sie haben Lothringen und später Elsass unter dem Beistand deutschen Geldes vom deutschen Reich losreissen können, die Spanier haben sich der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu be- herrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England, Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Los- gebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz andere Bedeutung: "Fremde" in jenem alten Sinne giebt es eben heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheit- lichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehe- mals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleo- logischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert. Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschafts- kreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen nie- mals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde. Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Perso- nalität des Verhältnisses, in dem anderen giebt eben derselbe Umstand feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange damit, dass unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschliessen. Der indizierte Partner für das Geldgeschäft -- in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört -- ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.
14*
sie haben Lothringen und später Elsaſs unter dem Beistand deutschen Geldes vom deutschen Reich losreiſsen können, die Spanier haben sich der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu be- herrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England, Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Los- gebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz andere Bedeutung: „Fremde“ in jenem alten Sinne giebt es eben heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheit- lichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehe- mals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleo- logischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert. Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschafts- kreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen nie- mals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde. Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Perso- nalität des Verhältnisses, in dem anderen giebt eben derselbe Umstand feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange damit, daſs unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschlieſsen. Der indizierte Partner für das Geldgeschäft — in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört — ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.
14*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0235"n="211"/>
sie haben Lothringen und später Elsaſs unter dem Beistand deutschen<lb/>
Geldes vom deutschen Reich losreiſsen können, die Spanier haben sich<lb/>
der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu be-<lb/>
herrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England,<lb/>
Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Los-<lb/>
gebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu<lb/>
machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu<lb/>
decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder<lb/>
in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz<lb/>
andere Bedeutung: „Fremde“ in jenem alten Sinne giebt es eben<lb/>
heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht<lb/>
haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheit-<lb/>
lichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehe-<lb/>
mals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar<lb/>
durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleo-<lb/>
logischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert.<lb/>
Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und<lb/>
den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von<lb/>
ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschafts-<lb/>
kreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt<lb/>
erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem<lb/>
Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen nie-<lb/>
mals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde.<lb/>
Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen<lb/>
Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Perso-<lb/>
nalität des Verhältnisses, in dem anderen giebt eben derselbe Umstand<lb/>
feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange<lb/>
damit, daſs unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise<lb/>
genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschlieſsen.<lb/>
Der indizierte Partner für das Geldgeschäft — in dem, wie man mit<lb/>
Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört — ist die uns innerlich<lb/>
völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="sig">14*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[211/0235]
sie haben Lothringen und später Elsaſs unter dem Beistand deutschen
Geldes vom deutschen Reich losreiſsen können, die Spanier haben sich
der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu be-
herrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England,
Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Los-
gebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu
machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu
decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder
in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz
andere Bedeutung: „Fremde“ in jenem alten Sinne giebt es eben
heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht
haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheit-
lichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehe-
mals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar
durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleo-
logischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert.
Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und
den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von
ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschafts-
kreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt
erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem
Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen nie-
mals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde.
Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen
Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Perso-
nalität des Verhältnisses, in dem anderen giebt eben derselbe Umstand
feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange
damit, daſs unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise
genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschlieſsen.
Der indizierte Partner für das Geldgeschäft — in dem, wie man mit
Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört — ist die uns innerlich
völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/235>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.