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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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duums, sich an Assoziationen zu beteiligen, deren objektiven Zweck es
fördern oder geniessen will, ohne dass für die Persönlichkeit im übrigen
die Verbindung irgend eine Bindung mit sich brächte. Das Geld hat
es bewirkt, dass man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas
von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das
ist der fundamentale, unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die
mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen
und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied;
sie zog das gesamtwirtschaftliche wie das religiöse, das politische wie
das familiäre Interesse gleichmässig in ihren Kreis. Die dauernde
Vereinigung kennt in jenem urwüchsigen Stadium noch nicht die Form
des blossen "Beitrages", am wenigsten die Herstellung ihrer ganzen
Substanz aus solchen und aus "beschränkten Haftungen". Wie man
wohl im grossen und ganzen und mit den bei so allgemeinen Be-
hauptungen nötigen Reserven sagen kann, dass die Verhältnisse der
Menschen untereinander früher entschiedenere waren, weniger durch
Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, dass es
weniger problematische und "halbe" Verhältnisse gab: so stand die
Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen
des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit, durch
die ein blosses Partikelchen der im übrigen unabhängigen Persönlich-
keit in sie hinein gegeben werden kann und die in der Hingabe und
Entnahme von Geld als dem einzigen assoziativen Bande ihre absolute
Vollendung findet. Und dies gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch
für Kollektivindividuen. Die Geldform des Gemeininteresses gewährt
auch Vereinigungen die Möglichkeit zu einer höheren Einheit zu-
sammenzutreten, ohne dass die einzelne auf ihre Unabhängigkeit
und Sonderart zu verzichten braucht. Nach 1848 bildeten sich in
Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes,
derart, dass jede ihren unteilbaren Fonds an dieses Syndikat ablieferte
und so eine unteilbare gemeinsame Kasse zustande kam. Diese sollte
namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren u. s. w.
Die Syndikate hatten aber durchaus nicht den Zweck, die teilhaben-
den Assoziationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte
ihre besondere Organisation beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so
bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft
der Assoziationsbildung befangen waren. Lehnten sie nun die hier
so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders
starke Gründe für gegenseitige Reserve gehabt haben -- und fanden
dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen
in jener Gemeinsamkeit des blossen Geldbesitzes wirksam werden

duums, sich an Assoziationen zu beteiligen, deren objektiven Zweck es
fördern oder genieſsen will, ohne daſs für die Persönlichkeit im übrigen
die Verbindung irgend eine Bindung mit sich brächte. Das Geld hat
es bewirkt, daſs man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas
von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das
ist der fundamentale, unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die
mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen
und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied;
sie zog das gesamtwirtschaftliche wie das religiöse, das politische wie
das familiäre Interesse gleichmäſsig in ihren Kreis. Die dauernde
Vereinigung kennt in jenem urwüchsigen Stadium noch nicht die Form
des bloſsen „Beitrages“, am wenigsten die Herstellung ihrer ganzen
Substanz aus solchen und aus „beschränkten Haftungen“. Wie man
wohl im groſsen und ganzen und mit den bei so allgemeinen Be-
hauptungen nötigen Reserven sagen kann, daſs die Verhältnisse der
Menschen untereinander früher entschiedenere waren, weniger durch
Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, daſs es
weniger problematische und „halbe“ Verhältnisse gab: so stand die
Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen
des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit, durch
die ein bloſses Partikelchen der im übrigen unabhängigen Persönlich-
keit in sie hinein gegeben werden kann und die in der Hingabe und
Entnahme von Geld als dem einzigen assoziativen Bande ihre absolute
Vollendung findet. Und dies gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch
für Kollektivindividuen. Die Geldform des Gemeininteresses gewährt
auch Vereinigungen die Möglichkeit zu einer höheren Einheit zu-
sammenzutreten, ohne daſs die einzelne auf ihre Unabhängigkeit
und Sonderart zu verzichten braucht. Nach 1848 bildeten sich in
Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes,
derart, daſs jede ihren unteilbaren Fonds an dieses Syndikat ablieferte
und so eine unteilbare gemeinsame Kasse zustande kam. Diese sollte
namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren u. s. w.
Die Syndikate hatten aber durchaus nicht den Zweck, die teilhaben-
den Assoziationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte
ihre besondere Organisation beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so
bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft
der Assoziationsbildung befangen waren. Lehnten sie nun die hier
so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders
starke Gründe für gegenseitige Reserve gehabt haben — und fanden
dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen
in jener Gemeinsamkeit des bloſsen Geldbesitzes wirksam werden

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[352/0376] duums, sich an Assoziationen zu beteiligen, deren objektiven Zweck es fördern oder genieſsen will, ohne daſs für die Persönlichkeit im übrigen die Verbindung irgend eine Bindung mit sich brächte. Das Geld hat es bewirkt, daſs man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das ist der fundamentale, unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied; sie zog das gesamtwirtschaftliche wie das religiöse, das politische wie das familiäre Interesse gleichmäſsig in ihren Kreis. Die dauernde Vereinigung kennt in jenem urwüchsigen Stadium noch nicht die Form des bloſsen „Beitrages“, am wenigsten die Herstellung ihrer ganzen Substanz aus solchen und aus „beschränkten Haftungen“. Wie man wohl im groſsen und ganzen und mit den bei so allgemeinen Be- hauptungen nötigen Reserven sagen kann, daſs die Verhältnisse der Menschen untereinander früher entschiedenere waren, weniger durch Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, daſs es weniger problematische und „halbe“ Verhältnisse gab: so stand die Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit, durch die ein bloſses Partikelchen der im übrigen unabhängigen Persönlich- keit in sie hinein gegeben werden kann und die in der Hingabe und Entnahme von Geld als dem einzigen assoziativen Bande ihre absolute Vollendung findet. Und dies gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch für Kollektivindividuen. Die Geldform des Gemeininteresses gewährt auch Vereinigungen die Möglichkeit zu einer höheren Einheit zu- sammenzutreten, ohne daſs die einzelne auf ihre Unabhängigkeit und Sonderart zu verzichten braucht. Nach 1848 bildeten sich in Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes, derart, daſs jede ihren unteilbaren Fonds an dieses Syndikat ablieferte und so eine unteilbare gemeinsame Kasse zustande kam. Diese sollte namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren u. s. w. Die Syndikate hatten aber durchaus nicht den Zweck, die teilhaben- den Assoziationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte ihre besondere Organisation beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft der Assoziationsbildung befangen waren. Lehnten sie nun die hier so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders starke Gründe für gegenseitige Reserve gehabt haben — und fanden dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen in jener Gemeinsamkeit des bloſsen Geldbesitzes wirksam werden

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/376>, abgerufen am 22.11.2024.