seiner Wirkung auf uns berücksichtigt. An seiner Wirklichkeit haben wir fast niemals das, was er uns unter der Kategorie der Möglichkeit, des Habenwollens bedeutete. Die triviale Weisheit hat recht, dass der Besitz des Gewollten uns in der Regel enttäuscht, und zwar nach der guten wie nach der schlimmen Seite, wie auch so, dass das Anderssein des Habens nur als ein thatsächliches, aber von keinem Gefühl begleitetes bewusst wird. Das Geld indes nimmt hier eine Sonderstellung ein. Einerseits treibt es freilich jene Inkommensurabilität zwischen dem Wunsch und seinem Objekt auf den Gipfel. Die Bestrebung, die sich zunächst auf das Geld gerichtet hat, findet an ihm nur ein ganz bestimmungsloses Etwas, von dem ein Be- gehren, so lange es rationell ist, absolut nicht befriedigt werden kann, und das sich seinem völlig leeren Wesen nach jedem eigent- lichen Verhältnis zu uns entzieht; wenn es also nicht sofort darüber hinaus zu einem konkreten Ziel schreitet, so muss es in eine tötliche Enttäuschung auslaufen; wie sie denn auch unzählige Male da eintritt, wo der leidenschaftlich und als fraglose Beglückung ersehnte Geldreich- tum sich nach seiner Erreichung als das enthüllt, was er wirklich ist: als ein blosses Mittel, dessen Hinaufschraubung zu einem Endzweck seine Erreichung nicht überstehen konnte. Während hier also die fürchterlichste Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung besteht, findet genau das Umgekehrte statt, sobald der psychologische Endzweck- charakter des Geldes sich für die Dauer gefestigt hat und die Geld- gier also ein chronischer Zustand geworden ist. In diesem Fall näm- lich, wo die begehrte Sache überhaupt nichts gewähren soll als ihren Besitz, und wo diese Beschränkung des Wunsches nicht nur eine vor- übergehende Selbsttäuschung ist, da ist auch jeder Enttäuschung vor- gebeugt. Alle Dinge, die wir sonst zu besitzen begehren, sollen uns doch mit ihrem Besitz etwas leisten und in der unzulänglichen Vor- berechnung dieser Leistung liegt die ganze, oft tragische, oft humo- ristische Inkommensurabilität zwischen Wunsch und Erfüllung, von der ich eben sprach. Das Geld aber soll dem Geizhals von vornherein nichts über seinen blossen Besitz hinaus leisten. Das Geld als solches kennen wir genauer, als wir irgend einen Gegenstand sonst kennen; weil nämlich überhaupt nichts an ihm zu kennen ist, so kann es uns auch nichts verbergen. Als absolut qualitätloses Ding kann es nicht, was doch sonst das armseligste Objekt kann: Überraschungen oder Enttäuschungen in seinem Schosse bergen. Wer also wirklich und definitiv nur Geld will, ist vor diesen absolut sicher. Die allgemeine menschliche Unzulänglichkeit, dass das Gewonnene anders aussieht als das Ersehnte, erreicht einerseits ihren Gipfel in der Geldgier, sobald
seiner Wirkung auf uns berücksichtigt. An seiner Wirklichkeit haben wir fast niemals das, was er uns unter der Kategorie der Möglichkeit, des Habenwollens bedeutete. Die triviale Weisheit hat recht, daſs der Besitz des Gewollten uns in der Regel enttäuscht, und zwar nach der guten wie nach der schlimmen Seite, wie auch so, daſs das Anderssein des Habens nur als ein thatsächliches, aber von keinem Gefühl begleitetes bewuſst wird. Das Geld indes nimmt hier eine Sonderstellung ein. Einerseits treibt es freilich jene Inkommensurabilität zwischen dem Wunsch und seinem Objekt auf den Gipfel. Die Bestrebung, die sich zunächst auf das Geld gerichtet hat, findet an ihm nur ein ganz bestimmungsloses Etwas, von dem ein Be- gehren, so lange es rationell ist, absolut nicht befriedigt werden kann, und das sich seinem völlig leeren Wesen nach jedem eigent- lichen Verhältnis zu uns entzieht; wenn es also nicht sofort darüber hinaus zu einem konkreten Ziel schreitet, so muſs es in eine tötliche Enttäuschung auslaufen; wie sie denn auch unzählige Male da eintritt, wo der leidenschaftlich und als fraglose Beglückung ersehnte Geldreich- tum sich nach seiner Erreichung als das enthüllt, was er wirklich ist: als ein bloſses Mittel, dessen Hinaufschraubung zu einem Endzweck seine Erreichung nicht überstehen konnte. Während hier also die fürchterlichste Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung besteht, findet genau das Umgekehrte statt, sobald der psychologische Endzweck- charakter des Geldes sich für die Dauer gefestigt hat und die Geld- gier also ein chronischer Zustand geworden ist. In diesem Fall näm- lich, wo die begehrte Sache überhaupt nichts gewähren soll als ihren Besitz, und wo diese Beschränkung des Wunsches nicht nur eine vor- übergehende Selbsttäuschung ist, da ist auch jeder Enttäuschung vor- gebeugt. Alle Dinge, die wir sonst zu besitzen begehren, sollen uns doch mit ihrem Besitz etwas leisten und in der unzulänglichen Vor- berechnung dieser Leistung liegt die ganze, oft tragische, oft humo- ristische Inkommensurabilität zwischen Wunsch und Erfüllung, von der ich eben sprach. Das Geld aber soll dem Geizhals von vornherein nichts über seinen bloſsen Besitz hinaus leisten. Das Geld als solches kennen wir genauer, als wir irgend einen Gegenstand sonst kennen; weil nämlich überhaupt nichts an ihm zu kennen ist, so kann es uns auch nichts verbergen. Als absolut qualitätloses Ding kann es nicht, was doch sonst das armseligste Objekt kann: Überraschungen oder Enttäuschungen in seinem Schoſse bergen. Wer also wirklich und definitiv nur Geld will, ist vor diesen absolut sicher. Die allgemeine menschliche Unzulänglichkeit, daſs das Gewonnene anders aussieht als das Ersehnte, erreicht einerseits ihren Gipfel in der Geldgier, sobald
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seiner Wirkung auf uns berücksichtigt. An seiner Wirklichkeit
haben wir fast niemals das, was er uns unter der Kategorie der
Möglichkeit, des Habenwollens bedeutete. Die triviale Weisheit hat
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und zwar nach der guten wie nach der schlimmen Seite, wie
auch so, daſs das Anderssein des Habens nur als ein thatsächliches,
aber von keinem Gefühl begleitetes bewuſst wird. Das Geld indes
nimmt hier eine Sonderstellung ein. Einerseits treibt es freilich jene
Inkommensurabilität zwischen dem Wunsch und seinem Objekt auf den
Gipfel. Die Bestrebung, die sich zunächst auf das Geld gerichtet hat,
findet an ihm nur ein ganz bestimmungsloses Etwas, von dem ein Be-
gehren, so lange es rationell ist, absolut nicht befriedigt werden
kann, und das sich seinem völlig leeren Wesen nach jedem eigent-
lichen Verhältnis zu uns entzieht; wenn es also nicht sofort darüber
hinaus zu einem konkreten Ziel schreitet, so muſs es in eine tötliche
Enttäuschung auslaufen; wie sie denn auch unzählige Male da eintritt,
wo der leidenschaftlich und als fraglose Beglückung ersehnte Geldreich-
tum sich nach seiner Erreichung als das enthüllt, was er wirklich ist:
als ein bloſses Mittel, dessen Hinaufschraubung zu einem Endzweck
seine Erreichung nicht überstehen konnte. Während hier also die
fürchterlichste Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung besteht,
findet genau das Umgekehrte statt, sobald der psychologische Endzweck-
charakter des Geldes sich für die Dauer gefestigt hat und die Geld-
gier also ein chronischer Zustand geworden ist. In diesem Fall näm-
lich, wo die begehrte Sache überhaupt nichts gewähren soll als ihren
Besitz, und wo diese Beschränkung des Wunsches nicht nur eine vor-
übergehende Selbsttäuschung ist, da ist auch jeder Enttäuschung vor-
gebeugt. Alle Dinge, die wir sonst zu besitzen begehren, sollen uns
doch mit ihrem Besitz etwas leisten und in der unzulänglichen Vor-
berechnung dieser Leistung liegt die ganze, oft tragische, oft humo-
ristische Inkommensurabilität zwischen Wunsch und Erfüllung, von
der ich eben sprach. Das Geld aber soll dem Geizhals von vornherein
nichts über seinen bloſsen Besitz hinaus leisten. Das Geld als solches
kennen wir genauer, als wir irgend einen Gegenstand sonst kennen;
weil nämlich überhaupt nichts an ihm zu kennen ist, so kann es uns
auch nichts verbergen. Als absolut qualitätloses Ding kann es nicht,
was doch sonst das armseligste Objekt kann: Überraschungen oder
Enttäuschungen in seinem Schoſse bergen. Wer also wirklich und
definitiv nur Geld will, ist vor diesen absolut sicher. Die allgemeine
menschliche Unzulänglichkeit, daſs das Gewonnene anders aussieht als
das Ersehnte, erreicht einerseits ihren Gipfel in der Geldgier, sobald
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/256>, abgerufen am 24.11.2024.
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