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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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stellt. Eine genaue Parallele dazu zeigt das Kreditgeschäft. Im Mittel-
alter war es sehr schwierig, die Kreditwürdigkeit des einzelnen Kauf-
manns zu ermitteln, wodurch dieser selbst ebenso wie der Geldgeber
in ihren Aktionen gehemmt und herabgesetzt wurden. Erst an den
Börsen des 16. Jahrhunderts, besonders Lyons und Antwerpens, kam
es dahin, dass die Wechsel gewisser Häuser von vornherein als gut
galten, es entstand der Begriff einer nicht abgestuften Kreditwürdigkeit
schlechthin, die die Obligation zu einem objektiven, fungibeln, von der
persönlichen Abwägung der Kreditwürdigkeit unabhängigen Werte
machten; die Häuser mochten sonst noch recht verschieden qualifiziert
sein, für ihre Verpflichtungen aber waren sie gut, und damit wurden
diese, für den sachlichen Zweck genügend, von den sonstigen individu-
ellen Bestimmtheiten gelöst. Wie allenthalben die Börse das Geld-
wesen zu seiner reinsten Form steigert, so hat sie hier durch Kreierung
des allgemeinen und sachlichen Begriffes des "Gutseins" in typischer
Weise eine Entlastung nach einer Seite hin geschaffen, der keine Be-
lastung nach der andern gegenübersteht, sondern durch Überführung
individuell schwankender Taxierungen in eine objektiv gültige Qualität
sowohl dem Kreditgeber wie dem Kreditnehmer gleichmässige Er-
leichterungen gewährt.

Die Bedeutung der Geldwirtschaft für die individuelle Freiheit
vertieft sich nun, wenn wir nach der Form fragen, welche die bei ihr
noch fortbestehenden Abhängigkeitsverhältnisse eigentlich haben; sie
ermöglicht nicht nur, wie nach dem bisherigen, eine Lösung, sondern
eine besondere Art der gegenseitigen Abhängigkeit, die einem gleich-
zeitigen Maximum von Freiheit Raum giebt. Zunächst stiftet sie, äusser-
lich angesehen, eine Reihe sonst ungekannter Bindungen. Seit in den
Boden, um ihm das erforderliche Früchtequantum abzugewinnen, ein
erhebliches Betriebskapital versenkt werden muss, das meistens nur
durch hypothekarische Beleihung aufkommt; seit die Geräte nicht mehr
unmittelbar aus den Rohstoffen, sondern auf dem Wege über so und
so viele Vorbearbeitungen hergestellt werden; seit der Arbeiter im
wesentlichen mit Produktionsmitteln arbeitet, die ihm selbst nicht ge-
hören -- hat die Abhängigkeit von dritten Personen ganz neue Gebiete
ergriffen. Von je mehr sachlichen Bedingungen vermöge der kompli-
zierteren Technik das Thun und Sein der Menschen abhängig wird,
von desto mehr Personen muss es notwendig abhängig werden. Allein
diese Personen erhalten ihre Bedeutung für das Subjekt ausschliesslich
als Träger jener Funktionen, Besitzer jener Kapitalien, Vermittler
jener Arbeitsbedingungen; was sie ausserdem als Personen sind, steht
in dieser Hinsicht gar nicht in Frage.

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stellt. Eine genaue Parallele dazu zeigt das Kreditgeschäft. Im Mittel-
alter war es sehr schwierig, die Kreditwürdigkeit des einzelnen Kauf-
manns zu ermitteln, wodurch dieser selbst ebenso wie der Geldgeber
in ihren Aktionen gehemmt und herabgesetzt wurden. Erst an den
Börsen des 16. Jahrhunderts, besonders Lyons und Antwerpens, kam
es dahin, daſs die Wechsel gewisser Häuser von vornherein als gut
galten, es entstand der Begriff einer nicht abgestuften Kreditwürdigkeit
schlechthin, die die Obligation zu einem objektiven, fungibeln, von der
persönlichen Abwägung der Kreditwürdigkeit unabhängigen Werte
machten; die Häuser mochten sonst noch recht verschieden qualifiziert
sein, für ihre Verpflichtungen aber waren sie gut, und damit wurden
diese, für den sachlichen Zweck genügend, von den sonstigen individu-
ellen Bestimmtheiten gelöst. Wie allenthalben die Börse das Geld-
wesen zu seiner reinsten Form steigert, so hat sie hier durch Kreierung
des allgemeinen und sachlichen Begriffes des „Gutseins“ in typischer
Weise eine Entlastung nach einer Seite hin geschaffen, der keine Be-
lastung nach der andern gegenübersteht, sondern durch Überführung
individuell schwankender Taxierungen in eine objektiv gültige Qualität
sowohl dem Kreditgeber wie dem Kreditnehmer gleichmäſsige Er-
leichterungen gewährt.

Die Bedeutung der Geldwirtschaft für die individuelle Freiheit
vertieft sich nun, wenn wir nach der Form fragen, welche die bei ihr
noch fortbestehenden Abhängigkeitsverhältnisse eigentlich haben; sie
ermöglicht nicht nur, wie nach dem bisherigen, eine Lösung, sondern
eine besondere Art der gegenseitigen Abhängigkeit, die einem gleich-
zeitigen Maximum von Freiheit Raum giebt. Zunächst stiftet sie, äuſser-
lich angesehen, eine Reihe sonst ungekannter Bindungen. Seit in den
Boden, um ihm das erforderliche Früchtequantum abzugewinnen, ein
erhebliches Betriebskapital versenkt werden muſs, das meistens nur
durch hypothekarische Beleihung aufkommt; seit die Geräte nicht mehr
unmittelbar aus den Rohstoffen, sondern auf dem Wege über so und
so viele Vorbearbeitungen hergestellt werden; seit der Arbeiter im
wesentlichen mit Produktionsmitteln arbeitet, die ihm selbst nicht ge-
hören — hat die Abhängigkeit von dritten Personen ganz neue Gebiete
ergriffen. Von je mehr sachlichen Bedingungen vermöge der kompli-
zierteren Technik das Thun und Sein der Menschen abhängig wird,
von desto mehr Personen muſs es notwendig abhängig werden. Allein
diese Personen erhalten ihre Bedeutung für das Subjekt ausschlieſslich
als Träger jener Funktionen, Besitzer jener Kapitalien, Vermittler
jener Arbeitsbedingungen; was sie auſserdem als Personen sind, steht
in dieser Hinsicht gar nicht in Frage.

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[291/0315] stellt. Eine genaue Parallele dazu zeigt das Kreditgeschäft. Im Mittel- alter war es sehr schwierig, die Kreditwürdigkeit des einzelnen Kauf- manns zu ermitteln, wodurch dieser selbst ebenso wie der Geldgeber in ihren Aktionen gehemmt und herabgesetzt wurden. Erst an den Börsen des 16. Jahrhunderts, besonders Lyons und Antwerpens, kam es dahin, daſs die Wechsel gewisser Häuser von vornherein als gut galten, es entstand der Begriff einer nicht abgestuften Kreditwürdigkeit schlechthin, die die Obligation zu einem objektiven, fungibeln, von der persönlichen Abwägung der Kreditwürdigkeit unabhängigen Werte machten; die Häuser mochten sonst noch recht verschieden qualifiziert sein, für ihre Verpflichtungen aber waren sie gut, und damit wurden diese, für den sachlichen Zweck genügend, von den sonstigen individu- ellen Bestimmtheiten gelöst. Wie allenthalben die Börse das Geld- wesen zu seiner reinsten Form steigert, so hat sie hier durch Kreierung des allgemeinen und sachlichen Begriffes des „Gutseins“ in typischer Weise eine Entlastung nach einer Seite hin geschaffen, der keine Be- lastung nach der andern gegenübersteht, sondern durch Überführung individuell schwankender Taxierungen in eine objektiv gültige Qualität sowohl dem Kreditgeber wie dem Kreditnehmer gleichmäſsige Er- leichterungen gewährt. Die Bedeutung der Geldwirtschaft für die individuelle Freiheit vertieft sich nun, wenn wir nach der Form fragen, welche die bei ihr noch fortbestehenden Abhängigkeitsverhältnisse eigentlich haben; sie ermöglicht nicht nur, wie nach dem bisherigen, eine Lösung, sondern eine besondere Art der gegenseitigen Abhängigkeit, die einem gleich- zeitigen Maximum von Freiheit Raum giebt. Zunächst stiftet sie, äuſser- lich angesehen, eine Reihe sonst ungekannter Bindungen. Seit in den Boden, um ihm das erforderliche Früchtequantum abzugewinnen, ein erhebliches Betriebskapital versenkt werden muſs, das meistens nur durch hypothekarische Beleihung aufkommt; seit die Geräte nicht mehr unmittelbar aus den Rohstoffen, sondern auf dem Wege über so und so viele Vorbearbeitungen hergestellt werden; seit der Arbeiter im wesentlichen mit Produktionsmitteln arbeitet, die ihm selbst nicht ge- hören — hat die Abhängigkeit von dritten Personen ganz neue Gebiete ergriffen. Von je mehr sachlichen Bedingungen vermöge der kompli- zierteren Technik das Thun und Sein der Menschen abhängig wird, von desto mehr Personen muſs es notwendig abhängig werden. Allein diese Personen erhalten ihre Bedeutung für das Subjekt ausschlieſslich als Träger jener Funktionen, Besitzer jener Kapitalien, Vermittler jener Arbeitsbedingungen; was sie auſserdem als Personen sind, steht in dieser Hinsicht gar nicht in Frage. 19*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/315>, abgerufen am 22.11.2024.