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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Diese allgemeine Thatsache, deren Bedeutung das folgende dar-
zustellen hat, hat die Entwicklung zur Voraussetzung, durch die die
Person überhaupt zur bestimmten Persönlichkeit wird. Dies geschieht
offenbar erst dadurch, dass eine Mehrzahl von Qualitäten, Charakter-
zügen, Kräften sich in ihr zusammenfinden. Sie ist freilich relative
Einheit, aber diese Einheit wird doch nur wirklich und wirksam, indem
sie verschiedene Bestimmungen vereinheitlicht. Wie der physische
Organismus darin sein Wesen hat, dass er aus einer Vielheit materieller
Teile die Einheit des Lebensprozesses bildet, so beruht auch die innere
persönliche Einheit des Menschen auf der Wechselwirkung und dem
Zusammenhang vielfacher Elemente und Bestimmungen. Jedes einzelne
derselben, isoliert betrachtet, trägt objektiven Charakter, d. h. es ist
an und für sich noch nichts eigentlich Persönliches. Weder Schönheit
noch Hässlichkeit, weder das physische noch das intellektuelle Kraft-
mass, weder die Berufsthätigkeit noch zufällige Neigungen, noch all die
anderen unzähligen Züge des Menschlichen legen als vereinzelte eine
Persönlichkeit unzweideutig fest; denn jede von ihnen kann mit be-
liebigen anderen, einander ganz entgegengesetzten Eigenschaften ver-
bunden sein und sich als die immer gleiche in dem Bilde unbegrenzt
vieler Persönlichkeiten finden. Erst indem mehrere von ihnen sich
gleichsam in einem Brennpunkt treffen und aneinander haften, bilden
sie eine Persönlichkeit, welche nun ihrerseits zurückwirkend jeden
einzelnen Zug als einen persönlich-subjektiven charakterisiert. Nicht
dass er dieses oder jenes ist, macht den Menschen zu der unverwechsel-
baren Persönlichkeit, sondern dass er dieses und jenes ist. Die rätsel-
hafte Einheit der Seele ist unserem Vorstellen nicht unmittelbar zu-
gängig, sondern nur, wenn sie sich in eine Vielheit von Strahlen
gebrochen hat, durch deren Synthese sie dann erst wieder als diese
eine und bestimmte bezeichenbar wird.

Die so bedingte Personalität nun wird in den geldwirtschaftlichen
Verhältnissen fast gänzlich aufgelöst. Der Lieferant, der Geldgeber,
der Arbeiter, von denen man abhängig ist, wirken gar nicht als
Persönlichkeiten, weil sie in das Verhältnis nur nach der je einen
Seite eintreten, dass sie Waren liefern, Geld geben, Arbeit leisten, und
anderweitige Bestimmtheiten ihrer gar nicht in Betracht kommen, deren
Hinzutreten zu jenen doch allein ihnen die persönliche Färbung ver-
leihen würde; womit natürlich nur der absolute Endpunkt der sich
jetzt vollziehenden, aber an vielen Punkten noch unvollendeten
Entwicklung bezeichnet wird -- denn die Abhängigkeiten der Menschen
von einander sind thatsächlich heute noch nicht völlig objektiviert, die
persönlichen Momente noch nicht vollkommen ausgeschlossen. Die

Diese allgemeine Thatsache, deren Bedeutung das folgende dar-
zustellen hat, hat die Entwicklung zur Voraussetzung, durch die die
Person überhaupt zur bestimmten Persönlichkeit wird. Dies geschieht
offenbar erst dadurch, daſs eine Mehrzahl von Qualitäten, Charakter-
zügen, Kräften sich in ihr zusammenfinden. Sie ist freilich relative
Einheit, aber diese Einheit wird doch nur wirklich und wirksam, indem
sie verschiedene Bestimmungen vereinheitlicht. Wie der physische
Organismus darin sein Wesen hat, daſs er aus einer Vielheit materieller
Teile die Einheit des Lebensprozesses bildet, so beruht auch die innere
persönliche Einheit des Menschen auf der Wechselwirkung und dem
Zusammenhang vielfacher Elemente und Bestimmungen. Jedes einzelne
derselben, isoliert betrachtet, trägt objektiven Charakter, d. h. es ist
an und für sich noch nichts eigentlich Persönliches. Weder Schönheit
noch Häſslichkeit, weder das physische noch das intellektuelle Kraft-
maſs, weder die Berufsthätigkeit noch zufällige Neigungen, noch all die
anderen unzähligen Züge des Menschlichen legen als vereinzelte eine
Persönlichkeit unzweideutig fest; denn jede von ihnen kann mit be-
liebigen anderen, einander ganz entgegengesetzten Eigenschaften ver-
bunden sein und sich als die immer gleiche in dem Bilde unbegrenzt
vieler Persönlichkeiten finden. Erst indem mehrere von ihnen sich
gleichsam in einem Brennpunkt treffen und aneinander haften, bilden
sie eine Persönlichkeit, welche nun ihrerseits zurückwirkend jeden
einzelnen Zug als einen persönlich-subjektiven charakterisiert. Nicht
daſs er dieses oder jenes ist, macht den Menschen zu der unverwechsel-
baren Persönlichkeit, sondern daſs er dieses und jenes ist. Die rätsel-
hafte Einheit der Seele ist unserem Vorstellen nicht unmittelbar zu-
gängig, sondern nur, wenn sie sich in eine Vielheit von Strahlen
gebrochen hat, durch deren Synthese sie dann erst wieder als diese
eine und bestimmte bezeichenbar wird.

Die so bedingte Personalität nun wird in den geldwirtschaftlichen
Verhältnissen fast gänzlich aufgelöst. Der Lieferant, der Geldgeber,
der Arbeiter, von denen man abhängig ist, wirken gar nicht als
Persönlichkeiten, weil sie in das Verhältnis nur nach der je einen
Seite eintreten, daſs sie Waren liefern, Geld geben, Arbeit leisten, und
anderweitige Bestimmtheiten ihrer gar nicht in Betracht kommen, deren
Hinzutreten zu jenen doch allein ihnen die persönliche Färbung ver-
leihen würde; womit natürlich nur der absolute Endpunkt der sich
jetzt vollziehenden, aber an vielen Punkten noch unvollendeten
Entwicklung bezeichnet wird — denn die Abhängigkeiten der Menschen
von einander sind thatsächlich heute noch nicht völlig objektiviert, die
persönlichen Momente noch nicht vollkommen ausgeschlossen. Die

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[292/0316] Diese allgemeine Thatsache, deren Bedeutung das folgende dar- zustellen hat, hat die Entwicklung zur Voraussetzung, durch die die Person überhaupt zur bestimmten Persönlichkeit wird. Dies geschieht offenbar erst dadurch, daſs eine Mehrzahl von Qualitäten, Charakter- zügen, Kräften sich in ihr zusammenfinden. Sie ist freilich relative Einheit, aber diese Einheit wird doch nur wirklich und wirksam, indem sie verschiedene Bestimmungen vereinheitlicht. Wie der physische Organismus darin sein Wesen hat, daſs er aus einer Vielheit materieller Teile die Einheit des Lebensprozesses bildet, so beruht auch die innere persönliche Einheit des Menschen auf der Wechselwirkung und dem Zusammenhang vielfacher Elemente und Bestimmungen. Jedes einzelne derselben, isoliert betrachtet, trägt objektiven Charakter, d. h. es ist an und für sich noch nichts eigentlich Persönliches. Weder Schönheit noch Häſslichkeit, weder das physische noch das intellektuelle Kraft- maſs, weder die Berufsthätigkeit noch zufällige Neigungen, noch all die anderen unzähligen Züge des Menschlichen legen als vereinzelte eine Persönlichkeit unzweideutig fest; denn jede von ihnen kann mit be- liebigen anderen, einander ganz entgegengesetzten Eigenschaften ver- bunden sein und sich als die immer gleiche in dem Bilde unbegrenzt vieler Persönlichkeiten finden. Erst indem mehrere von ihnen sich gleichsam in einem Brennpunkt treffen und aneinander haften, bilden sie eine Persönlichkeit, welche nun ihrerseits zurückwirkend jeden einzelnen Zug als einen persönlich-subjektiven charakterisiert. Nicht daſs er dieses oder jenes ist, macht den Menschen zu der unverwechsel- baren Persönlichkeit, sondern daſs er dieses und jenes ist. Die rätsel- hafte Einheit der Seele ist unserem Vorstellen nicht unmittelbar zu- gängig, sondern nur, wenn sie sich in eine Vielheit von Strahlen gebrochen hat, durch deren Synthese sie dann erst wieder als diese eine und bestimmte bezeichenbar wird. Die so bedingte Personalität nun wird in den geldwirtschaftlichen Verhältnissen fast gänzlich aufgelöst. Der Lieferant, der Geldgeber, der Arbeiter, von denen man abhängig ist, wirken gar nicht als Persönlichkeiten, weil sie in das Verhältnis nur nach der je einen Seite eintreten, daſs sie Waren liefern, Geld geben, Arbeit leisten, und anderweitige Bestimmtheiten ihrer gar nicht in Betracht kommen, deren Hinzutreten zu jenen doch allein ihnen die persönliche Färbung ver- leihen würde; womit natürlich nur der absolute Endpunkt der sich jetzt vollziehenden, aber an vielen Punkten noch unvollendeten Entwicklung bezeichnet wird — denn die Abhängigkeiten der Menschen von einander sind thatsächlich heute noch nicht völlig objektiviert, die persönlichen Momente noch nicht vollkommen ausgeschlossen. Die

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/316>, abgerufen am 25.11.2024.