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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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genossen zu haben, giebt dem Leben einen Wert, der durch das Noch-
Einmal ebendesselben durchaus nicht verhältnismässig gesteigert wird.
Grade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zu-
spitzung geworden ist und den Widerstand der Materie -- im weitesten
Sinne -- seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen
eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit,
der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die
Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Be-
deutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der
Zahl seiner Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Thatsache,
dass es überhaupt da ist, dass es, und kein anderes, gilt -- so haben
die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser
Leben darin, dass sie überhaupt einmal da waren, ohne dass eine
Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn ver-
mehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wert-
gefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger,
während ihre Formlosigkeit grade auf diese als wert-entscheidende
hinweist. --

Solange noch nicht so grenzenlos viele Zweckreihen sich im Geld
schneiden, wie auf den Höhen der geldwirtschaftlichen Kultur, und noch
nicht fortwährendes Zerbröckeln und Wieder-Summieren jede Eigen-
struktur seiner atomisiert und in absolute Flexibilität übergeführt hat --
begegnen Erscheinungen, in denen das Geld noch spezifische Form
zeigt. Das ist da der Fall, wo eine höhere Summe nicht durch
addierte kleinere ersetzt werden kann. Ansätze dazu zeigt schon der
Naturaltauschverkehr: bei manchen Völkern darf etwa Vieh nur
gegen Eisen und Zeuge, nicht aber gegen -- sonst tauschwert-
vollen -- Tabak vertauscht werden. Anderwärts, z. B. auf der Insel
Yap, haben die ausserordentlich mannigfaltigen Geldsorten (Knochen,
Perlmutterschalen, Steine, Glasstücke u. s. w.) eine Rangordnung.
Trotzdem nämlich feststeht, ein wie Vielfaches der niederen Geldsorten
die höheren gelten, so dürfen doch gewisse wertvollere Dinge, wie
Boote oder Häuser, nicht etwa mit entsprechend vielen niederen Geld-
stücken, sondern müssen mit einer für jedes Objekt bestimmten, im
Range hochstehenden Geldsorte bezahlt werden. Für den Kauf von
Frauen finden wir gleichfalls diese Beschränkung auf eine bestimmte Geld-
qualität, die nicht durch eine Quantität anderer ersetzbar ist, in Gültig-
keit. Und auch in umgekehrter Richtung gilt eben dieselbe: an
einigen Stellen wird das Gold nie verwendet, um grössere Quanten
geringerer Waren, sondern ausschliesslich um besonders kostbare Dinge
einzukaufen. Dieser Erscheinungskreis entspricht nicht etwa der Be-

genossen zu haben, giebt dem Leben einen Wert, der durch das Noch-
Einmal ebendesselben durchaus nicht verhältnismäſsig gesteigert wird.
Grade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zu-
spitzung geworden ist und den Widerstand der Materie — im weitesten
Sinne — seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen
eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit,
der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die
Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Be-
deutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der
Zahl seiner Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Thatsache,
daſs es überhaupt da ist, daſs es, und kein anderes, gilt — so haben
die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser
Leben darin, daſs sie überhaupt einmal da waren, ohne daſs eine
Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn ver-
mehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wert-
gefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger,
während ihre Formlosigkeit grade auf diese als wert-entscheidende
hinweist. —

Solange noch nicht so grenzenlos viele Zweckreihen sich im Geld
schneiden, wie auf den Höhen der geldwirtschaftlichen Kultur, und noch
nicht fortwährendes Zerbröckeln und Wieder-Summieren jede Eigen-
struktur seiner atomisiert und in absolute Flexibilität übergeführt hat —
begegnen Erscheinungen, in denen das Geld noch spezifische Form
zeigt. Das ist da der Fall, wo eine höhere Summe nicht durch
addierte kleinere ersetzt werden kann. Ansätze dazu zeigt schon der
Naturaltauschverkehr: bei manchen Völkern darf etwa Vieh nur
gegen Eisen und Zeuge, nicht aber gegen — sonst tauschwert-
vollen — Tabak vertauscht werden. Anderwärts, z. B. auf der Insel
Yap, haben die auſserordentlich mannigfaltigen Geldsorten (Knochen,
Perlmutterschalen, Steine, Glasstücke u. s. w.) eine Rangordnung.
Trotzdem nämlich feststeht, ein wie Vielfaches der niederen Geldsorten
die höheren gelten, so dürfen doch gewisse wertvollere Dinge, wie
Boote oder Häuser, nicht etwa mit entsprechend vielen niederen Geld-
stücken, sondern müssen mit einer für jedes Objekt bestimmten, im
Range hochstehenden Geldsorte bezahlt werden. Für den Kauf von
Frauen finden wir gleichfalls diese Beschränkung auf eine bestimmte Geld-
qualität, die nicht durch eine Quantität anderer ersetzbar ist, in Gültig-
keit. Und auch in umgekehrter Richtung gilt eben dieselbe: an
einigen Stellen wird das Gold nie verwendet, um gröſsere Quanten
geringerer Waren, sondern ausschlieſslich um besonders kostbare Dinge
einzukaufen. Dieser Erscheinungskreis entspricht nicht etwa der Be-

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[270/0294] genossen zu haben, giebt dem Leben einen Wert, der durch das Noch- Einmal ebendesselben durchaus nicht verhältnismäſsig gesteigert wird. Grade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zu- spitzung geworden ist und den Widerstand der Materie — im weitesten Sinne — seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit, der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Be- deutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der Zahl seiner Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Thatsache, daſs es überhaupt da ist, daſs es, und kein anderes, gilt — so haben die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser Leben darin, daſs sie überhaupt einmal da waren, ohne daſs eine Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn ver- mehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wert- gefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger, während ihre Formlosigkeit grade auf diese als wert-entscheidende hinweist. — Solange noch nicht so grenzenlos viele Zweckreihen sich im Geld schneiden, wie auf den Höhen der geldwirtschaftlichen Kultur, und noch nicht fortwährendes Zerbröckeln und Wieder-Summieren jede Eigen- struktur seiner atomisiert und in absolute Flexibilität übergeführt hat — begegnen Erscheinungen, in denen das Geld noch spezifische Form zeigt. Das ist da der Fall, wo eine höhere Summe nicht durch addierte kleinere ersetzt werden kann. Ansätze dazu zeigt schon der Naturaltauschverkehr: bei manchen Völkern darf etwa Vieh nur gegen Eisen und Zeuge, nicht aber gegen — sonst tauschwert- vollen — Tabak vertauscht werden. Anderwärts, z. B. auf der Insel Yap, haben die auſserordentlich mannigfaltigen Geldsorten (Knochen, Perlmutterschalen, Steine, Glasstücke u. s. w.) eine Rangordnung. Trotzdem nämlich feststeht, ein wie Vielfaches der niederen Geldsorten die höheren gelten, so dürfen doch gewisse wertvollere Dinge, wie Boote oder Häuser, nicht etwa mit entsprechend vielen niederen Geld- stücken, sondern müssen mit einer für jedes Objekt bestimmten, im Range hochstehenden Geldsorte bezahlt werden. Für den Kauf von Frauen finden wir gleichfalls diese Beschränkung auf eine bestimmte Geld- qualität, die nicht durch eine Quantität anderer ersetzbar ist, in Gültig- keit. Und auch in umgekehrter Richtung gilt eben dieselbe: an einigen Stellen wird das Gold nie verwendet, um gröſsere Quanten geringerer Waren, sondern ausschlieſslich um besonders kostbare Dinge einzukaufen. Dieser Erscheinungskreis entspricht nicht etwa der Be-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/294>, abgerufen am 23.11.2024.