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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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eingeführt werden; so dass es z. B. auf den Salomoinseln wie in Ibo
am Niger eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen
herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benach-
barten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren.
Das erinnert an die Mode, die so oft grade wenn sie von aussen im-
portiert ist, besonders geschätzt und mächtig ist. Geld und Mode sind
Ausgestaltungen sozialer Wechselwirkungen, und es scheint, als ob die
Sozialelemente manchmal wie die Augenachsen am besten auf einen
nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten. Der Fremde als Person
aber ist aus demselben Grunde, der das Geld dem sozial Entrechteten
so wertvoll macht, dafür vor allem interessiert: weil es ihm Chancen
gewährt, die dem Vollberechtigten, bezw. dem Einheimischen auf
spezielleren, sachlichen Wegen und durch persönliche Beziehungen zu-
gängig sind; es wird betont, dass die Fremden es waren, die vor dem
babylonischen Tempel den einheimischen Mädchen das Geld in den
Schooss warfen, für das diese sich prostituierten. Der Zusammenhang
zwischen der soziologischen Bedeutung des Fremden und der des
Geldes hat aber noch eine weitere Vermittlung. Das reine Geld-
geschäft ist nämlich ersichtlich etwas sekundäres; das zentrale Geld-
interesse äussert sich vielmehr zunächst und hauptsächlich im Handel.
Aus sehr triftigen Gründen ist aber der Händler, am Anfang der wirt-
schaftlichen Bewegungen, ein Fremder. So lange die Wirtschaftskreise
noch kleine sind und keine raffinierte Arbeitsteilung besitzen, genügt
unmittelbarer Tausch oder Kauf zu der erforderlichen Verteilung; des
Händlers bedarf es erst für das Herbeischaffen der in der Ferne pro-
duzierten Güter. Nun aber zeigt sich die Entschiedenheit dieses Ver-
hältnisses auch sofort an seiner Umkehrbarkeit: nicht nur der Händler
ist ein Fremder, sondern auch der Fremde ist dazu disponiert, ein
Händler zu werden. Das tritt hervor, sobald der Fremde nicht nur
vorübergehend anwesend ist, sondern sich niederlässt und dauernden
Erwerb innerhalb der Gruppe sucht. So lag, dass die Juden ein
Handelsvolk wurden, ausser an ihrer Unterdrückung, auch an ihrer
Zerstreuung durch alle Länder. Erst während des letzten babylonischen
Exils wurden die Juden in die Geldgeschäfte eingeweiht, die ihnen
bis dahin unbekannt gewesen waren; und nun wird sogleich hervor-
gehoben, es seien besonders die Juden der Diaspora gewesen, die
sich diesem Beruf in grösserer Anzahl widmeten. Zersprengte Leute,
in mehr oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können
schwer Wurzel schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden
und sind deshalb zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der
viel elastischer ist als die Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch

eingeführt werden; so daſs es z. B. auf den Salomoinseln wie in Ibo
am Niger eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen
herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benach-
barten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren.
Das erinnert an die Mode, die so oft grade wenn sie von auſsen im-
portiert ist, besonders geschätzt und mächtig ist. Geld und Mode sind
Ausgestaltungen sozialer Wechselwirkungen, und es scheint, als ob die
Sozialelemente manchmal wie die Augenachsen am besten auf einen
nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten. Der Fremde als Person
aber ist aus demselben Grunde, der das Geld dem sozial Entrechteten
so wertvoll macht, dafür vor allem interessiert: weil es ihm Chancen
gewährt, die dem Vollberechtigten, bezw. dem Einheimischen auf
spezielleren, sachlichen Wegen und durch persönliche Beziehungen zu-
gängig sind; es wird betont, daſs die Fremden es waren, die vor dem
babylonischen Tempel den einheimischen Mädchen das Geld in den
Schooſs warfen, für das diese sich prostituierten. Der Zusammenhang
zwischen der soziologischen Bedeutung des Fremden und der des
Geldes hat aber noch eine weitere Vermittlung. Das reine Geld-
geschäft ist nämlich ersichtlich etwas sekundäres; das zentrale Geld-
interesse äuſsert sich vielmehr zunächst und hauptsächlich im Handel.
Aus sehr triftigen Gründen ist aber der Händler, am Anfang der wirt-
schaftlichen Bewegungen, ein Fremder. So lange die Wirtschaftskreise
noch kleine sind und keine raffinierte Arbeitsteilung besitzen, genügt
unmittelbarer Tausch oder Kauf zu der erforderlichen Verteilung; des
Händlers bedarf es erst für das Herbeischaffen der in der Ferne pro-
duzierten Güter. Nun aber zeigt sich die Entschiedenheit dieses Ver-
hältnisses auch sofort an seiner Umkehrbarkeit: nicht nur der Händler
ist ein Fremder, sondern auch der Fremde ist dazu disponiert, ein
Händler zu werden. Das tritt hervor, sobald der Fremde nicht nur
vorübergehend anwesend ist, sondern sich niederläſst und dauernden
Erwerb innerhalb der Gruppe sucht. So lag, daſs die Juden ein
Handelsvolk wurden, auſser an ihrer Unterdrückung, auch an ihrer
Zerstreuung durch alle Länder. Erst während des letzten babylonischen
Exils wurden die Juden in die Geldgeschäfte eingeweiht, die ihnen
bis dahin unbekannt gewesen waren; und nun wird sogleich hervor-
gehoben, es seien besonders die Juden der Diaspora gewesen, die
sich diesem Beruf in gröſserer Anzahl widmeten. Zersprengte Leute,
in mehr oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können
schwer Wurzel schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden
und sind deshalb zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der
viel elastischer ist als die Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch

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[208/0232] eingeführt werden; so daſs es z. B. auf den Salomoinseln wie in Ibo am Niger eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benach- barten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren. Das erinnert an die Mode, die so oft grade wenn sie von auſsen im- portiert ist, besonders geschätzt und mächtig ist. Geld und Mode sind Ausgestaltungen sozialer Wechselwirkungen, und es scheint, als ob die Sozialelemente manchmal wie die Augenachsen am besten auf einen nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten. Der Fremde als Person aber ist aus demselben Grunde, der das Geld dem sozial Entrechteten so wertvoll macht, dafür vor allem interessiert: weil es ihm Chancen gewährt, die dem Vollberechtigten, bezw. dem Einheimischen auf spezielleren, sachlichen Wegen und durch persönliche Beziehungen zu- gängig sind; es wird betont, daſs die Fremden es waren, die vor dem babylonischen Tempel den einheimischen Mädchen das Geld in den Schooſs warfen, für das diese sich prostituierten. Der Zusammenhang zwischen der soziologischen Bedeutung des Fremden und der des Geldes hat aber noch eine weitere Vermittlung. Das reine Geld- geschäft ist nämlich ersichtlich etwas sekundäres; das zentrale Geld- interesse äuſsert sich vielmehr zunächst und hauptsächlich im Handel. Aus sehr triftigen Gründen ist aber der Händler, am Anfang der wirt- schaftlichen Bewegungen, ein Fremder. So lange die Wirtschaftskreise noch kleine sind und keine raffinierte Arbeitsteilung besitzen, genügt unmittelbarer Tausch oder Kauf zu der erforderlichen Verteilung; des Händlers bedarf es erst für das Herbeischaffen der in der Ferne pro- duzierten Güter. Nun aber zeigt sich die Entschiedenheit dieses Ver- hältnisses auch sofort an seiner Umkehrbarkeit: nicht nur der Händler ist ein Fremder, sondern auch der Fremde ist dazu disponiert, ein Händler zu werden. Das tritt hervor, sobald der Fremde nicht nur vorübergehend anwesend ist, sondern sich niederläſst und dauernden Erwerb innerhalb der Gruppe sucht. So lag, daſs die Juden ein Handelsvolk wurden, auſser an ihrer Unterdrückung, auch an ihrer Zerstreuung durch alle Länder. Erst während des letzten babylonischen Exils wurden die Juden in die Geldgeschäfte eingeweiht, die ihnen bis dahin unbekannt gewesen waren; und nun wird sogleich hervor- gehoben, es seien besonders die Juden der Diaspora gewesen, die sich diesem Beruf in gröſserer Anzahl widmeten. Zersprengte Leute, in mehr oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können schwer Wurzel schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden und sind deshalb zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der viel elastischer ist als die Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/232>, abgerufen am 23.11.2024.