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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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grösseren Summe ihn zur Verschwendung oder grade zu doppelter
Sparsamkeit anregt; ob er beim Geldausgeben leicht auf die schiefe
Ebene gerät und jede Ausgabe die nächste psychologisch erleichtert,
oder ob jede gleichsam eine innere Obstruktion hinterlässt, so dass
selbst die gerechtfertigte Ausgabe jetzt nur zögernd erfolgt. Das alles
sind individuelle Differenzen, die in die Tiefen der Persönlichkeit
hinabreichen, aber erst innerhalb der Geldwirtschaft so prägnant oder
überhaupt in die Erscheinung treten. Indes ist doch auch hier das
Material für diese Äusserung die blosse Quantität; diese ganzen, für
das Individuum so bezeichnenden Unterschiede der Geldgebarung
kommen doch auf solche des Mehr oder Weniger hinaus, ganz im
Gegensatz zu den Unterschieden zwischen den Persönlichkeiten, die
sich in ihrem sonstigen Verfahren mit Dingen und Menschen finden.
Im allgemeinen wird es also dabei bleiben, dass jeder andere Besitz
viel bestimmtere Forderungen an das Individuum stellt und viel be-
stimmtere Wirkungen auf dasselbe ausübt, somit als eine Determination
oder Fesselung desselben erscheint; erst der Geldbesitz giebt, wenigstens
unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze,
nach beiden Seiten hin volle Freiheit.

Darum hat auch erst die Geldwirtschaft die Herausbildung der-
jenigen Berufsklassen ermöglicht, deren Thätigkeit sich inhaltlich ganz
jenseits jeder wirtschaftlichen Beziehung stellt -- die der spezifisch
geistigen Thätigkeiten, der Lehrer und Litteraten, der Künstler und
Ärzte, der Gelehrten und Regierungsbeamten. So lange Naturalwirt-
schaft herrscht, erlangen diese überhaupt nur geringen Umfang und
nur auf der Basis des Grossgrundbesitzes, weshalb denn auch im Mittel-
alter die Kirche und, nach manchen Seiten hin, das Rittertum das
geistige Leben trugen. Die bezeichnete Kategorie von Menschen er-
hält ihren Rang durch die Strenge der Frage, von der der ganze Wert
ihrer Persönlichkeiten abhängt: ob sie sich oder ob sie die Sache
suchen. Wo die erwerbende Thätigkeit prinzipiell kein Motiv ausser-
halb des Erwerbes selbst einzusetzen hat, fällt dieses Kriterium ganz
fort und wird höchstens durch die Alternative zwischen rücksichtslosem
Egoismus und anständiger Gesinnung -- die aber hier wesentlich pro-
hibitiv wirkt -- ersetzt. Das Eigentümliche ist, dass das Geld, ob-
gleich, oder vielmehr weil es der sublimierteste Wirtschaftswert ist,
uns von der wirtschaftlichen Seite der Dinge am vollständigsten erlösen
kann -- freilich um den Preis, uns den Bethätigungen, die ihren Sinn
nicht in ihrem wirtschaftlichen Erfolge haben, mit jener unerbittlichen
Frage gegenüberzustellen. Wie aber die der höheren Entwicklung
eigne Differenzierung der Lebenselemente allenthalben bewirkt, dass

gröſseren Summe ihn zur Verschwendung oder grade zu doppelter
Sparsamkeit anregt; ob er beim Geldausgeben leicht auf die schiefe
Ebene gerät und jede Ausgabe die nächste psychologisch erleichtert,
oder ob jede gleichsam eine innere Obstruktion hinterläſst, so daſs
selbst die gerechtfertigte Ausgabe jetzt nur zögernd erfolgt. Das alles
sind individuelle Differenzen, die in die Tiefen der Persönlichkeit
hinabreichen, aber erst innerhalb der Geldwirtschaft so prägnant oder
überhaupt in die Erscheinung treten. Indes ist doch auch hier das
Material für diese Äuſserung die bloſse Quantität; diese ganzen, für
das Individuum so bezeichnenden Unterschiede der Geldgebarung
kommen doch auf solche des Mehr oder Weniger hinaus, ganz im
Gegensatz zu den Unterschieden zwischen den Persönlichkeiten, die
sich in ihrem sonstigen Verfahren mit Dingen und Menschen finden.
Im allgemeinen wird es also dabei bleiben, daſs jeder andere Besitz
viel bestimmtere Forderungen an das Individuum stellt und viel be-
stimmtere Wirkungen auf dasselbe ausübt, somit als eine Determination
oder Fesselung desselben erscheint; erst der Geldbesitz giebt, wenigstens
unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze,
nach beiden Seiten hin volle Freiheit.

Darum hat auch erst die Geldwirtschaft die Herausbildung der-
jenigen Berufsklassen ermöglicht, deren Thätigkeit sich inhaltlich ganz
jenseits jeder wirtschaftlichen Beziehung stellt — die der spezifisch
geistigen Thätigkeiten, der Lehrer und Litteraten, der Künstler und
Ärzte, der Gelehrten und Regierungsbeamten. So lange Naturalwirt-
schaft herrscht, erlangen diese überhaupt nur geringen Umfang und
nur auf der Basis des Groſsgrundbesitzes, weshalb denn auch im Mittel-
alter die Kirche und, nach manchen Seiten hin, das Rittertum das
geistige Leben trugen. Die bezeichnete Kategorie von Menschen er-
hält ihren Rang durch die Strenge der Frage, von der der ganze Wert
ihrer Persönlichkeiten abhängt: ob sie sich oder ob sie die Sache
suchen. Wo die erwerbende Thätigkeit prinzipiell kein Motiv auſser-
halb des Erwerbes selbst einzusetzen hat, fällt dieses Kriterium ganz
fort und wird höchstens durch die Alternative zwischen rücksichtslosem
Egoismus und anständiger Gesinnung — die aber hier wesentlich pro-
hibitiv wirkt — ersetzt. Das Eigentümliche ist, daſs das Geld, ob-
gleich, oder vielmehr weil es der sublimierteste Wirtschaftswert ist,
uns von der wirtschaftlichen Seite der Dinge am vollständigsten erlösen
kann — freilich um den Preis, uns den Bethätigungen, die ihren Sinn
nicht in ihrem wirtschaftlichen Erfolge haben, mit jener unerbittlichen
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[312/0336] gröſseren Summe ihn zur Verschwendung oder grade zu doppelter Sparsamkeit anregt; ob er beim Geldausgeben leicht auf die schiefe Ebene gerät und jede Ausgabe die nächste psychologisch erleichtert, oder ob jede gleichsam eine innere Obstruktion hinterläſst, so daſs selbst die gerechtfertigte Ausgabe jetzt nur zögernd erfolgt. Das alles sind individuelle Differenzen, die in die Tiefen der Persönlichkeit hinabreichen, aber erst innerhalb der Geldwirtschaft so prägnant oder überhaupt in die Erscheinung treten. Indes ist doch auch hier das Material für diese Äuſserung die bloſse Quantität; diese ganzen, für das Individuum so bezeichnenden Unterschiede der Geldgebarung kommen doch auf solche des Mehr oder Weniger hinaus, ganz im Gegensatz zu den Unterschieden zwischen den Persönlichkeiten, die sich in ihrem sonstigen Verfahren mit Dingen und Menschen finden. Im allgemeinen wird es also dabei bleiben, daſs jeder andere Besitz viel bestimmtere Forderungen an das Individuum stellt und viel be- stimmtere Wirkungen auf dasselbe ausübt, somit als eine Determination oder Fesselung desselben erscheint; erst der Geldbesitz giebt, wenigstens unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze, nach beiden Seiten hin volle Freiheit. Darum hat auch erst die Geldwirtschaft die Herausbildung der- jenigen Berufsklassen ermöglicht, deren Thätigkeit sich inhaltlich ganz jenseits jeder wirtschaftlichen Beziehung stellt — die der spezifisch geistigen Thätigkeiten, der Lehrer und Litteraten, der Künstler und Ärzte, der Gelehrten und Regierungsbeamten. So lange Naturalwirt- schaft herrscht, erlangen diese überhaupt nur geringen Umfang und nur auf der Basis des Groſsgrundbesitzes, weshalb denn auch im Mittel- alter die Kirche und, nach manchen Seiten hin, das Rittertum das geistige Leben trugen. Die bezeichnete Kategorie von Menschen er- hält ihren Rang durch die Strenge der Frage, von der der ganze Wert ihrer Persönlichkeiten abhängt: ob sie sich oder ob sie die Sache suchen. Wo die erwerbende Thätigkeit prinzipiell kein Motiv auſser- halb des Erwerbes selbst einzusetzen hat, fällt dieses Kriterium ganz fort und wird höchstens durch die Alternative zwischen rücksichtslosem Egoismus und anständiger Gesinnung — die aber hier wesentlich pro- hibitiv wirkt — ersetzt. Das Eigentümliche ist, daſs das Geld, ob- gleich, oder vielmehr weil es der sublimierteste Wirtschaftswert ist, uns von der wirtschaftlichen Seite der Dinge am vollständigsten erlösen kann — freilich um den Preis, uns den Bethätigungen, die ihren Sinn nicht in ihrem wirtschaftlichen Erfolge haben, mit jener unerbittlichen Frage gegenüberzustellen. Wie aber die der höheren Entwicklung eigne Differenzierung der Lebenselemente allenthalben bewirkt, daſs

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/336>, abgerufen am 25.11.2024.