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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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seiner oder ihrer Natur nach unveränderliches halten, so dass nur die
Formen und die Träger desselben wechseln können. Schopenhauer
neigt sich der Annahme zu, dass jedem Menschen sein Mass von Leiden
und Freuden von vornherein bestimmt ist; es könne weder überfüllt
werden noch leer bleiben, und alle äusseren Umstände, auf die wir
unser Befinden zu schieben pflegen, stellten nur einen Unterschied in
der Art und Form, jenes unveränderliche Lust- und Leid-Quantum zu
empfinden, dar. Erweitert man diese individualistische Vorstellung
auf die menschliche Gesamtheit, so erscheint all unser Glücksstreben,
die Entwicklung aller Verhältnisse, aller Kampf um Haben und Sein
als ein blosses Hin- und Herschieben von Werten, deren Gesamtsumme
dadurch nicht verändert werden kann, so dass aller Wechsel in der Ver-
teilung nur die fundamentale Erscheinung bedeutet, dass der Eine jetzt
besitzt, was der Andere -- freiwillig oder nicht -- weggegeben hat.
Diese Erhaltung der Werte entspricht ersichtlich einer pessimistisch-
quietistischen Weltansicht; denn je weniger man uns im stande glaubt,
wirklich neue Werte hervorzubringen, um so wichtiger ist es, dass auch
keiner wirklich verloren gehe. In paradoxer Konsequenz lehrt das die
in Indien verbreitete Vorstellung, dass, wenn man einen heiligen As-
keten zu Falle bringe, sein Verdienst auf den Versucher übergehe!

Aber auch direkt gegenteilige Erscheinungen sind zu beachten.
Mit allen jenen Gemütsverhältnissen, deren Glück nicht nur in dem
Gewinnen, sondern ebenso in dem eigenen Sichhingeben liegt und wo
jeder wechselseitig und gleichmässig durch den anderen bereichert wird,
erwächst ein Wert, dessen Genuss nicht durch die Entbehrung einer
Gegenpartei erkauft wird. Ebenso wenig bedeutet die Mitteilung in-
tellektueller Güter, dass dem Einen genommen werden muss, was der
Andere geniessen soll; wenigstens kann nur eine an das Pathologische
streifende Empfindungssubtilität sich wirklich beraubt fühlen, wenn
irgend ein objektiver geistiger Inhalt nicht mehr unser ausschliessliches
Eigentum ist, sondern von anderen nachgedacht wird. Im ganzen
kann man vom geistigen Besitz, wenigstens soweit er sich nicht in
ökonomischen fortsetzt, sagen, dass er nicht auf Kosten eines anderen
gewonnen wird, weil er nicht aus einem Vorrat genommen wird,
sondern selbst bei aller Gegebenheit seines Inhaltes doch schliesslich
aus dem eigenen Bewusstsein des Erwerbers erzeugt werden muss.
Diese Versöhnung der Interessen, die hier aus der Natur des Objektes
hervorgeht, gilt es nun offenbar auch auf denjenigen ökonomischen Ge-
bieten herzustellen, wo die Konkurrenz um die Befriedigung des ein-
zelnen Bedürfnisses jeden nur auf Kosten eines anderen bereichert.
Es giebt nun zwei Typen von Mitteln, um diesen Zustand in jenen

seiner oder ihrer Natur nach unveränderliches halten, so daſs nur die
Formen und die Träger desselben wechseln können. Schopenhauer
neigt sich der Annahme zu, daſs jedem Menschen sein Maſs von Leiden
und Freuden von vornherein bestimmt ist; es könne weder überfüllt
werden noch leer bleiben, und alle äuſseren Umstände, auf die wir
unser Befinden zu schieben pflegen, stellten nur einen Unterschied in
der Art und Form, jenes unveränderliche Lust- und Leid-Quantum zu
empfinden, dar. Erweitert man diese individualistische Vorstellung
auf die menschliche Gesamtheit, so erscheint all unser Glücksstreben,
die Entwicklung aller Verhältnisse, aller Kampf um Haben und Sein
als ein bloſses Hin- und Herschieben von Werten, deren Gesamtsumme
dadurch nicht verändert werden kann, so daſs aller Wechsel in der Ver-
teilung nur die fundamentale Erscheinung bedeutet, daſs der Eine jetzt
besitzt, was der Andere — freiwillig oder nicht — weggegeben hat.
Diese Erhaltung der Werte entspricht ersichtlich einer pessimistisch-
quietistischen Weltansicht; denn je weniger man uns im stande glaubt,
wirklich neue Werte hervorzubringen, um so wichtiger ist es, daſs auch
keiner wirklich verloren gehe. In paradoxer Konsequenz lehrt das die
in Indien verbreitete Vorstellung, daſs, wenn man einen heiligen As-
keten zu Falle bringe, sein Verdienst auf den Versucher übergehe!

Aber auch direkt gegenteilige Erscheinungen sind zu beachten.
Mit allen jenen Gemütsverhältnissen, deren Glück nicht nur in dem
Gewinnen, sondern ebenso in dem eigenen Sichhingeben liegt und wo
jeder wechselseitig und gleichmäſsig durch den anderen bereichert wird,
erwächst ein Wert, dessen Genuſs nicht durch die Entbehrung einer
Gegenpartei erkauft wird. Ebenso wenig bedeutet die Mitteilung in-
tellektueller Güter, daſs dem Einen genommen werden muſs, was der
Andere genieſsen soll; wenigstens kann nur eine an das Pathologische
streifende Empfindungssubtilität sich wirklich beraubt fühlen, wenn
irgend ein objektiver geistiger Inhalt nicht mehr unser ausschlieſsliches
Eigentum ist, sondern von anderen nachgedacht wird. Im ganzen
kann man vom geistigen Besitz, wenigstens soweit er sich nicht in
ökonomischen fortsetzt, sagen, daſs er nicht auf Kosten eines anderen
gewonnen wird, weil er nicht aus einem Vorrat genommen wird,
sondern selbst bei aller Gegebenheit seines Inhaltes doch schlieſslich
aus dem eigenen Bewuſstsein des Erwerbers erzeugt werden muſs.
Diese Versöhnung der Interessen, die hier aus der Natur des Objektes
hervorgeht, gilt es nun offenbar auch auf denjenigen ökonomischen Ge-
bieten herzustellen, wo die Konkurrenz um die Befriedigung des ein-
zelnen Bedürfnisses jeden nur auf Kosten eines anderen bereichert.
Es giebt nun zwei Typen von Mitteln, um diesen Zustand in jenen

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[286/0310] seiner oder ihrer Natur nach unveränderliches halten, so daſs nur die Formen und die Träger desselben wechseln können. Schopenhauer neigt sich der Annahme zu, daſs jedem Menschen sein Maſs von Leiden und Freuden von vornherein bestimmt ist; es könne weder überfüllt werden noch leer bleiben, und alle äuſseren Umstände, auf die wir unser Befinden zu schieben pflegen, stellten nur einen Unterschied in der Art und Form, jenes unveränderliche Lust- und Leid-Quantum zu empfinden, dar. Erweitert man diese individualistische Vorstellung auf die menschliche Gesamtheit, so erscheint all unser Glücksstreben, die Entwicklung aller Verhältnisse, aller Kampf um Haben und Sein als ein bloſses Hin- und Herschieben von Werten, deren Gesamtsumme dadurch nicht verändert werden kann, so daſs aller Wechsel in der Ver- teilung nur die fundamentale Erscheinung bedeutet, daſs der Eine jetzt besitzt, was der Andere — freiwillig oder nicht — weggegeben hat. Diese Erhaltung der Werte entspricht ersichtlich einer pessimistisch- quietistischen Weltansicht; denn je weniger man uns im stande glaubt, wirklich neue Werte hervorzubringen, um so wichtiger ist es, daſs auch keiner wirklich verloren gehe. In paradoxer Konsequenz lehrt das die in Indien verbreitete Vorstellung, daſs, wenn man einen heiligen As- keten zu Falle bringe, sein Verdienst auf den Versucher übergehe! Aber auch direkt gegenteilige Erscheinungen sind zu beachten. Mit allen jenen Gemütsverhältnissen, deren Glück nicht nur in dem Gewinnen, sondern ebenso in dem eigenen Sichhingeben liegt und wo jeder wechselseitig und gleichmäſsig durch den anderen bereichert wird, erwächst ein Wert, dessen Genuſs nicht durch die Entbehrung einer Gegenpartei erkauft wird. Ebenso wenig bedeutet die Mitteilung in- tellektueller Güter, daſs dem Einen genommen werden muſs, was der Andere genieſsen soll; wenigstens kann nur eine an das Pathologische streifende Empfindungssubtilität sich wirklich beraubt fühlen, wenn irgend ein objektiver geistiger Inhalt nicht mehr unser ausschlieſsliches Eigentum ist, sondern von anderen nachgedacht wird. Im ganzen kann man vom geistigen Besitz, wenigstens soweit er sich nicht in ökonomischen fortsetzt, sagen, daſs er nicht auf Kosten eines anderen gewonnen wird, weil er nicht aus einem Vorrat genommen wird, sondern selbst bei aller Gegebenheit seines Inhaltes doch schlieſslich aus dem eigenen Bewuſstsein des Erwerbers erzeugt werden muſs. Diese Versöhnung der Interessen, die hier aus der Natur des Objektes hervorgeht, gilt es nun offenbar auch auf denjenigen ökonomischen Ge- bieten herzustellen, wo die Konkurrenz um die Befriedigung des ein- zelnen Bedürfnisses jeden nur auf Kosten eines anderen bereichert. Es giebt nun zwei Typen von Mitteln, um diesen Zustand in jenen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/310>, abgerufen am 22.11.2024.