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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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haltens der Dinge ein, die ihre auffälligste Erfüllung auf psycho-
logischem Gebiet findet. Es handelt sich darum, dass quantitative
Steigerungen von Erscheinungen, die als Ursachen wirken, nicht immer
die gleichmässige, entsprechende Steigerung ihrer Folgen hervorrufen.
Vielmehr, derjenige Stärkezuwachs der Ursache, der einen bestimmten
Zuwachs der Folge veranlasste, kann auf höheren Stufen derselben Skala
nicht mehr zu dem gleichen zureichen, sondern es wird bei absolut
gesteigerten Massen einer sehr gesteigerten Einwirkung bedürfen, um
nur den gleichen Effekt zu erzielen. Ich erinnere etwa an die
häufige Erscheinung, dass Betriebsmittel, die auf einem neu erschlossenen
Erwerbsgebiet ein bestimmtes Erträgnis geben, später sehr vermehrt
werden müssen, um eben dasselbe zu erzielen; oder an die Wirkung
von Medikamenten, die sich anfangs durch eine geringe Erhöhung der
Dosierung erheblich steigern lässt, während spätere, objektiv gleiche
Vermehrungen nur sehr verminderte Wirkungen ausüben; oder an die
Beglückung, die in beengten Vermögensverhältnissen ein Gewinn her-
vorruft, nach dessen kontinuierlicher Fortsetzung schliesslich dem gleichen
Gewinnquantum gar keine Glücksreaktion mehr entspricht. Das häufigst
behandelte Beispiel betrifft die sogenannte Schwelle des Bewusstseins:
äussere Reize, die unsere Nerven treffen, sind unterhalb einer gewissen
Stärke überhaupt nicht merkbar; mit Erreichung derselben lösen sie
plötzlich Empfindungen aus, ihre bloss quantitative Steigerung schlägt
in eine Wirkung von äusserst qualitativer Bestimmtheit um; in mancherlei
Fällen aber erreicht die Steigerung auch wieder in Bezug auf diese
Wirkung eine obere Grenze, so dass die einfache Fortsetzung der Reiz-
verstärkung über diese hinaus die Empfindung wieder verschwinden
lässt. Hiermit ist schon auf die zugespitzteste Form jener Diskrepanz
zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, die durch die bloss quanti-
tative Steigerung der ersteren veranlasst wird: auf das direkte Um-
springen der Wirkung in ihr Gegenteil. An dem obigen Beispiel der
Medikamente findet auch dies statt: insbesondere durch homöopathische
Versuche steht es fest, dass durch rein quantitative Abänderungen der
Dosierung bei einem und demselben Patienten eine direkte Gegensätz-
lichkeit der Wirkungen erzielt werden kann; auch bei Elektrisationen
ist beobachtet, dass häufigere Wiederholungen den Erfolg in sein Gegen-
teil und wieder in das Gegenteil des Gegenteiles umschlagen liessen.
Dass fast alle lustbringenden Sinnesreize durch blosse Häufung und
Verstärkung nach einer anfänglichen Hebung des Lustgefühles zu einer
Aufhebung desselben und zu positiven Schmerzen führen können, ist
eine alltägliche Erfahrung von grosser und typischer Bedeutung. End-
lich zeigt sich die Inkommensurabilität zwischen dem objektiven, ver-

haltens der Dinge ein, die ihre auffälligste Erfüllung auf psycho-
logischem Gebiet findet. Es handelt sich darum, daſs quantitative
Steigerungen von Erscheinungen, die als Ursachen wirken, nicht immer
die gleichmäſsige, entsprechende Steigerung ihrer Folgen hervorrufen.
Vielmehr, derjenige Stärkezuwachs der Ursache, der einen bestimmten
Zuwachs der Folge veranlaſste, kann auf höheren Stufen derselben Skala
nicht mehr zu dem gleichen zureichen, sondern es wird bei absolut
gesteigerten Maſsen einer sehr gesteigerten Einwirkung bedürfen, um
nur den gleichen Effekt zu erzielen. Ich erinnere etwa an die
häufige Erscheinung, daſs Betriebsmittel, die auf einem neu erschlossenen
Erwerbsgebiet ein bestimmtes Erträgnis geben, später sehr vermehrt
werden müssen, um eben dasselbe zu erzielen; oder an die Wirkung
von Medikamenten, die sich anfangs durch eine geringe Erhöhung der
Dosierung erheblich steigern läſst, während spätere, objektiv gleiche
Vermehrungen nur sehr verminderte Wirkungen ausüben; oder an die
Beglückung, die in beengten Vermögensverhältnissen ein Gewinn her-
vorruft, nach dessen kontinuierlicher Fortsetzung schlieſslich dem gleichen
Gewinnquantum gar keine Glücksreaktion mehr entspricht. Das häufigst
behandelte Beispiel betrifft die sogenannte Schwelle des Bewuſstseins:
äuſsere Reize, die unsere Nerven treffen, sind unterhalb einer gewissen
Stärke überhaupt nicht merkbar; mit Erreichung derselben lösen sie
plötzlich Empfindungen aus, ihre bloſs quantitative Steigerung schlägt
in eine Wirkung von äuſserst qualitativer Bestimmtheit um; in mancherlei
Fällen aber erreicht die Steigerung auch wieder in Bezug auf diese
Wirkung eine obere Grenze, so daſs die einfache Fortsetzung der Reiz-
verstärkung über diese hinaus die Empfindung wieder verschwinden
läſst. Hiermit ist schon auf die zugespitzteste Form jener Diskrepanz
zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, die durch die bloſs quanti-
tative Steigerung der ersteren veranlaſst wird: auf das direkte Um-
springen der Wirkung in ihr Gegenteil. An dem obigen Beispiel der
Medikamente findet auch dies statt: insbesondere durch homöopathische
Versuche steht es fest, daſs durch rein quantitative Abänderungen der
Dosierung bei einem und demselben Patienten eine direkte Gegensätz-
lichkeit der Wirkungen erzielt werden kann; auch bei Elektrisationen
ist beobachtet, daſs häufigere Wiederholungen den Erfolg in sein Gegen-
teil und wieder in das Gegenteil des Gegenteiles umschlagen lieſsen.
Daſs fast alle lustbringenden Sinnesreize durch bloſse Häufung und
Verstärkung nach einer anfänglichen Hebung des Lustgefühles zu einer
Aufhebung desselben und zu positiven Schmerzen führen können, ist
eine alltägliche Erfahrung von groſser und typischer Bedeutung. End-
lich zeigt sich die Inkommensurabilität zwischen dem objektiven, ver-

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[255/0279] haltens der Dinge ein, die ihre auffälligste Erfüllung auf psycho- logischem Gebiet findet. Es handelt sich darum, daſs quantitative Steigerungen von Erscheinungen, die als Ursachen wirken, nicht immer die gleichmäſsige, entsprechende Steigerung ihrer Folgen hervorrufen. Vielmehr, derjenige Stärkezuwachs der Ursache, der einen bestimmten Zuwachs der Folge veranlaſste, kann auf höheren Stufen derselben Skala nicht mehr zu dem gleichen zureichen, sondern es wird bei absolut gesteigerten Maſsen einer sehr gesteigerten Einwirkung bedürfen, um nur den gleichen Effekt zu erzielen. Ich erinnere etwa an die häufige Erscheinung, daſs Betriebsmittel, die auf einem neu erschlossenen Erwerbsgebiet ein bestimmtes Erträgnis geben, später sehr vermehrt werden müssen, um eben dasselbe zu erzielen; oder an die Wirkung von Medikamenten, die sich anfangs durch eine geringe Erhöhung der Dosierung erheblich steigern läſst, während spätere, objektiv gleiche Vermehrungen nur sehr verminderte Wirkungen ausüben; oder an die Beglückung, die in beengten Vermögensverhältnissen ein Gewinn her- vorruft, nach dessen kontinuierlicher Fortsetzung schlieſslich dem gleichen Gewinnquantum gar keine Glücksreaktion mehr entspricht. Das häufigst behandelte Beispiel betrifft die sogenannte Schwelle des Bewuſstseins: äuſsere Reize, die unsere Nerven treffen, sind unterhalb einer gewissen Stärke überhaupt nicht merkbar; mit Erreichung derselben lösen sie plötzlich Empfindungen aus, ihre bloſs quantitative Steigerung schlägt in eine Wirkung von äuſserst qualitativer Bestimmtheit um; in mancherlei Fällen aber erreicht die Steigerung auch wieder in Bezug auf diese Wirkung eine obere Grenze, so daſs die einfache Fortsetzung der Reiz- verstärkung über diese hinaus die Empfindung wieder verschwinden läſst. Hiermit ist schon auf die zugespitzteste Form jener Diskrepanz zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, die durch die bloſs quanti- tative Steigerung der ersteren veranlaſst wird: auf das direkte Um- springen der Wirkung in ihr Gegenteil. An dem obigen Beispiel der Medikamente findet auch dies statt: insbesondere durch homöopathische Versuche steht es fest, daſs durch rein quantitative Abänderungen der Dosierung bei einem und demselben Patienten eine direkte Gegensätz- lichkeit der Wirkungen erzielt werden kann; auch bei Elektrisationen ist beobachtet, daſs häufigere Wiederholungen den Erfolg in sein Gegen- teil und wieder in das Gegenteil des Gegenteiles umschlagen lieſsen. Daſs fast alle lustbringenden Sinnesreize durch bloſse Häufung und Verstärkung nach einer anfänglichen Hebung des Lustgefühles zu einer Aufhebung desselben und zu positiven Schmerzen führen können, ist eine alltägliche Erfahrung von groſser und typischer Bedeutung. End- lich zeigt sich die Inkommensurabilität zwischen dem objektiven, ver-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/279>, abgerufen am 24.11.2024.