und billiger als mit dem Armen, jedermann, auch der gar nichts von seinem Reichtum profitiert, begegnet ihm zuvorkommen- der, als dem Armen, es schwebt eine ideale Sphäre fragloser Bevor- zugtheit um ihn. Allenthalben kann man beobachten, wie dem Käufer der kostspieligeren Warengattung, dem Benutzer der höheren Eisen- bahnklasse etc. allerhand kleine Bevorzugungen eingeräumt werden; mit dem von ihm bezahlten Sachwert haben diese eigentlich so wenig zu thun, wie das freundlichere Lächeln, mit dem der Kaufmann die teurere Ware verkauft, mit dieser, sondern sie bilden eine Gratisbeilage, die nur dem Konsumenten des Billigeren versagt bleibt, ohne dass er doch -- und das ist gewissermassen das härteste dabei -- über sach- liche Übervorteilung zu klagen berechtigt wäre. Ja sogar als eine Art moralischen Verdienstes gilt der Reichtum; was sich nicht nur in dem Begriff der Respectability oder in der populären Bezeichnung wohl- habender Leute als "anständiger" ausdrückt, sondern auch in der Korrelaterscheinung: dass der Arme behandelt wird, als hätte er sich etwas zu schulden kommen lassen, dass man den Bettler im Zorne davonjagt, dass auch gutmütige Personen sich zu einer selbstverständ- lichen Überlegenheit über den Armen legitimiert glauben. Zu direkt perversen Erscheinungen kann sich das Superadditum des Reichtums steigern: der praktische Idealismus, etwa äusserlich unbelohnter wissen- schaftlicher Arbeit, wird für gewöhnlich an einem reichen Manne mit grösserem Respekt betrachtet, als ethisch hervorragender verehrt, als an einem armseligen Schulmeister! Dieser Wucherzins des Reichtums, diese Vorteile, die er seinem Besitzer zuwachsen lässt, ohne dass dieser etwas dafür aufzuwenden hätte, ist an die Geldform der Werte ge- knüpft. Denn alles dies ist offenbar Ausdruck oder Reflex jener un- begrenzten Freiheit der Verwendung, die das Geld allen anderen Werten gegenüber auszeichnet. Hierdurch kommt zustande, dass der Reiche nicht nur durch das wirkt, was er thut, sondern auch durch das, was er thun könnte: weit über das hinaus, was er nun wirklich mit seinem Einkommen beschafft, und was andere davon profitieren, wird das Ver- mögen von einem Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten um- geben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten Umfang hinausstreckt: darauf weist unzweideutig hin, dass die Sprache erheblichere Geldmittel als "Vermögen" -- d. h. als das Können, das Imstandesein schlechthin -- bezeichnet. Alle diese Mög- lichkeiten, von denen freilich nur ein ganz geringer Teil Wirklichkeit werden kann, werden dennoch psychologisch saldiert, sie gerinnen zu dem Eindruck einer nicht genau bestimmbaren, jede Festlegung ihres erreichbaren Erfolges ablehnenden Macht, und zwar in um so um-
und billiger als mit dem Armen, jedermann, auch der gar nichts von seinem Reichtum profitiert, begegnet ihm zuvorkommen- der, als dem Armen, es schwebt eine ideale Sphäre fragloser Bevor- zugtheit um ihn. Allenthalben kann man beobachten, wie dem Käufer der kostspieligeren Warengattung, dem Benutzer der höheren Eisen- bahnklasse etc. allerhand kleine Bevorzugungen eingeräumt werden; mit dem von ihm bezahlten Sachwert haben diese eigentlich so wenig zu thun, wie das freundlichere Lächeln, mit dem der Kaufmann die teurere Ware verkauft, mit dieser, sondern sie bilden eine Gratisbeilage, die nur dem Konsumenten des Billigeren versagt bleibt, ohne daſs er doch — und das ist gewissermaſsen das härteste dabei — über sach- liche Übervorteilung zu klagen berechtigt wäre. Ja sogar als eine Art moralischen Verdienstes gilt der Reichtum; was sich nicht nur in dem Begriff der Respectability oder in der populären Bezeichnung wohl- habender Leute als „anständiger“ ausdrückt, sondern auch in der Korrelaterscheinung: daſs der Arme behandelt wird, als hätte er sich etwas zu schulden kommen lassen, daſs man den Bettler im Zorne davonjagt, daſs auch gutmütige Personen sich zu einer selbstverständ- lichen Überlegenheit über den Armen legitimiert glauben. Zu direkt perversen Erscheinungen kann sich das Superadditum des Reichtums steigern: der praktische Idealismus, etwa äuſserlich unbelohnter wissen- schaftlicher Arbeit, wird für gewöhnlich an einem reichen Manne mit gröſserem Respekt betrachtet, als ethisch hervorragender verehrt, als an einem armseligen Schulmeister! Dieser Wucherzins des Reichtums, diese Vorteile, die er seinem Besitzer zuwachsen läſst, ohne daſs dieser etwas dafür aufzuwenden hätte, ist an die Geldform der Werte ge- knüpft. Denn alles dies ist offenbar Ausdruck oder Reflex jener un- begrenzten Freiheit der Verwendung, die das Geld allen anderen Werten gegenüber auszeichnet. Hierdurch kommt zustande, daſs der Reiche nicht nur durch das wirkt, was er thut, sondern auch durch das, was er thun könnte: weit über das hinaus, was er nun wirklich mit seinem Einkommen beschafft, und was andere davon profitieren, wird das Ver- mögen von einem Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten um- geben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten Umfang hinausstreckt: darauf weist unzweideutig hin, daſs die Sprache erheblichere Geldmittel als „Vermögen“ — d. h. als das Können, das Imstandesein schlechthin — bezeichnet. Alle diese Mög- lichkeiten, von denen freilich nur ein ganz geringer Teil Wirklichkeit werden kann, werden dennoch psychologisch saldiert, sie gerinnen zu dem Eindruck einer nicht genau bestimmbaren, jede Festlegung ihres erreichbaren Erfolges ablehnenden Macht, und zwar in um so um-
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zugtheit um ihn. Allenthalben kann man beobachten, wie dem Käufer
der kostspieligeren Warengattung, dem Benutzer der höheren Eisen-
bahnklasse etc. allerhand kleine Bevorzugungen eingeräumt werden;
mit dem von ihm bezahlten Sachwert haben diese eigentlich so wenig
zu thun, wie das freundlichere Lächeln, mit dem der Kaufmann die
teurere Ware verkauft, mit dieser, sondern sie bilden eine Gratisbeilage,
die nur dem Konsumenten des Billigeren versagt bleibt, ohne daſs er
doch — und das ist gewissermaſsen das härteste dabei — über sach-
liche Übervorteilung zu klagen berechtigt wäre. Ja sogar als eine Art
moralischen Verdienstes gilt der Reichtum; was sich nicht nur in dem
Begriff der Respectability oder in der populären Bezeichnung wohl-
habender Leute als „anständiger“ ausdrückt, sondern auch in der
Korrelaterscheinung: daſs der Arme behandelt wird, als hätte er sich
etwas zu schulden kommen lassen, daſs man den Bettler im Zorne
davonjagt, daſs auch gutmütige Personen sich zu einer selbstverständ-
lichen Überlegenheit über den Armen legitimiert glauben. Zu direkt
perversen Erscheinungen kann sich das Superadditum des Reichtums
steigern: der praktische Idealismus, etwa äuſserlich unbelohnter wissen-
schaftlicher Arbeit, wird für gewöhnlich an einem reichen Manne mit
gröſserem Respekt betrachtet, als ethisch hervorragender verehrt, als
an einem armseligen Schulmeister! Dieser Wucherzins des Reichtums,
diese Vorteile, die er seinem Besitzer zuwachsen läſst, ohne daſs dieser
etwas dafür aufzuwenden hätte, ist an die Geldform der Werte ge-
knüpft. Denn alles dies ist offenbar Ausdruck oder Reflex jener un-
begrenzten Freiheit der Verwendung, die das Geld allen anderen Werten
gegenüber auszeichnet. Hierdurch kommt zustande, daſs der Reiche
nicht nur durch das wirkt, was er thut, sondern auch durch das, was
er thun könnte: weit über das hinaus, was er nun wirklich mit seinem
Einkommen beschafft, und was andere davon profitieren, wird das Ver-
mögen von einem Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten um-
geben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten
Umfang hinausstreckt: darauf weist unzweideutig hin, daſs die
Sprache erheblichere Geldmittel als „Vermögen“ — d. h. als das
Können, das Imstandesein schlechthin — bezeichnet. Alle diese Mög-
lichkeiten, von denen freilich nur ein ganz geringer Teil Wirklichkeit
werden kann, werden dennoch psychologisch saldiert, sie gerinnen zu
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/224>, abgerufen am 27.11.2024.
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