empfindet, kann sie allerdings einen dem Geld als solchem fremden, individuellen Zug erhalten. Dieser dokumentiert sich in einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe vor anderen Strafen voraus hat: in ihrer groſsen Abstufbarkeit, in ihrer eventuellen völligen Widerruflichkeit, endlich darin, daſs sie nicht wie die Freiheitsstrafen oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer Zeiten die Arbeits- kraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern sie umgekehrt wegen des Ersatzes des Dahingegebenen grade anstachelt. Dieses personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr äuſserlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll, reicht indes nicht sehr tief hinab. Das zeigt sich z. B. schon darin, daſs heutzutage die Verurteilung zur höchsten Geldstrafe die gesellschaft- liche Position des Betroffenen nicht entfernt so herabsetzt, wie die zur geringsten Gefängnisstrafe; nur wo das Persönlichkeitsgefühl überhaupt noch nicht sehr stark entwickelt ist, wie in der russischen Bauern- schaft, konnte es vorkommen, daſs vom Missethäter selbst die Prügel- strafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird. Ferner zeigt sich die Schwäche des personalen Momentes in der Geldstrafe, wie sie wenigstens bis jetzt gehandhabt wird, darin, daſs ihre prinzipielle Abstufbarkeit der wirklichen Individualität der Verhältnisse keineswegs folgt. Das Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, daſs selbst das Mindest- maſs für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchst- maſs für den ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe vielleicht einen Tag hungern muſs, werden die paar Tausend Mark, zu denen dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die geringste Entbehrung auferlegen, so daſs der subjektive Strafzweck dort übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/400>, abgerufen am 22.11.2024.