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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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das Mittel, das der Welt sonst als der volle Repräsentant ihrer End-
zwecke gilt, hat die gleiche Steigerung zu einem definitiven Werte er-
fahren. Die ungeheure und ausgreifende Macht des Prozesses, durch
den das Geld aus seiner Mittlerstellung zu der Bedeutung eines Ab-
soluten aufsteigt, kann durch nichts ein schärferes Licht erhalten als
dadurch, dass die Verneinung seines Sinnes sich zu der gleichen Form
steigert.

Den Kreis dieser Erscheinungen, die das Wesen des Geldes durch
seine Reflexe beleuchten und durchsichtig machen sollen, schliesse ich
mit zwei, auf den Höhen der Geldkultur fast endemischen Vorkomm-
nissen: dem Zynismus und der Blasiertheit -- beides Ergebnisse
der Reduktion auf den Mittelwert des Geldes, die sich die spezifischen
Werte des Lebens gefallen lassen müssen; sie bilden gleichsam den
Revers der Erscheinungen von Geiz und Geldgier, indem jene Reduk-
tion sich an diesen in dem Aufwachsen eines neuen Endwertes, an
Zynismus und Blasiertheit aber in dem Herabsetzen aller alten offen-
bart. In ihnen vollendet sich die Negativität der teleologischen Reihen,
die das Geld schon in der Verschwendung und der Lust an der Ar-
mut zustande gebracht hat -- sie vollendet sich, indem sie jetzt nicht
nur die Einzelheit der Werte, die bloss im Gelde kristallisiert sind,
sondern die Thatsache der Werte überhaupt ergreift. So wenig das,
was wir heute Zynismus nennen, der fundamentalen Gesinnung nach
etwas mit der griechischen Lebensphilosophie, von der sein Name
stammt, zu thun hat, so besteht doch eine, wenn auch sozusagen per-
verse Beziehung zwischen beiden. Der antike Zynismus hatte ein ganz
positives Lebensideal: die unbedingte Seelenstärke und sittliche Frei-
heit des Individuums. Dies war ihm ein so unbedingter Wert, dass
ihm gegenüber alle Unterschiede sonst anerkannter Werte zunichte
wurden: ob jemand Herr oder Sklave ist, ob er seine Bedürfnisse
auf ästhetische oder unästhetische Weise befriedigt, ob er ein Vater-
land hat oder keins, ob er die Familienpflichten erfüllt oder nicht
-- das sei für den Weisen völlig gleichgültig und zwar nicht nur im
Vergleich
mit jenem absoluten Werte, sondern in dieser Gleichgültig-
keit offenbare sich grade dessen Vorhandensein. Für die jetzt als
zynisch bezeichnete Gesinnung scheint es mir entscheidend, dass auch
für sie keine Höhendifferenzen der Werte bestehen, und das im all-
gemeinen Hochgewertete seine einzige Bedeutung darin hat, auf
das Niveau des Niedrigsten herabgezogen zu werden -- dass aber der
positive und ideelle sittliche Endzweck dieser Nivellierung weggefallen
ist. Was für jene paradoxen Abkömmlinge sokratischer Lebensweisheit
ein Mittel oder ein sekundäres Ergebnis war, ist hier das Zentrum ge-

das Mittel, das der Welt sonst als der volle Repräsentant ihrer End-
zwecke gilt, hat die gleiche Steigerung zu einem definitiven Werte er-
fahren. Die ungeheure und ausgreifende Macht des Prozesses, durch
den das Geld aus seiner Mittlerstellung zu der Bedeutung eines Ab-
soluten aufsteigt, kann durch nichts ein schärferes Licht erhalten als
dadurch, daſs die Verneinung seines Sinnes sich zu der gleichen Form
steigert.

Den Kreis dieser Erscheinungen, die das Wesen des Geldes durch
seine Reflexe beleuchten und durchsichtig machen sollen, schlieſse ich
mit zwei, auf den Höhen der Geldkultur fast endemischen Vorkomm-
nissen: dem Zynismus und der Blasiertheit — beides Ergebnisse
der Reduktion auf den Mittelwert des Geldes, die sich die spezifischen
Werte des Lebens gefallen lassen müssen; sie bilden gleichsam den
Revers der Erscheinungen von Geiz und Geldgier, indem jene Reduk-
tion sich an diesen in dem Aufwachsen eines neuen Endwertes, an
Zynismus und Blasiertheit aber in dem Herabsetzen aller alten offen-
bart. In ihnen vollendet sich die Negativität der teleologischen Reihen,
die das Geld schon in der Verschwendung und der Lust an der Ar-
mut zustande gebracht hat — sie vollendet sich, indem sie jetzt nicht
nur die Einzelheit der Werte, die bloſs im Gelde kristallisiert sind,
sondern die Thatsache der Werte überhaupt ergreift. So wenig das,
was wir heute Zynismus nennen, der fundamentalen Gesinnung nach
etwas mit der griechischen Lebensphilosophie, von der sein Name
stammt, zu thun hat, so besteht doch eine, wenn auch sozusagen per-
verse Beziehung zwischen beiden. Der antike Zynismus hatte ein ganz
positives Lebensideal: die unbedingte Seelenstärke und sittliche Frei-
heit des Individuums. Dies war ihm ein so unbedingter Wert, daſs
ihm gegenüber alle Unterschiede sonst anerkannter Werte zunichte
wurden: ob jemand Herr oder Sklave ist, ob er seine Bedürfnisse
auf ästhetische oder unästhetische Weise befriedigt, ob er ein Vater-
land hat oder keins, ob er die Familienpflichten erfüllt oder nicht
— das sei für den Weisen völlig gleichgültig und zwar nicht nur im
Vergleich
mit jenem absoluten Werte, sondern in dieser Gleichgültig-
keit offenbare sich grade dessen Vorhandensein. Für die jetzt als
zynisch bezeichnete Gesinnung scheint es mir entscheidend, daſs auch
für sie keine Höhendifferenzen der Werte bestehen, und das im all-
gemeinen Hochgewertete seine einzige Bedeutung darin hat, auf
das Niveau des Niedrigsten herabgezogen zu werden — daſs aber der
positive und ideelle sittliche Endzweck dieser Nivellierung weggefallen
ist. Was für jene paradoxen Abkömmlinge sokratischer Lebensweisheit
ein Mittel oder ein sekundäres Ergebnis war, ist hier das Zentrum ge-

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[246/0270] das Mittel, das der Welt sonst als der volle Repräsentant ihrer End- zwecke gilt, hat die gleiche Steigerung zu einem definitiven Werte er- fahren. Die ungeheure und ausgreifende Macht des Prozesses, durch den das Geld aus seiner Mittlerstellung zu der Bedeutung eines Ab- soluten aufsteigt, kann durch nichts ein schärferes Licht erhalten als dadurch, daſs die Verneinung seines Sinnes sich zu der gleichen Form steigert. Den Kreis dieser Erscheinungen, die das Wesen des Geldes durch seine Reflexe beleuchten und durchsichtig machen sollen, schlieſse ich mit zwei, auf den Höhen der Geldkultur fast endemischen Vorkomm- nissen: dem Zynismus und der Blasiertheit — beides Ergebnisse der Reduktion auf den Mittelwert des Geldes, die sich die spezifischen Werte des Lebens gefallen lassen müssen; sie bilden gleichsam den Revers der Erscheinungen von Geiz und Geldgier, indem jene Reduk- tion sich an diesen in dem Aufwachsen eines neuen Endwertes, an Zynismus und Blasiertheit aber in dem Herabsetzen aller alten offen- bart. In ihnen vollendet sich die Negativität der teleologischen Reihen, die das Geld schon in der Verschwendung und der Lust an der Ar- mut zustande gebracht hat — sie vollendet sich, indem sie jetzt nicht nur die Einzelheit der Werte, die bloſs im Gelde kristallisiert sind, sondern die Thatsache der Werte überhaupt ergreift. So wenig das, was wir heute Zynismus nennen, der fundamentalen Gesinnung nach etwas mit der griechischen Lebensphilosophie, von der sein Name stammt, zu thun hat, so besteht doch eine, wenn auch sozusagen per- verse Beziehung zwischen beiden. Der antike Zynismus hatte ein ganz positives Lebensideal: die unbedingte Seelenstärke und sittliche Frei- heit des Individuums. Dies war ihm ein so unbedingter Wert, daſs ihm gegenüber alle Unterschiede sonst anerkannter Werte zunichte wurden: ob jemand Herr oder Sklave ist, ob er seine Bedürfnisse auf ästhetische oder unästhetische Weise befriedigt, ob er ein Vater- land hat oder keins, ob er die Familienpflichten erfüllt oder nicht — das sei für den Weisen völlig gleichgültig und zwar nicht nur im Vergleich mit jenem absoluten Werte, sondern in dieser Gleichgültig- keit offenbare sich grade dessen Vorhandensein. Für die jetzt als zynisch bezeichnete Gesinnung scheint es mir entscheidend, daſs auch für sie keine Höhendifferenzen der Werte bestehen, und das im all- gemeinen Hochgewertete seine einzige Bedeutung darin hat, auf das Niveau des Niedrigsten herabgezogen zu werden — daſs aber der positive und ideelle sittliche Endzweck dieser Nivellierung weggefallen ist. Was für jene paradoxen Abkömmlinge sokratischer Lebensweisheit ein Mittel oder ein sekundäres Ergebnis war, ist hier das Zentrum ge-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/270>, abgerufen am 24.11.2024.