eine immer schärfere und kräftigere wird. Auch die ästhetische Be- wegung der neueren Zeit setzt mit dem gleichen Doppelcharakter ein: der Naturalismus der van Eycks und des Quattrocento ist zugleich ein Herausarbeiten des Individuellsten in den Erscheinungen, das gleichzeitige Auftauchen der Satire, der Biographie, des Dramas in ihren ersten Formen trägt ebenso naturalistischen Stil, wie es auf das Individuum als solches angelegt ist -- das geschah, beiläufig bemerkt, in der Zeit, in der die Geldwirtschaft ihre sozialen Folgen merkbar zu entfalten begann. Hat doch auch schon der Höhepunkt des Griechen- tums ein recht objektives, dem naturgesetzlichen nahes Bild der Welt als die eine Seite seiner Lebensanschauung hervorgebracht, deren andere Seite die volle innere Freiheit und Aufsichselbst-Gestelltheit der Per- sönlichkeit bildete; und soweit bei den Griechen eine Unvollkommen- heit in der theoretischen Ausbildung des Freiheits- und Ichbegriffes bestand, entsprach ihr das gleiche Manko in der Strenge der natur- gesetzlichen Theorien. Welche Schwierigkeiten auch die Metaphysik in dem Verhältnis zwischen der objektiven Bestimmtheit der Dinge und der subjektiven Freiheit des Individuums finde: als Kulturinhalte gehen ihre Ausbildungen einander parallel und die Vertiefungen des einen scheinen, um das Gleichgewicht des inneren Lebens zu retten, die des anderen zu fordern.
Und hier mündet diese allgemeine Betrachtung in unser engeres Gebiet ein. Auch die Wirtschaft beginnt mit einer Ungeschiedenheit der personalen und der sachlichen Seite der Leistung. Die Indifferenz spaltet sich erst allmählich zum Gegensatz, aus der Produktion, dem Produkte, dem Umsatz tritt das personale Element mehr und mehr zurück. Dieser Prozess aber entbindet die individuelle Freiheit. Wie wir eben sahen, dass diese sich in dem Masse entfaltet, in dem die Natur für uns objektiver, sachlicher, eigen-gesetzmässiger wird -- so steigert sie sich mit der Objektivierung und Entpersonalisierung des wirtschaftlichen Kosmos. So wenig in der wirtschaftlichen Einsamkeit einer unsozialen Existenz das positive Gefühl der individuellen Un- abhängigkeit erwächst, so wenig in einem Weltbild, das von der Ge- setzmässigkeit und der strengen Objektivität der Natur noch nichts weiss; erst an diesem Gegensatz kommt, wie an jenem, das Gefühl einer eigentümlichen Kraft und eines eigentümlichen Wertes des Für- sichseins zustande. Ja auch für das Verhältnis zur Natur scheint es, als ob in der Isolierung der Primitivwirtschaft -- also in der Periode der Unkenntnis der Naturgesetzlichkeit im heutigen Sinne -- eine um so stärkere Unfreiheit durch die abergläubische Auffassung der Natur geherrscht habe. Erst indem die Wirtschaft sich zu ihrer vollen Aus-
eine immer schärfere und kräftigere wird. Auch die ästhetische Be- wegung der neueren Zeit setzt mit dem gleichen Doppelcharakter ein: der Naturalismus der van Eycks und des Quattrocento ist zugleich ein Herausarbeiten des Individuellsten in den Erscheinungen, das gleichzeitige Auftauchen der Satire, der Biographie, des Dramas in ihren ersten Formen trägt ebenso naturalistischen Stil, wie es auf das Individuum als solches angelegt ist — das geschah, beiläufig bemerkt, in der Zeit, in der die Geldwirtschaft ihre sozialen Folgen merkbar zu entfalten begann. Hat doch auch schon der Höhepunkt des Griechen- tums ein recht objektives, dem naturgesetzlichen nahes Bild der Welt als die eine Seite seiner Lebensanschauung hervorgebracht, deren andere Seite die volle innere Freiheit und Aufsichselbst-Gestelltheit der Per- sönlichkeit bildete; und soweit bei den Griechen eine Unvollkommen- heit in der theoretischen Ausbildung des Freiheits- und Ichbegriffes bestand, entsprach ihr das gleiche Manko in der Strenge der natur- gesetzlichen Theorien. Welche Schwierigkeiten auch die Metaphysik in dem Verhältnis zwischen der objektiven Bestimmtheit der Dinge und der subjektiven Freiheit des Individuums finde: als Kulturinhalte gehen ihre Ausbildungen einander parallel und die Vertiefungen des einen scheinen, um das Gleichgewicht des inneren Lebens zu retten, die des anderen zu fordern.
Und hier mündet diese allgemeine Betrachtung in unser engeres Gebiet ein. Auch die Wirtschaft beginnt mit einer Ungeschiedenheit der personalen und der sachlichen Seite der Leistung. Die Indifferenz spaltet sich erst allmählich zum Gegensatz, aus der Produktion, dem Produkte, dem Umsatz tritt das personale Element mehr und mehr zurück. Dieser Prozeſs aber entbindet die individuelle Freiheit. Wie wir eben sahen, daſs diese sich in dem Maſse entfaltet, in dem die Natur für uns objektiver, sachlicher, eigen-gesetzmäſsiger wird — so steigert sie sich mit der Objektivierung und Entpersonalisierung des wirtschaftlichen Kosmos. So wenig in der wirtschaftlichen Einsamkeit einer unsozialen Existenz das positive Gefühl der individuellen Un- abhängigkeit erwächst, so wenig in einem Weltbild, das von der Ge- setzmäſsigkeit und der strengen Objektivität der Natur noch nichts weiſs; erst an diesem Gegensatz kommt, wie an jenem, das Gefühl einer eigentümlichen Kraft und eines eigentümlichen Wertes des Für- sichseins zustande. Ja auch für das Verhältnis zur Natur scheint es, als ob in der Isolierung der Primitivwirtschaft — also in der Periode der Unkenntnis der Naturgesetzlichkeit im heutigen Sinne — eine um so stärkere Unfreiheit durch die abergläubische Auffassung der Natur geherrscht habe. Erst indem die Wirtschaft sich zu ihrer vollen Aus-
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[301/0325]
eine immer schärfere und kräftigere wird. Auch die ästhetische Be-
wegung der neueren Zeit setzt mit dem gleichen Doppelcharakter ein:
der Naturalismus der van Eycks und des Quattrocento ist zugleich
ein Herausarbeiten des Individuellsten in den Erscheinungen, das
gleichzeitige Auftauchen der Satire, der Biographie, des Dramas in
ihren ersten Formen trägt ebenso naturalistischen Stil, wie es auf das
Individuum als solches angelegt ist — das geschah, beiläufig bemerkt,
in der Zeit, in der die Geldwirtschaft ihre sozialen Folgen merkbar
zu entfalten begann. Hat doch auch schon der Höhepunkt des Griechen-
tums ein recht objektives, dem naturgesetzlichen nahes Bild der Welt
als die eine Seite seiner Lebensanschauung hervorgebracht, deren andere
Seite die volle innere Freiheit und Aufsichselbst-Gestelltheit der Per-
sönlichkeit bildete; und soweit bei den Griechen eine Unvollkommen-
heit in der theoretischen Ausbildung des Freiheits- und Ichbegriffes
bestand, entsprach ihr das gleiche Manko in der Strenge der natur-
gesetzlichen Theorien. Welche Schwierigkeiten auch die Metaphysik
in dem Verhältnis zwischen der objektiven Bestimmtheit der Dinge
und der subjektiven Freiheit des Individuums finde: als Kulturinhalte
gehen ihre Ausbildungen einander parallel und die Vertiefungen des
einen scheinen, um das Gleichgewicht des inneren Lebens zu retten,
die des anderen zu fordern.
Und hier mündet diese allgemeine Betrachtung in unser engeres
Gebiet ein. Auch die Wirtschaft beginnt mit einer Ungeschiedenheit
der personalen und der sachlichen Seite der Leistung. Die Indifferenz
spaltet sich erst allmählich zum Gegensatz, aus der Produktion, dem
Produkte, dem Umsatz tritt das personale Element mehr und mehr
zurück. Dieser Prozeſs aber entbindet die individuelle Freiheit. Wie
wir eben sahen, daſs diese sich in dem Maſse entfaltet, in dem die
Natur für uns objektiver, sachlicher, eigen-gesetzmäſsiger wird —
so steigert sie sich mit der Objektivierung und Entpersonalisierung des
wirtschaftlichen Kosmos. So wenig in der wirtschaftlichen Einsamkeit
einer unsozialen Existenz das positive Gefühl der individuellen Un-
abhängigkeit erwächst, so wenig in einem Weltbild, das von der Ge-
setzmäſsigkeit und der strengen Objektivität der Natur noch nichts
weiſs; erst an diesem Gegensatz kommt, wie an jenem, das Gefühl
einer eigentümlichen Kraft und eines eigentümlichen Wertes des Für-
sichseins zustande. Ja auch für das Verhältnis zur Natur scheint es,
als ob in der Isolierung der Primitivwirtschaft — also in der Periode
der Unkenntnis der Naturgesetzlichkeit im heutigen Sinne — eine um
so stärkere Unfreiheit durch die abergläubische Auffassung der Natur
geherrscht habe. Erst indem die Wirtschaft sich zu ihrer vollen Aus-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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