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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Gegenstandes irgend einen andern aus einem unbegrenzt grossen Kreise
zu wählen. Freilich kann es schliesslich nur für einen verwandt
werden; aber die Möglichkeit der Wahl ist ein Vorteil, der im Werte
des Geldes eskomptiert werden muss. Indem das Geld überhaupt
keine Beziehung zu irgend einem einzelnen Zweck hat, gewinnt
es eine solche zu der Gesamtheit der Zwecke. Es ist dasjenige
Werkzeug, in dem die Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Ver-
wendungen auf ihr Maximum gekommen ist und das dadurch den maxi-
malen, auf diese Weise überhaupt erreichbaren Wert gewonnen hat.
Die blosse Möglichkeit unbegrenzter Verwendung, die das Geld
wegen des absoluten Mangels an eigenem Inhalt nicht sowohl hat als
ist, spricht sich positiv darin aus, dass es nicht ruhen mag, sondern
wie von sich aus fortwährend zum Verwendetwerden drängt. Wie für
wortarme Sprachen, z. B. die französische, grade die Notwendigkeit,
vielerlei verschiedenes mit demselben Ausdruck zu bezeichnen, eine
besondere Fülle von Anspielungen, Beziehungen, psychologischen Ober-
tönen ermöglicht, und man so sagen kann, ihr Reichtum bestünde grade
in ihrer Armut, -- so bewirkt die innere Bedeutungsleere des Geldes
die Fülle seiner praktischen Bedeutungen, ja, drängt dahin, die be-
griffliche Unendlichkeit seines Bedeutungskreises mit fortwährenden
Neubildungen zu erfüllen, der blossen Form, die es darstellt, immer
neue Inhalte einzubilden, da sie für keinen ein Haltepunkt, sondern
für jeden nur ein Durchgang ist. Schliesslich sind alle mannigfaltigsten
Waren nur gegen den einen Wert: Geld -- das Geld aber gegen alle
Mannigfaltigkeit der Waren umzusetzen. Gegenüber der Arbeit nimmt
dies die besondere Form an, dass das Geldkapital fast immer von einer
Verwendung auf eine andere -- höchstens mit einem gewissen Ver-
lust, oft aber mit Gewinn -- übertragen werden kann, die Arbeit aber
fast niemals, und zwar um so weniger, je höher sie sich über die
unqualifizierte erhebt. Der Arbeiter kann seine Kunst und Geschick-
lichkeit so gut wie nie aus seinem Gewerbe herausziehen und in einem
andern investieren. In Bezug auf Wahlfreiheit und ihre Vorteile steht
er also dem Geldbesitzer ebenso benachteiligt gegenüber wie der
Warenhändler. Deshalb ist der Wert einer gegebenen Geldsumme
gleich dem Werte jedes einzelnen Objekts, dessen Äquivalent sie bildet,
plus dem Werte der Wahlfreiheit zwischen unbestimmt vielen der-
artigen Objekten -- ein plus, für das es innerhalb des Waren- oder
Arbeitskreises kaum annähernde Analogien giebt.

Das so entstehende Wertplus des Geldes erscheint tiefer begründet
und höher gesteigert, wenn man die Entscheidung erwägt, zu welcher
diese Wahlchance sich in Wirklichkeit zuspitzt. Man hat hervor-

Gegenstandes irgend einen andern aus einem unbegrenzt groſsen Kreise
zu wählen. Freilich kann es schlieſslich nur für einen verwandt
werden; aber die Möglichkeit der Wahl ist ein Vorteil, der im Werte
des Geldes eskomptiert werden muſs. Indem das Geld überhaupt
keine Beziehung zu irgend einem einzelnen Zweck hat, gewinnt
es eine solche zu der Gesamtheit der Zwecke. Es ist dasjenige
Werkzeug, in dem die Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Ver-
wendungen auf ihr Maximum gekommen ist und das dadurch den maxi-
malen, auf diese Weise überhaupt erreichbaren Wert gewonnen hat.
Die bloſse Möglichkeit unbegrenzter Verwendung, die das Geld
wegen des absoluten Mangels an eigenem Inhalt nicht sowohl hat als
ist, spricht sich positiv darin aus, daſs es nicht ruhen mag, sondern
wie von sich aus fortwährend zum Verwendetwerden drängt. Wie für
wortarme Sprachen, z. B. die französische, grade die Notwendigkeit,
vielerlei verschiedenes mit demselben Ausdruck zu bezeichnen, eine
besondere Fülle von Anspielungen, Beziehungen, psychologischen Ober-
tönen ermöglicht, und man so sagen kann, ihr Reichtum bestünde grade
in ihrer Armut, — so bewirkt die innere Bedeutungsleere des Geldes
die Fülle seiner praktischen Bedeutungen, ja, drängt dahin, die be-
griffliche Unendlichkeit seines Bedeutungskreises mit fortwährenden
Neubildungen zu erfüllen, der bloſsen Form, die es darstellt, immer
neue Inhalte einzubilden, da sie für keinen ein Haltepunkt, sondern
für jeden nur ein Durchgang ist. Schlieſslich sind alle mannigfaltigsten
Waren nur gegen den einen Wert: Geld — das Geld aber gegen alle
Mannigfaltigkeit der Waren umzusetzen. Gegenüber der Arbeit nimmt
dies die besondere Form an, daſs das Geldkapital fast immer von einer
Verwendung auf eine andere — höchstens mit einem gewissen Ver-
lust, oft aber mit Gewinn — übertragen werden kann, die Arbeit aber
fast niemals, und zwar um so weniger, je höher sie sich über die
unqualifizierte erhebt. Der Arbeiter kann seine Kunst und Geschick-
lichkeit so gut wie nie aus seinem Gewerbe herausziehen und in einem
andern investieren. In Bezug auf Wahlfreiheit und ihre Vorteile steht
er also dem Geldbesitzer ebenso benachteiligt gegenüber wie der
Warenhändler. Deshalb ist der Wert einer gegebenen Geldsumme
gleich dem Werte jedes einzelnen Objekts, dessen Äquivalent sie bildet,
plus dem Werte der Wahlfreiheit zwischen unbestimmt vielen der-
artigen Objekten — ein plus, für das es innerhalb des Waren- oder
Arbeitskreises kaum annähernde Analogien giebt.

Das so entstehende Wertplus des Geldes erscheint tiefer begründet
und höher gesteigert, wenn man die Entscheidung erwägt, zu welcher
diese Wahlchance sich in Wirklichkeit zuspitzt. Man hat hervor-

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[194/0218] Gegenstandes irgend einen andern aus einem unbegrenzt groſsen Kreise zu wählen. Freilich kann es schlieſslich nur für einen verwandt werden; aber die Möglichkeit der Wahl ist ein Vorteil, der im Werte des Geldes eskomptiert werden muſs. Indem das Geld überhaupt keine Beziehung zu irgend einem einzelnen Zweck hat, gewinnt es eine solche zu der Gesamtheit der Zwecke. Es ist dasjenige Werkzeug, in dem die Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Ver- wendungen auf ihr Maximum gekommen ist und das dadurch den maxi- malen, auf diese Weise überhaupt erreichbaren Wert gewonnen hat. Die bloſse Möglichkeit unbegrenzter Verwendung, die das Geld wegen des absoluten Mangels an eigenem Inhalt nicht sowohl hat als ist, spricht sich positiv darin aus, daſs es nicht ruhen mag, sondern wie von sich aus fortwährend zum Verwendetwerden drängt. Wie für wortarme Sprachen, z. B. die französische, grade die Notwendigkeit, vielerlei verschiedenes mit demselben Ausdruck zu bezeichnen, eine besondere Fülle von Anspielungen, Beziehungen, psychologischen Ober- tönen ermöglicht, und man so sagen kann, ihr Reichtum bestünde grade in ihrer Armut, — so bewirkt die innere Bedeutungsleere des Geldes die Fülle seiner praktischen Bedeutungen, ja, drängt dahin, die be- griffliche Unendlichkeit seines Bedeutungskreises mit fortwährenden Neubildungen zu erfüllen, der bloſsen Form, die es darstellt, immer neue Inhalte einzubilden, da sie für keinen ein Haltepunkt, sondern für jeden nur ein Durchgang ist. Schlieſslich sind alle mannigfaltigsten Waren nur gegen den einen Wert: Geld — das Geld aber gegen alle Mannigfaltigkeit der Waren umzusetzen. Gegenüber der Arbeit nimmt dies die besondere Form an, daſs das Geldkapital fast immer von einer Verwendung auf eine andere — höchstens mit einem gewissen Ver- lust, oft aber mit Gewinn — übertragen werden kann, die Arbeit aber fast niemals, und zwar um so weniger, je höher sie sich über die unqualifizierte erhebt. Der Arbeiter kann seine Kunst und Geschick- lichkeit so gut wie nie aus seinem Gewerbe herausziehen und in einem andern investieren. In Bezug auf Wahlfreiheit und ihre Vorteile steht er also dem Geldbesitzer ebenso benachteiligt gegenüber wie der Warenhändler. Deshalb ist der Wert einer gegebenen Geldsumme gleich dem Werte jedes einzelnen Objekts, dessen Äquivalent sie bildet, plus dem Werte der Wahlfreiheit zwischen unbestimmt vielen der- artigen Objekten — ein plus, für das es innerhalb des Waren- oder Arbeitskreises kaum annähernde Analogien giebt. Das so entstehende Wertplus des Geldes erscheint tiefer begründet und höher gesteigert, wenn man die Entscheidung erwägt, zu welcher diese Wahlchance sich in Wirklichkeit zuspitzt. Man hat hervor-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/218>, abgerufen am 23.11.2024.