erlahmt, kann er Andere nicht mehr von dem Genuss seines bis- herigen Eigentums ausschliessen, und dieses wird ohne weiteres an einen Anderen übergehen und ihm so lange verbleiben, wie seine Kraft ausreicht, ihm die Ausschliesslichkeit der Nutzungen des Objekts zu garantieren. Im rechtlichen Zustande bedarf es dieser persönlichen Kraft nicht mehr, indem die Gesamtheit dem Eigentümer den dauern- den Besitz seines Eigentums und die Ausschliessung aller Anderen davon sichert. Eigentum, so könnte man in diesem Falle sagen, sei die sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutzniessungen eines Objekts. Dieser Eigentumsbegriff nun erfährt gewissermassen eine Steigerung, sobald er sich am Gelde verwirklicht. Denn indem jemand Geld besitzt, ist ihm durch die Verfassung des Gemeinwesens nicht nur der Besitz desselben, sondern eben damit der Besitz sehr vieler anderer Dinge zugesichert. Wenn jedes Eigentum an einer Sache nur die Möglichkeit derjenigen bestimmten Nutzniessung be- deutet, die die Natur dieser Sache gestattet, so bedeutet Eigentum an Geld die Möglichkeit der Nutzniessung unbestimmt vieler Sachen. In Bezug auf alles andere kann die öffentliche Ordnung dem Besitzer nichts anderes gewährleisten, als was die besondere Art des Objekts mit sich bringt: dem Landeigentümer, dass niemand ausser ihm von seinem Felde Früchte gewinnen darf, dass er allein es bebauen oder brachliegen lassen darf, dem Waldbesitzer, dass er das Holz schlagen und das Wild jagen darf u. s. w.; indem sie aber Geld prägt, garan- tiert sie damit dem Besitzer desselben, dass er für sein Geld Getreide, Holz, Wild u. s. w. sich aneignen kann. Das Geld erzeugt so eine höhere Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes; eine solche, in der schon durch die Rechtsverfassung der spezifische Charakter jedes sonstigen Sachbesitzes aufgelöst und das geldbesitzende Individuum einer Unendlichkeit von Objekten gegenübergestellt wird, deren Ge- nuss ihm gleichmässig durch die öffentliche Ordnung garantiert ist: es bestimmt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Frukti- fizierung, wie einseitig bestimmte Objekte es thun. Vom Geldbesitz gilt absolut nicht, was man von Staaten gesagt hat: dass sie nur durch dieselben Mittel erhalten werden, durch die sie gegründet sind -- was doch von so vielen anderen Besitzen, namentlich geistigen, aber auch sogar von vielfachem durch Geld erworbenem Besitz gilt, der ausschliess- lich durch dasselbe Interesse an der Sache erhalten werden kann, das zu seinem Erwerbe führte. Die völlige Unabhängigkeit des Geldes von seiner Genesis, sein eminent unhistorischer Charakter spiegelt sich nach vorwärts in der absoluten Unbestimmtheit seiner Verwendung. Durch die eine, allein mögliche Art verwendet und genossen zu werden,
erlahmt, kann er Andere nicht mehr von dem Genuſs seines bis- herigen Eigentums ausschlieſsen, und dieses wird ohne weiteres an einen Anderen übergehen und ihm so lange verbleiben, wie seine Kraft ausreicht, ihm die Ausschlieſslichkeit der Nutzungen des Objekts zu garantieren. Im rechtlichen Zustande bedarf es dieser persönlichen Kraft nicht mehr, indem die Gesamtheit dem Eigentümer den dauern- den Besitz seines Eigentums und die Ausschlieſsung aller Anderen davon sichert. Eigentum, so könnte man in diesem Falle sagen, sei die sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutznieſsungen eines Objekts. Dieser Eigentumsbegriff nun erfährt gewissermaſsen eine Steigerung, sobald er sich am Gelde verwirklicht. Denn indem jemand Geld besitzt, ist ihm durch die Verfassung des Gemeinwesens nicht nur der Besitz desselben, sondern eben damit der Besitz sehr vieler anderer Dinge zugesichert. Wenn jedes Eigentum an einer Sache nur die Möglichkeit derjenigen bestimmten Nutznieſsung be- deutet, die die Natur dieser Sache gestattet, so bedeutet Eigentum an Geld die Möglichkeit der Nutznieſsung unbestimmt vieler Sachen. In Bezug auf alles andere kann die öffentliche Ordnung dem Besitzer nichts anderes gewährleisten, als was die besondere Art des Objekts mit sich bringt: dem Landeigentümer, daſs niemand auſser ihm von seinem Felde Früchte gewinnen darf, daſs er allein es bebauen oder brachliegen lassen darf, dem Waldbesitzer, daſs er das Holz schlagen und das Wild jagen darf u. s. w.; indem sie aber Geld prägt, garan- tiert sie damit dem Besitzer desselben, daſs er für sein Geld Getreide, Holz, Wild u. s. w. sich aneignen kann. Das Geld erzeugt so eine höhere Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes; eine solche, in der schon durch die Rechtsverfassung der spezifische Charakter jedes sonstigen Sachbesitzes aufgelöst und das geldbesitzende Individuum einer Unendlichkeit von Objekten gegenübergestellt wird, deren Ge- nuſs ihm gleichmäſsig durch die öffentliche Ordnung garantiert ist: es bestimmt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Frukti- fizierung, wie einseitig bestimmte Objekte es thun. Vom Geldbesitz gilt absolut nicht, was man von Staaten gesagt hat: daſs sie nur durch dieselben Mittel erhalten werden, durch die sie gegründet sind — was doch von so vielen anderen Besitzen, namentlich geistigen, aber auch sogar von vielfachem durch Geld erworbenem Besitz gilt, der ausschlieſs- lich durch dasselbe Interesse an der Sache erhalten werden kann, das zu seinem Erwerbe führte. Die völlige Unabhängigkeit des Geldes von seiner Genesis, sein eminent unhistorischer Charakter spiegelt sich nach vorwärts in der absoluten Unbestimmtheit seiner Verwendung. Durch die eine, allein mögliche Art verwendet und genossen zu werden,
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erlahmt, kann er Andere nicht mehr von dem Genuſs seines bis-
herigen Eigentums ausschlieſsen, und dieses wird ohne weiteres an
einen Anderen übergehen und ihm so lange verbleiben, wie seine Kraft
ausreicht, ihm die Ausschlieſslichkeit der Nutzungen des Objekts zu
garantieren. Im rechtlichen Zustande bedarf es dieser persönlichen
Kraft nicht mehr, indem die Gesamtheit dem Eigentümer den dauern-
den Besitz seines Eigentums und die Ausschlieſsung aller Anderen
davon sichert. Eigentum, so könnte man in diesem Falle sagen, sei
die sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutznieſsungen
eines Objekts. Dieser Eigentumsbegriff nun erfährt gewissermaſsen
eine Steigerung, sobald er sich am Gelde verwirklicht. Denn indem
jemand Geld besitzt, ist ihm durch die Verfassung des Gemeinwesens
nicht nur der Besitz desselben, sondern eben damit der Besitz sehr
vieler anderer Dinge zugesichert. Wenn jedes Eigentum an einer
Sache nur die Möglichkeit derjenigen bestimmten Nutznieſsung be-
deutet, die die Natur dieser Sache gestattet, so bedeutet Eigentum an
Geld die Möglichkeit der Nutznieſsung unbestimmt vieler Sachen. In
Bezug auf alles andere kann die öffentliche Ordnung dem Besitzer
nichts anderes gewährleisten, als was die besondere Art des Objekts
mit sich bringt: dem Landeigentümer, daſs niemand auſser ihm von
seinem Felde Früchte gewinnen darf, daſs er allein es bebauen oder
brachliegen lassen darf, dem Waldbesitzer, daſs er das Holz schlagen
und das Wild jagen darf u. s. w.; indem sie aber Geld prägt, garan-
tiert sie damit dem Besitzer desselben, daſs er für sein Geld Getreide,
Holz, Wild u. s. w. sich aneignen kann. Das Geld erzeugt so eine
höhere Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes; eine solche, in der
schon durch die Rechtsverfassung der spezifische Charakter jedes
sonstigen Sachbesitzes aufgelöst und das geldbesitzende Individuum
einer Unendlichkeit von Objekten gegenübergestellt wird, deren Ge-
nuſs ihm gleichmäſsig durch die öffentliche Ordnung garantiert ist: es
bestimmt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Frukti-
fizierung, wie einseitig bestimmte Objekte es thun. Vom Geldbesitz
gilt absolut nicht, was man von Staaten gesagt hat: daſs sie nur durch
dieselben Mittel erhalten werden, durch die sie gegründet sind — was
doch von so vielen anderen Besitzen, namentlich geistigen, aber auch
sogar von vielfachem durch Geld erworbenem Besitz gilt, der ausschlieſs-
lich durch dasselbe Interesse an der Sache erhalten werden kann, das
zu seinem Erwerbe führte. Die völlige Unabhängigkeit des Geldes von
seiner Genesis, sein eminent unhistorischer Charakter spiegelt sich
nach vorwärts in der absoluten Unbestimmtheit seiner Verwendung.
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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