Wesen präjudiziert wird und sich der Zweckreihe als völlig indifferenten Durchgangspunkt darbietet. Es ist vielleicht der entschiedenste Be- weis und Ausdruck dafür, dass der Mensch das "werkzeugmachende Tier" ist, was freilich damit zusammenfällt, dass er das "zwecksetzende" Tier ist. Die Idee des Mittels bezeichnet überhaupt die Weltstellung des Menschen: er ist nicht wie das Tier an den Mechanismus des Trieblebens und die Unmittelbarkeit von Wollen und Geniessen ge- bunden, er hat aber auch nicht die unmittelbare Macht -- wie wir sie an einem Gotte denken -- dass sein Wille schon an und für sich Ver- wirklichung des Gewollten sei. Er steht in der Mitte zwischen beiden, indem er zwar weit über den Augenblick hinaus wollen, aber dieses Wollen nur auf dem Umweg über eine gegliederte teleologische Reihe verwirklichen kann. Wenn für Plato die Liebe ein mittlerer Zustand zwischen Haben und Nicht-Haben ist, so ist sie in der subjektiven Innerlichkeit dasselbe, was das Mittel im Objektiven und Äusserlichen ist. Und wie für den Menschen, den immer strebenden, niemals dauernd befriedigten, immer erst werdenden die Liebe in jenem Sinne der eigentlich menschliche Zustand ist, so ist nach der anderen Seite hin das Mittel und seine gesteigerte Form, das Werkzeug, das Symbol des Typus Mensch: es zeigt oder enthält die ganze Grösse des mensch- lichen Willens, zugleich aber die Form, die ihn begrenzt. Die prak- tische Notwendigkeit, den Zweck um eine dazwischen gestellte Mittelreihe weit von uns abzurücken, hat vielleicht die ganze Vorstellung der Zu- kunft erst hervorgebracht -- wie die Fähigkeit des Gedächtnisses die Vergangenheit -- und damit dem Lebensgefühl des Menschen seine Form: auf der Wasserscheide zwischen Vergangenheit und Zukunft zu stehen, seine Ausdehnung und seine Beschränkung, gegeben. Im Geld aber hat das Mittel seine reinste Wirklichkeit erhalten, es ist dasjenige konkrete Mittel, das sich mit dem abstrakten Begriffe desselben ohne Abzug deckt: es ist das Mittel schlechthin. Und darin, dass es als solches die praktische Stellung des Menschen -- den man, mit etwas paradoxer Kürze, das indirekte Wesen nennen könnte -- zu seinen Willensinhalten, seine Macht und Ohnmacht ihnen gegenüber verkörpert, aufgipfelt, sublimiert -- darin liegt die ungeheure Bedeutung des Geldes für das Verständnis der Grundmotive des Lebens. Nach dieser, von ihm zu der Ganzheit des Lebens hingehenden Richtung betrachte ich es aber hier nur so weit, als dieselbe die umgekehrte, die vorläufig unser Zweck ist, gangbar macht: das Wesen des Geldes aus den inneren und äusseren Verhältnissen zu erkennen, die in ihm ihren Ausdruck, ihr Mittel oder ihre Folge gewinnen. Von den Bestimmungen, zu denen sich die bisherige Feststellung seiner entfaltet, schliesse ich eine
Wesen präjudiziert wird und sich der Zweckreihe als völlig indifferenten Durchgangspunkt darbietet. Es ist vielleicht der entschiedenste Be- weis und Ausdruck dafür, daſs der Mensch das „werkzeugmachende Tier“ ist, was freilich damit zusammenfällt, daſs er das „zwecksetzende“ Tier ist. Die Idee des Mittels bezeichnet überhaupt die Weltstellung des Menschen: er ist nicht wie das Tier an den Mechanismus des Trieblebens und die Unmittelbarkeit von Wollen und Genieſsen ge- bunden, er hat aber auch nicht die unmittelbare Macht — wie wir sie an einem Gotte denken — daſs sein Wille schon an und für sich Ver- wirklichung des Gewollten sei. Er steht in der Mitte zwischen beiden, indem er zwar weit über den Augenblick hinaus wollen, aber dieses Wollen nur auf dem Umweg über eine gegliederte teleologische Reihe verwirklichen kann. Wenn für Plato die Liebe ein mittlerer Zustand zwischen Haben und Nicht-Haben ist, so ist sie in der subjektiven Innerlichkeit dasselbe, was das Mittel im Objektiven und Äuſserlichen ist. Und wie für den Menschen, den immer strebenden, niemals dauernd befriedigten, immer erst werdenden die Liebe in jenem Sinne der eigentlich menschliche Zustand ist, so ist nach der anderen Seite hin das Mittel und seine gesteigerte Form, das Werkzeug, das Symbol des Typus Mensch: es zeigt oder enthält die ganze Gröſse des mensch- lichen Willens, zugleich aber die Form, die ihn begrenzt. Die prak- tische Notwendigkeit, den Zweck um eine dazwischen gestellte Mittelreihe weit von uns abzurücken, hat vielleicht die ganze Vorstellung der Zu- kunft erst hervorgebracht — wie die Fähigkeit des Gedächtnisses die Vergangenheit — und damit dem Lebensgefühl des Menschen seine Form: auf der Wasserscheide zwischen Vergangenheit und Zukunft zu stehen, seine Ausdehnung und seine Beschränkung, gegeben. Im Geld aber hat das Mittel seine reinste Wirklichkeit erhalten, es ist dasjenige konkrete Mittel, das sich mit dem abstrakten Begriffe desselben ohne Abzug deckt: es ist das Mittel schlechthin. Und darin, daſs es als solches die praktische Stellung des Menschen — den man, mit etwas paradoxer Kürze, das indirekte Wesen nennen könnte — zu seinen Willensinhalten, seine Macht und Ohnmacht ihnen gegenüber verkörpert, aufgipfelt, sublimiert — darin liegt die ungeheure Bedeutung des Geldes für das Verständnis der Grundmotive des Lebens. Nach dieser, von ihm zu der Ganzheit des Lebens hingehenden Richtung betrachte ich es aber hier nur so weit, als dieselbe die umgekehrte, die vorläufig unser Zweck ist, gangbar macht: das Wesen des Geldes aus den inneren und äuſseren Verhältnissen zu erkennen, die in ihm ihren Ausdruck, ihr Mittel oder ihre Folge gewinnen. Von den Bestimmungen, zu denen sich die bisherige Feststellung seiner entfaltet, schlieſse ich eine
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Wesen präjudiziert wird und sich der Zweckreihe als völlig indifferenten
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weis und Ausdruck dafür, daſs der Mensch das „werkzeugmachende
Tier“ ist, was freilich damit zusammenfällt, daſs er das „zwecksetzende“
Tier ist. Die Idee des Mittels bezeichnet überhaupt die Weltstellung
des Menschen: er ist nicht wie das Tier an den Mechanismus des
Trieblebens und die Unmittelbarkeit von Wollen und Genieſsen ge-
bunden, er hat aber auch nicht die unmittelbare Macht — wie wir sie
an einem Gotte denken — daſs sein Wille schon an und für sich Ver-
wirklichung des Gewollten sei. Er steht in der Mitte zwischen beiden,
indem er zwar weit über den Augenblick hinaus wollen, aber dieses
Wollen nur auf dem Umweg über eine gegliederte teleologische Reihe
verwirklichen kann. Wenn für Plato die Liebe ein mittlerer Zustand
zwischen Haben und Nicht-Haben ist, so ist sie in der subjektiven
Innerlichkeit dasselbe, was das Mittel im Objektiven und Äuſserlichen
ist. Und wie für den Menschen, den immer strebenden, niemals
dauernd befriedigten, immer erst werdenden die Liebe in jenem Sinne
der eigentlich menschliche Zustand ist, so ist nach der anderen Seite
hin das Mittel und seine gesteigerte Form, das Werkzeug, das Symbol
des Typus Mensch: es zeigt oder enthält die ganze Gröſse des mensch-
lichen Willens, zugleich aber die Form, die ihn begrenzt. Die prak-
tische Notwendigkeit, den Zweck um eine dazwischen gestellte Mittelreihe
weit von uns abzurücken, hat vielleicht die ganze Vorstellung der Zu-
kunft erst hervorgebracht — wie die Fähigkeit des Gedächtnisses die
Vergangenheit — und damit dem Lebensgefühl des Menschen seine
Form: auf der Wasserscheide zwischen Vergangenheit und Zukunft zu
stehen, seine Ausdehnung und seine Beschränkung, gegeben. Im Geld
aber hat das Mittel seine reinste Wirklichkeit erhalten, es ist dasjenige
konkrete Mittel, das sich mit dem abstrakten Begriffe desselben ohne
Abzug deckt: es ist das Mittel schlechthin. Und darin, daſs es als
solches die praktische Stellung des Menschen — den man, mit etwas
paradoxer Kürze, das indirekte Wesen nennen könnte — zu seinen
Willensinhalten, seine Macht und Ohnmacht ihnen gegenüber verkörpert,
aufgipfelt, sublimiert — darin liegt die ungeheure Bedeutung des Geldes
für das Verständnis der Grundmotive des Lebens. Nach dieser, von
ihm zu der Ganzheit des Lebens hingehenden Richtung betrachte ich
es aber hier nur so weit, als dieselbe die umgekehrte, die vorläufig
unser Zweck ist, gangbar macht: das Wesen des Geldes aus den inneren
und äuſseren Verhältnissen zu erkennen, die in ihm ihren Ausdruck,
ihr Mittel oder ihre Folge gewinnen. Von den Bestimmungen, zu
denen sich die bisherige Feststellung seiner entfaltet, schlieſse ich eine
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/216>, abgerufen am 27.11.2024.
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