die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistung würde ihn auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem eigensten Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden Arbeitsorganisation hervorgehen. Wenn es je einen seiner Grundidee adäquaten Staatssozialismus geben könnte, so würde er diese Differen- zierung der Lebensform ausprägen.
Die Geldwirtschaft aber zeichnet die Skizze derselben auf dem Gebiet der privaten Interessen, indem das Geld einerseits durch seine unendliche Biegsamkeit und Teilbarkeit jene Vielheit ökonomischer Abhängigkeiten ermöglicht, andrerseits durch sein indifferentes und objektives Wesen die Entfernung des personalen Elementes aus den Be- ziehungen zwischen Menschen begünstigt. Mit dem modernen Kultur- menschen verglichen ist der Angehörige irgend einer alten oder primi- tiven Wirtschaft nur von einem Minimum von Menschen abhängig; nicht nur ist der Kreis unserer Bedürfnisse ein sehr erheblich weiterer, sondern selbst die elementaren Notwendigkeiten, die uns mit jenen gemeinsam sind (Nahrung, Kleidung, Obdach), können wir nur mit Hilfe eines viel grösseren Apparates und durch viel mehr Hände hindurch befriedigen; und nicht nur verlangt die Spezialisierung unserer Thätigkeit einen unendlich ausgedehnteren Kreis andrer Produzenten, mit denen wir die Produkte austauschen, sondern die unmittelbare Thätigkeit selbst ist auf eine wachsende Zahl von Vorarbeiten, Hilfs- kräften, Halbprodukten angewiesen. Nun aber war der relativ ganz enge Kreis, von dem der Mensch einer wenig oder gar nicht ent- wickelten Geldwirtschaft abhängig war, dafür viel mehr personal fest- gelegt. Es waren diese bestimmten, persönlich bekannten, gleichsam unauswechselbaren Menschen, mit denen der altgermanische Bauer oder der indianische Gentilgenosse, der Angehörige der slavischen oder der indischen Hauskommunion, ja vielfach noch der mittelalterliche Mensch in wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen stand; um je wenigere auf einander angewiesene Funktionen es sich handelt, um so beharrender und bedeutsamer waren ihre Träger. Von wie vielen "Lieferanten" allein ist dagegen der geldwirtschaftliche Mensch abhängig! Aber von dem einzelnen, bestimmten derselben ist er unvergleichlich unabhängiger und wechselt leicht und beliebig oft mit ihm. Wir brauchen noch jetzt nur die Lebensverhältnisse in einer kleinen Stadt mit denen einer grossen zu vergleichen, um diese Entwicklung zwar herabgesetzt, aber doch noch unverkennbar vor uns zu haben. Während der Mensch der früheren Stufe die geringere Anzahl seiner Abhängigkeiten mit der
die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistung würde ihn auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem eigensten Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden Arbeitsorganisation hervorgehen. Wenn es je einen seiner Grundidee adäquaten Staatssozialismus geben könnte, so würde er diese Differen- zierung der Lebensform ausprägen.
Die Geldwirtschaft aber zeichnet die Skizze derselben auf dem Gebiet der privaten Interessen, indem das Geld einerseits durch seine unendliche Biegsamkeit und Teilbarkeit jene Vielheit ökonomischer Abhängigkeiten ermöglicht, andrerseits durch sein indifferentes und objektives Wesen die Entfernung des personalen Elementes aus den Be- ziehungen zwischen Menschen begünstigt. Mit dem modernen Kultur- menschen verglichen ist der Angehörige irgend einer alten oder primi- tiven Wirtschaft nur von einem Minimum von Menschen abhängig; nicht nur ist der Kreis unserer Bedürfnisse ein sehr erheblich weiterer, sondern selbst die elementaren Notwendigkeiten, die uns mit jenen gemeinsam sind (Nahrung, Kleidung, Obdach), können wir nur mit Hilfe eines viel gröſseren Apparates und durch viel mehr Hände hindurch befriedigen; und nicht nur verlangt die Spezialisierung unserer Thätigkeit einen unendlich ausgedehnteren Kreis andrer Produzenten, mit denen wir die Produkte austauschen, sondern die unmittelbare Thätigkeit selbst ist auf eine wachsende Zahl von Vorarbeiten, Hilfs- kräften, Halbprodukten angewiesen. Nun aber war der relativ ganz enge Kreis, von dem der Mensch einer wenig oder gar nicht ent- wickelten Geldwirtschaft abhängig war, dafür viel mehr personal fest- gelegt. Es waren diese bestimmten, persönlich bekannten, gleichsam unauswechselbaren Menschen, mit denen der altgermanische Bauer oder der indianische Gentilgenosse, der Angehörige der slavischen oder der indischen Hauskommunion, ja vielfach noch der mittelalterliche Mensch in wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen stand; um je wenigere auf einander angewiesene Funktionen es sich handelt, um so beharrender und bedeutsamer waren ihre Träger. Von wie vielen „Lieferanten“ allein ist dagegen der geldwirtschaftliche Mensch abhängig! Aber von dem einzelnen, bestimmten derselben ist er unvergleichlich unabhängiger und wechselt leicht und beliebig oft mit ihm. Wir brauchen noch jetzt nur die Lebensverhältnisse in einer kleinen Stadt mit denen einer groſsen zu vergleichen, um diese Entwicklung zwar herabgesetzt, aber doch noch unverkennbar vor uns zu haben. Während der Mensch der früheren Stufe die geringere Anzahl seiner Abhängigkeiten mit der
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die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistung würde ihn
auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die
Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem
eigensten Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm
gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden
Arbeitsorganisation hervorgehen. Wenn es je einen seiner Grundidee
adäquaten Staatssozialismus geben könnte, so würde er diese Differen-
zierung der Lebensform ausprägen.
Die Geldwirtschaft aber zeichnet die Skizze derselben auf dem
Gebiet der privaten Interessen, indem das Geld einerseits durch seine
unendliche Biegsamkeit und Teilbarkeit jene Vielheit ökonomischer
Abhängigkeiten ermöglicht, andrerseits durch sein indifferentes und
objektives Wesen die Entfernung des personalen Elementes aus den Be-
ziehungen zwischen Menschen begünstigt. Mit dem modernen Kultur-
menschen verglichen ist der Angehörige irgend einer alten oder primi-
tiven Wirtschaft nur von einem Minimum von Menschen abhängig; nicht
nur ist der Kreis unserer Bedürfnisse ein sehr erheblich weiterer,
sondern selbst die elementaren Notwendigkeiten, die uns mit jenen
gemeinsam sind (Nahrung, Kleidung, Obdach), können wir nur mit
Hilfe eines viel gröſseren Apparates und durch viel mehr Hände
hindurch befriedigen; und nicht nur verlangt die Spezialisierung unserer
Thätigkeit einen unendlich ausgedehnteren Kreis andrer Produzenten,
mit denen wir die Produkte austauschen, sondern die unmittelbare
Thätigkeit selbst ist auf eine wachsende Zahl von Vorarbeiten, Hilfs-
kräften, Halbprodukten angewiesen. Nun aber war der relativ ganz
enge Kreis, von dem der Mensch einer wenig oder gar nicht ent-
wickelten Geldwirtschaft abhängig war, dafür viel mehr personal fest-
gelegt. Es waren diese bestimmten, persönlich bekannten, gleichsam
unauswechselbaren Menschen, mit denen der altgermanische Bauer oder
der indianische Gentilgenosse, der Angehörige der slavischen oder der
indischen Hauskommunion, ja vielfach noch der mittelalterliche Mensch
in wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen stand; um je wenigere
auf einander angewiesene Funktionen es sich handelt, um so beharrender
und bedeutsamer waren ihre Träger. Von wie vielen „Lieferanten“
allein ist dagegen der geldwirtschaftliche Mensch abhängig! Aber von
dem einzelnen, bestimmten derselben ist er unvergleichlich unabhängiger
und wechselt leicht und beliebig oft mit ihm. Wir brauchen noch
jetzt nur die Lebensverhältnisse in einer kleinen Stadt mit denen einer
groſsen zu vergleichen, um diese Entwicklung zwar herabgesetzt, aber
doch noch unverkennbar vor uns zu haben. Während der Mensch der
früheren Stufe die geringere Anzahl seiner Abhängigkeiten mit der
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/318>, abgerufen am 22.11.2024.
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