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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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als die Hälfte des spanischen in den Händen des Klerus gewesen sein --
wie noch jetzt im Kirchenstaat Tibet zwei Drittel aller produktiven
Ländereien dem Klerus gehören! Wie die Kirche dem mittelalter-
lichen Leben die festen, scheinbar für die Ewigkeit gegründeten Normen
seines Verlaufes gab, so musste es im realen wie im symbolischen
Sinn angemessen scheinen, dass sie auch jenen fundamentierenden
Wert aller Werte in ihrer Hand umschloss. Die Unveräusserlichkeit
des kirchlichen Grundbesitzes war nur die bewusste und gesetzmässige
Festlegung dieses inneren Charakters seiner. Sie dokumentierte nur,
dass die Wertbewegung hier an ihren Endpunkt gekommen, dass hier
das Äusserste und Definitive im ökonomischen Gebiet erreicht war.
Kann man so die Tote Hand mit der Höhle des Löwen vergleichen,
in die alle Fussspuren hinein-, aus der aber keine herausführen, so
ist sie doch auch ein Symbol der allumfassenden Absolutheit und der
Ewigkeit des Prinzips, auf dem die Kirche sich gründete.

Dieses Auswachsen von Gütern zu einem Endzweck, dessen ab-
soluter Wert also über die blosse Nutzniessung hinausreicht, findet in
jenen pathologischen Ausartungen des Geldinteresses, dem Geiz und
der Geldgier, seinen reinsten und entschiedensten Fall, ja denjenigen,
der die andern Fälle desselben Typus mehr und mehr in sich hinein-
zieht. Denn sogar schon solche Güter, die an sich gar nicht ökonomischer
Natur sind, lässt das zum Endzweck gewordene Geld nicht als ihm
koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben
Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben
Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen,
sondern indem es dies thut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu
Mitteln für sich herabzudrücken. Um wieviel mehr wird diese Um-
ordnung bei eigentlich ökonomischen Gütern stattfinden, deren un-
bedingtes Festhalten, als seien sie unvergleichliche Werte, thöricht er-
scheinen muss, sobald man sie jederzeit für Geld wiederhaben kann,
und vor allem: sobald die restlose Ausdrückbarkeit ihres Wertes in
Geld sie ihrer individuellen und ausserhalb der reinen indifferenten
Wirtschaft stehenden Bedeutung beraubt hat. Der abstrakte Charakter
des Geldes, die Entfernung, in der es sich an und für sich von jedem
Einzelgenuss hält, begünstigen eine objektive Freude an ihm, das Be-
wusstsein eines Wertes, der über alle einzelne und persönliche Nutz-
niessung weit hinübergreift. Wenn das Geld zunächst nicht mehr in
dem Sinne Zweck ist, wie irgend ein sonstiges Werkzeug, nämlich um
seiner Erfolge willen, sondern dem Geldgierigen als Endzweck gilt,
so ist es nun weiter nicht einmal in dem Sinne Endzweck, wie ein
Genuss es ist, sondern für den Geizigen hält es sich jenseits dieser

als die Hälfte des spanischen in den Händen des Klerus gewesen sein —
wie noch jetzt im Kirchenstaat Tibet zwei Drittel aller produktiven
Ländereien dem Klerus gehören! Wie die Kirche dem mittelalter-
lichen Leben die festen, scheinbar für die Ewigkeit gegründeten Normen
seines Verlaufes gab, so muſste es im realen wie im symbolischen
Sinn angemessen scheinen, daſs sie auch jenen fundamentierenden
Wert aller Werte in ihrer Hand umschloſs. Die Unveräuſserlichkeit
des kirchlichen Grundbesitzes war nur die bewuſste und gesetzmäſsige
Festlegung dieses inneren Charakters seiner. Sie dokumentierte nur,
daſs die Wertbewegung hier an ihren Endpunkt gekommen, daſs hier
das Äuſserste und Definitive im ökonomischen Gebiet erreicht war.
Kann man so die Tote Hand mit der Höhle des Löwen vergleichen,
in die alle Fuſsspuren hinein-, aus der aber keine herausführen, so
ist sie doch auch ein Symbol der allumfassenden Absolutheit und der
Ewigkeit des Prinzips, auf dem die Kirche sich gründete.

Dieses Auswachsen von Gütern zu einem Endzweck, dessen ab-
soluter Wert also über die bloſse Nutznieſsung hinausreicht, findet in
jenen pathologischen Ausartungen des Geldinteresses, dem Geiz und
der Geldgier, seinen reinsten und entschiedensten Fall, ja denjenigen,
der die andern Fälle desselben Typus mehr und mehr in sich hinein-
zieht. Denn sogar schon solche Güter, die an sich gar nicht ökonomischer
Natur sind, läſst das zum Endzweck gewordene Geld nicht als ihm
koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben
Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben
Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen,
sondern indem es dies thut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu
Mitteln für sich herabzudrücken. Um wieviel mehr wird diese Um-
ordnung bei eigentlich ökonomischen Gütern stattfinden, deren un-
bedingtes Festhalten, als seien sie unvergleichliche Werte, thöricht er-
scheinen muſs, sobald man sie jederzeit für Geld wiederhaben kann,
und vor allem: sobald die restlose Ausdrückbarkeit ihres Wertes in
Geld sie ihrer individuellen und auſserhalb der reinen indifferenten
Wirtschaft stehenden Bedeutung beraubt hat. Der abstrakte Charakter
des Geldes, die Entfernung, in der es sich an und für sich von jedem
Einzelgenuſs hält, begünstigen eine objektive Freude an ihm, das Be-
wuſstsein eines Wertes, der über alle einzelne und persönliche Nutz-
nieſsung weit hinübergreift. Wenn das Geld zunächst nicht mehr in
dem Sinne Zweck ist, wie irgend ein sonstiges Werkzeug, nämlich um
seiner Erfolge willen, sondern dem Geldgierigen als Endzweck gilt,
so ist es nun weiter nicht einmal in dem Sinne Endzweck, wie ein
Genuſs es ist, sondern für den Geizigen hält es sich jenseits dieser

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[229/0253] als die Hälfte des spanischen in den Händen des Klerus gewesen sein — wie noch jetzt im Kirchenstaat Tibet zwei Drittel aller produktiven Ländereien dem Klerus gehören! Wie die Kirche dem mittelalter- lichen Leben die festen, scheinbar für die Ewigkeit gegründeten Normen seines Verlaufes gab, so muſste es im realen wie im symbolischen Sinn angemessen scheinen, daſs sie auch jenen fundamentierenden Wert aller Werte in ihrer Hand umschloſs. Die Unveräuſserlichkeit des kirchlichen Grundbesitzes war nur die bewuſste und gesetzmäſsige Festlegung dieses inneren Charakters seiner. Sie dokumentierte nur, daſs die Wertbewegung hier an ihren Endpunkt gekommen, daſs hier das Äuſserste und Definitive im ökonomischen Gebiet erreicht war. Kann man so die Tote Hand mit der Höhle des Löwen vergleichen, in die alle Fuſsspuren hinein-, aus der aber keine herausführen, so ist sie doch auch ein Symbol der allumfassenden Absolutheit und der Ewigkeit des Prinzips, auf dem die Kirche sich gründete. Dieses Auswachsen von Gütern zu einem Endzweck, dessen ab- soluter Wert also über die bloſse Nutznieſsung hinausreicht, findet in jenen pathologischen Ausartungen des Geldinteresses, dem Geiz und der Geldgier, seinen reinsten und entschiedensten Fall, ja denjenigen, der die andern Fälle desselben Typus mehr und mehr in sich hinein- zieht. Denn sogar schon solche Güter, die an sich gar nicht ökonomischer Natur sind, läſst das zum Endzweck gewordene Geld nicht als ihm koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen, sondern indem es dies thut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu Mitteln für sich herabzudrücken. Um wieviel mehr wird diese Um- ordnung bei eigentlich ökonomischen Gütern stattfinden, deren un- bedingtes Festhalten, als seien sie unvergleichliche Werte, thöricht er- scheinen muſs, sobald man sie jederzeit für Geld wiederhaben kann, und vor allem: sobald die restlose Ausdrückbarkeit ihres Wertes in Geld sie ihrer individuellen und auſserhalb der reinen indifferenten Wirtschaft stehenden Bedeutung beraubt hat. Der abstrakte Charakter des Geldes, die Entfernung, in der es sich an und für sich von jedem Einzelgenuſs hält, begünstigen eine objektive Freude an ihm, das Be- wuſstsein eines Wertes, der über alle einzelne und persönliche Nutz- nieſsung weit hinübergreift. Wenn das Geld zunächst nicht mehr in dem Sinne Zweck ist, wie irgend ein sonstiges Werkzeug, nämlich um seiner Erfolge willen, sondern dem Geldgierigen als Endzweck gilt, so ist es nun weiter nicht einmal in dem Sinne Endzweck, wie ein Genuſs es ist, sondern für den Geizigen hält es sich jenseits dieser

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/253>, abgerufen am 23.11.2024.