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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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stimmung unserer Goldwährung, nach der Zahlungen oberhalb einer
gewissen Höhe in Gold verlangt werden können, während man für
niedere anderes Metall nehmen muss; der prinzipielle und technische
Unterschied zwischen Wertmünze und Scheidemünze, auf den dies
zurückgeht, scheint für jene Usance nicht zu bestehen, sondern die
Geldsorten scheinen eine einheitliche Reihe zu bilden, in der nur die
höheren Glieder ihren quantitativen Inhalt zu einem besonderen, quan-
titativ nicht ausdrückbaren Formwert zusammenschliessen. Dies ist
ein vortreffliches Mittel, der Trivialisierung der Geldfunktion vor-
zubeugen, die die unvermeidliche Folge des blossen Quantitätscharakters
ist, und ihr den sakralen Charakter zu erhalten, den sie anfänglich so
oft trägt. Aber es ist auch der Hinweis, dass solche Form- oder
Qualitätsbedeutungen des Geldes einer Primitivepoche angehören, in
der es eben noch nicht bloss Geld, sondern ausserdem noch etwas ist.
Sehr viel schwächer, gleichsam verhallend, klingt dieser Ton noch in
spärlichen Erscheinungen der höchsten Entwicklungsstufen mit. So muss
etwa die folgende ursprünglich auf eine Formbedeutung des Geldes
zurückgehen: das französische Volk sagt lieber 20 Sous statt 1 Fr., lieber
piece de cent sous statt 5 Fr.-Stück u. s. w.; auch kann man nicht
gut: halber Frank sagen, sondern drückt diese Summe durch Sous oder
Centimes aus. Die gleiche Summe scheint also, in dieser Form vor-
gestellt, einigermassen andere Gefühlsreaktionen zu wecken, als in
anderer. Es ist auch sonst schon bemerkt, dass das mit niederen Werten
rechnende Volk bestimmte Grössen lieber durch Addition von unten
her als durch Teilung von oben her bezeichnet. Die Summe, die aus
der Vervielfältigung der vertrauten Einheit hervorgegangen ist, scheint
nicht nur ihre Bedeutung überschaubarer und vernehmlicher auszudrücken,
sondern dieses subjektive Moment objektiviert sich in ein Gefühl, als
sei die Summe, so ausgedrückt, auch an sich etwas grösseres und volleres,
als wenn sie sich in andern Faktoren darstellt. Unterschiede in dieser
Art waren in Norddeutschland zu beobachten, als an die Stelle der
Thaler die Markrechnung trat. In der Übergangszeit waren "drei-
hundert Mark" vielfach von ganz andern psychischen Obertönen
begleitet als "hundert Thaler", die neue Form, in der der identische
Inhalt sich ausdrückte, erschien umfänglicher, reichlicher als die
andere, diese dagegen als konziser, bestimmter in sich geschlossen.
Dieser Art also sind die Erscheinungen, in denen die in allen andern
Dingen so wesentliche Form sich am Gelde wenigstens andeutet und
die ihm sonst eigene unbedingte Identität der Summe, welche Form
man ihr auch leihen mag, einigermassen unterbricht.

Was man im übrigen und im allgemeinen am Gelde dennoch als

stimmung unserer Goldwährung, nach der Zahlungen oberhalb einer
gewissen Höhe in Gold verlangt werden können, während man für
niedere anderes Metall nehmen muſs; der prinzipielle und technische
Unterschied zwischen Wertmünze und Scheidemünze, auf den dies
zurückgeht, scheint für jene Usance nicht zu bestehen, sondern die
Geldsorten scheinen eine einheitliche Reihe zu bilden, in der nur die
höheren Glieder ihren quantitativen Inhalt zu einem besonderen, quan-
titativ nicht ausdrückbaren Formwert zusammenschlieſsen. Dies ist
ein vortreffliches Mittel, der Trivialisierung der Geldfunktion vor-
zubeugen, die die unvermeidliche Folge des bloſsen Quantitätscharakters
ist, und ihr den sakralen Charakter zu erhalten, den sie anfänglich so
oft trägt. Aber es ist auch der Hinweis, daſs solche Form- oder
Qualitätsbedeutungen des Geldes einer Primitivepoche angehören, in
der es eben noch nicht bloſs Geld, sondern auſserdem noch etwas ist.
Sehr viel schwächer, gleichsam verhallend, klingt dieser Ton noch in
spärlichen Erscheinungen der höchsten Entwicklungsstufen mit. So muſs
etwa die folgende ursprünglich auf eine Formbedeutung des Geldes
zurückgehen: das französische Volk sagt lieber 20 Sous statt 1 Fr., lieber
pièce de cent sous statt 5 Fr.-Stück u. s. w.; auch kann man nicht
gut: halber Frank sagen, sondern drückt diese Summe durch Sous oder
Centimes aus. Die gleiche Summe scheint also, in dieser Form vor-
gestellt, einigermaſsen andere Gefühlsreaktionen zu wecken, als in
anderer. Es ist auch sonst schon bemerkt, daſs das mit niederen Werten
rechnende Volk bestimmte Gröſsen lieber durch Addition von unten
her als durch Teilung von oben her bezeichnet. Die Summe, die aus
der Vervielfältigung der vertrauten Einheit hervorgegangen ist, scheint
nicht nur ihre Bedeutung überschaubarer und vernehmlicher auszudrücken,
sondern dieses subjektive Moment objektiviert sich in ein Gefühl, als
sei die Summe, so ausgedrückt, auch an sich etwas gröſseres und volleres,
als wenn sie sich in andern Faktoren darstellt. Unterschiede in dieser
Art waren in Norddeutschland zu beobachten, als an die Stelle der
Thaler die Markrechnung trat. In der Übergangszeit waren „drei-
hundert Mark“ vielfach von ganz andern psychischen Obertönen
begleitet als „hundert Thaler“, die neue Form, in der der identische
Inhalt sich ausdrückte, erschien umfänglicher, reichlicher als die
andere, diese dagegen als konziser, bestimmter in sich geschlossen.
Dieser Art also sind die Erscheinungen, in denen die in allen andern
Dingen so wesentliche Form sich am Gelde wenigstens andeutet und
die ihm sonst eigene unbedingte Identität der Summe, welche Form
man ihr auch leihen mag, einigermaſsen unterbricht.

Was man im übrigen und im allgemeinen am Gelde dennoch als

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[271/0295] stimmung unserer Goldwährung, nach der Zahlungen oberhalb einer gewissen Höhe in Gold verlangt werden können, während man für niedere anderes Metall nehmen muſs; der prinzipielle und technische Unterschied zwischen Wertmünze und Scheidemünze, auf den dies zurückgeht, scheint für jene Usance nicht zu bestehen, sondern die Geldsorten scheinen eine einheitliche Reihe zu bilden, in der nur die höheren Glieder ihren quantitativen Inhalt zu einem besonderen, quan- titativ nicht ausdrückbaren Formwert zusammenschlieſsen. Dies ist ein vortreffliches Mittel, der Trivialisierung der Geldfunktion vor- zubeugen, die die unvermeidliche Folge des bloſsen Quantitätscharakters ist, und ihr den sakralen Charakter zu erhalten, den sie anfänglich so oft trägt. Aber es ist auch der Hinweis, daſs solche Form- oder Qualitätsbedeutungen des Geldes einer Primitivepoche angehören, in der es eben noch nicht bloſs Geld, sondern auſserdem noch etwas ist. Sehr viel schwächer, gleichsam verhallend, klingt dieser Ton noch in spärlichen Erscheinungen der höchsten Entwicklungsstufen mit. So muſs etwa die folgende ursprünglich auf eine Formbedeutung des Geldes zurückgehen: das französische Volk sagt lieber 20 Sous statt 1 Fr., lieber pièce de cent sous statt 5 Fr.-Stück u. s. w.; auch kann man nicht gut: halber Frank sagen, sondern drückt diese Summe durch Sous oder Centimes aus. Die gleiche Summe scheint also, in dieser Form vor- gestellt, einigermaſsen andere Gefühlsreaktionen zu wecken, als in anderer. Es ist auch sonst schon bemerkt, daſs das mit niederen Werten rechnende Volk bestimmte Gröſsen lieber durch Addition von unten her als durch Teilung von oben her bezeichnet. Die Summe, die aus der Vervielfältigung der vertrauten Einheit hervorgegangen ist, scheint nicht nur ihre Bedeutung überschaubarer und vernehmlicher auszudrücken, sondern dieses subjektive Moment objektiviert sich in ein Gefühl, als sei die Summe, so ausgedrückt, auch an sich etwas gröſseres und volleres, als wenn sie sich in andern Faktoren darstellt. Unterschiede in dieser Art waren in Norddeutschland zu beobachten, als an die Stelle der Thaler die Markrechnung trat. In der Übergangszeit waren „drei- hundert Mark“ vielfach von ganz andern psychischen Obertönen begleitet als „hundert Thaler“, die neue Form, in der der identische Inhalt sich ausdrückte, erschien umfänglicher, reichlicher als die andere, diese dagegen als konziser, bestimmter in sich geschlossen. Dieser Art also sind die Erscheinungen, in denen die in allen andern Dingen so wesentliche Form sich am Gelde wenigstens andeutet und die ihm sonst eigene unbedingte Identität der Summe, welche Form man ihr auch leihen mag, einigermaſsen unterbricht. Was man im übrigen und im allgemeinen am Gelde dennoch als

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/295>, abgerufen am 23.11.2024.