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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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den absoluten Wert der Seele band, eine eigentümliche Entwicklung
erfahren. Wie nämlich jedes Bedürfnis durch die Gewohnheit seiner
Befriedigung fester wird, so hat das Christentum durch das so lange
andauernde Bewusstsein eines absoluten Endzweckes das Bedürfnis da-
nach ausserordentlich fest einwurzeln lassen, so dass es denjenigen
Seelen, denen gegenüber es jetzt versagt, das leere Sehnen nach einem
definitiven Zweck des ganzen Daseins als seine Erbschaft hinterlassen
hat: das Bedürfnis hat seine Erfüllung überlebt. Indem die Schopen-
hauersche Metaphysik als die Substanz des Daseins den Willen ver-
kündete -- der notwendig unerfüllt bleiben muss, weil er, als das
Absolute, nichts ausser sich hat, an dem er sich befriedige, sondern
immer und überall nur sich selbst ergreifen kann -- ist sie aus-
schliesslich der Ausdruck dieser Lage der Kultur, die das heftigste
Bedürfnis nach einem absoluten Endzweck überkommen, aber dessen
überzeugenden Inhalt verloren hat. Die Schwächung des religiösen
Empfindens und gleichzeitig das so lebhaft wiedererwachte Bedürfnis
nach einem solchen sind das Korrelat der Thatsache, dass dem
modernen Menschen der Endzweck abhanden gekommen ist. Aber
was dessen Vorstellung für die Wertung der Menschenseele geleistet
hat, ist nicht zugleich verloren gegangen und zählt zu den Aktiven
jener Erbschaft. Indem das Christentum die Menschenseele für das
Gefäss der göttlichen Gnade erklärte, wurde sie für alle irdischen
Massstäbe völlig inkommensurabel und blieb es; und so fern und fremd
diese Bestimmung eigentlich für den empirischen Menschen mit seinen
irdischen Schicksalen ist, so wenig kann doch eine Rückwirkung ihrer
da ausbleiben, wo der ganze Mensch in Frage steht; sein einzelnes
Schicksal mag gleichgültig sein, die absolute Summe derselben kann
es doch nicht bleiben. In unmittelbarer Weise hat freilich schon das
jüdische Gesetz die religiöse Bedeutung des Menschen gegen seinen
Verkauf als Sklaven aufgerufen. Wenn ein Israelit sich wegen Ver-
armung einem Stammesgenossen in die Sklaverei verkaufen muss, so
soll dieser -- so befiehlt Jahve -- ihn wie einen Lohnarbeiter halten
und nicht wie einen Sklaven, "denn meine Knechte sind sie,
die ich aus Ägypten weggeführt habe, sie dürfen nicht verkauft
werden, wie man Sklaven verkauft".

Der Wert der Persönlichkeit aber, der sie durch diese Vermitt-
lung hindurch aller Vergleichbarkeit mit dem rein quantitativen Mass-
stab des Geldes entrückt, kann zwei wohl auseinander zu haltende
Bedeutungen haben; er kann den Menschen als Menschen überhaupt,
und er kann den Menschen als dieses bestimmte Individuum betreffen.
Sagte man etwa, die menschliche Persönlichkeit besitze den höchsten

den absoluten Wert der Seele band, eine eigentümliche Entwicklung
erfahren. Wie nämlich jedes Bedürfnis durch die Gewohnheit seiner
Befriedigung fester wird, so hat das Christentum durch das so lange
andauernde Bewuſstsein eines absoluten Endzweckes das Bedürfnis da-
nach auſserordentlich fest einwurzeln lassen, so daſs es denjenigen
Seelen, denen gegenüber es jetzt versagt, das leere Sehnen nach einem
definitiven Zweck des ganzen Daseins als seine Erbschaft hinterlassen
hat: das Bedürfnis hat seine Erfüllung überlebt. Indem die Schopen-
hauersche Metaphysik als die Substanz des Daseins den Willen ver-
kündete — der notwendig unerfüllt bleiben muſs, weil er, als das
Absolute, nichts auſser sich hat, an dem er sich befriedige, sondern
immer und überall nur sich selbst ergreifen kann — ist sie aus-
schlieſslich der Ausdruck dieser Lage der Kultur, die das heftigste
Bedürfnis nach einem absoluten Endzweck überkommen, aber dessen
überzeugenden Inhalt verloren hat. Die Schwächung des religiösen
Empfindens und gleichzeitig das so lebhaft wiedererwachte Bedürfnis
nach einem solchen sind das Korrelat der Thatsache, daſs dem
modernen Menschen der Endzweck abhanden gekommen ist. Aber
was dessen Vorstellung für die Wertung der Menschenseele geleistet
hat, ist nicht zugleich verloren gegangen und zählt zu den Aktiven
jener Erbschaft. Indem das Christentum die Menschenseele für das
Gefäſs der göttlichen Gnade erklärte, wurde sie für alle irdischen
Maſsstäbe völlig inkommensurabel und blieb es; und so fern und fremd
diese Bestimmung eigentlich für den empirischen Menschen mit seinen
irdischen Schicksalen ist, so wenig kann doch eine Rückwirkung ihrer
da ausbleiben, wo der ganze Mensch in Frage steht; sein einzelnes
Schicksal mag gleichgültig sein, die absolute Summe derselben kann
es doch nicht bleiben. In unmittelbarer Weise hat freilich schon das
jüdische Gesetz die religiöse Bedeutung des Menschen gegen seinen
Verkauf als Sklaven aufgerufen. Wenn ein Israelit sich wegen Ver-
armung einem Stammesgenossen in die Sklaverei verkaufen muſs, so
soll dieser — so befiehlt Jahve — ihn wie einen Lohnarbeiter halten
und nicht wie einen Sklaven, „denn meine Knechte sind sie,
die ich aus Ägypten weggeführt habe, sie dürfen nicht verkauft
werden, wie man Sklaven verkauft“.

Der Wert der Persönlichkeit aber, der sie durch diese Vermitt-
lung hindurch aller Vergleichbarkeit mit dem rein quantitativen Maſs-
stab des Geldes entrückt, kann zwei wohl auseinander zu haltende
Bedeutungen haben; er kann den Menschen als Menschen überhaupt,
und er kann den Menschen als dieses bestimmte Individuum betreffen.
Sagte man etwa, die menschliche Persönlichkeit besitze den höchsten

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[373/0397] den absoluten Wert der Seele band, eine eigentümliche Entwicklung erfahren. Wie nämlich jedes Bedürfnis durch die Gewohnheit seiner Befriedigung fester wird, so hat das Christentum durch das so lange andauernde Bewuſstsein eines absoluten Endzweckes das Bedürfnis da- nach auſserordentlich fest einwurzeln lassen, so daſs es denjenigen Seelen, denen gegenüber es jetzt versagt, das leere Sehnen nach einem definitiven Zweck des ganzen Daseins als seine Erbschaft hinterlassen hat: das Bedürfnis hat seine Erfüllung überlebt. Indem die Schopen- hauersche Metaphysik als die Substanz des Daseins den Willen ver- kündete — der notwendig unerfüllt bleiben muſs, weil er, als das Absolute, nichts auſser sich hat, an dem er sich befriedige, sondern immer und überall nur sich selbst ergreifen kann — ist sie aus- schlieſslich der Ausdruck dieser Lage der Kultur, die das heftigste Bedürfnis nach einem absoluten Endzweck überkommen, aber dessen überzeugenden Inhalt verloren hat. Die Schwächung des religiösen Empfindens und gleichzeitig das so lebhaft wiedererwachte Bedürfnis nach einem solchen sind das Korrelat der Thatsache, daſs dem modernen Menschen der Endzweck abhanden gekommen ist. Aber was dessen Vorstellung für die Wertung der Menschenseele geleistet hat, ist nicht zugleich verloren gegangen und zählt zu den Aktiven jener Erbschaft. Indem das Christentum die Menschenseele für das Gefäſs der göttlichen Gnade erklärte, wurde sie für alle irdischen Maſsstäbe völlig inkommensurabel und blieb es; und so fern und fremd diese Bestimmung eigentlich für den empirischen Menschen mit seinen irdischen Schicksalen ist, so wenig kann doch eine Rückwirkung ihrer da ausbleiben, wo der ganze Mensch in Frage steht; sein einzelnes Schicksal mag gleichgültig sein, die absolute Summe derselben kann es doch nicht bleiben. In unmittelbarer Weise hat freilich schon das jüdische Gesetz die religiöse Bedeutung des Menschen gegen seinen Verkauf als Sklaven aufgerufen. Wenn ein Israelit sich wegen Ver- armung einem Stammesgenossen in die Sklaverei verkaufen muſs, so soll dieser — so befiehlt Jahve — ihn wie einen Lohnarbeiter halten und nicht wie einen Sklaven, „denn meine Knechte sind sie, die ich aus Ägypten weggeführt habe, sie dürfen nicht verkauft werden, wie man Sklaven verkauft“. Der Wert der Persönlichkeit aber, der sie durch diese Vermitt- lung hindurch aller Vergleichbarkeit mit dem rein quantitativen Maſs- stab des Geldes entrückt, kann zwei wohl auseinander zu haltende Bedeutungen haben; er kann den Menschen als Menschen überhaupt, und er kann den Menschen als dieses bestimmte Individuum betreffen. Sagte man etwa, die menschliche Persönlichkeit besitze den höchsten

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/397>, abgerufen am 25.11.2024.