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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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chologischen Umständen die Bindung an das Metall dem Gelde noch
eine grössere Stabilität garantieren könnte, als die Lösung von ihm
-- wie ich es oben selbst behauptet habe. So mag -- um an die
dort gegebenen Analogien anzuknüpfen -- die tiefste und sublimste
Liebe diejenige sein, die nur zwischen Seelen, unter völliger Ausschal-
tung jedes Erdenrestes, besteht -- allein so lange diese nicht erreich-
bar ist, wird sich ein Maximum von Liebesempfindung grade da zeigen,
wo die rein seelische Beziehung einen Zusatz und Vermittlung durch
sinnliche Nähe und Anziehung erhält; so mag das Paradies das Wunder-
versprechen seiner Seligkeit darin erfüllen, dass das Bewusstsein der-
selben keines Sichabhebens von entgegengesetzten Empfindungen be-
darf -- so lange wir aber Menschen sind, können allein sonst vor-
handene leidvolle, indifferente oder herabgesetzte Gefühlszustände uns
ein positives Glück, als Unterschiedsempfindung, eintragen. Wenn
also auch in einer idealen Sozialverfassung ein ganz substanzloses
Geld das absolut zweckmässige Tauschmittel ist, so kann doch bis da-
hin seine relativ höchste Zweckmässigkeit grade von seiner Bindung
an eine Substanz bedingt sein. Dieser letztere Umstand bedeutet also
keine Ablenkung des unendlichen Weges, der zur Auflösung des Geldes
in einen bloss symbolischen Träger seiner reinen Funktion führt.

Der Primat des Funktionswertes vor dem Substanzwert des Geldes
bietet auch eine Formulierung für einen sehr merkwürdigen Vorgang
aus den amerikanischen und englischen Papiergeldperioden. Es stellte
sich nämlich damals heraus, dass die Preise der Waren viel mehr und
rascher stiegen als das Goldagio. Das letztere scheint also gar nicht
das Mass anzugeben, in dem das Papier entwertet ist. Als Grund da-
für hören wir: sobald Papiergeld auftrete, würde die Nachfrage nach
Gold geringer und das senke seinen Preis. Allein dies kann doch
höchstens für den Anfang einer solchen Periode gelten und muss auf-
hören, sobald das billiger gewordene Gold in das Ausland geflossen ist.
Mir scheint vielmehr der Zusammenhang der: da das Wesentliche am
Geld sein Tauschdienst ist, so ist der Nominalwert, mit dem er ihn
vollzieht, etwas Sekundäres. Das Verhältnis seines Nominals zu dem
Güterwert ist also relativ verschiebbar. Sobald sein Wert aber gegen
irgend ein anderes Geld gemessen wird, das doch auch nur Funktions-
dienste leisten kann, so zeigt sich sogleich die Wesensgleichheit mit
diesem. Da Geld eben Geld bleibt, so lange es diese Dienste leistet
und sie selbst bei sehr verschiedenen inneren Beschaffenheiten an-
nähernd gleich leisten kann, so ergiebt es eine geringere Reibung und
ist der zweckmässigere Ausdruck der sachlichen Beziehung, wenn
die Warenpreise erheblich höher beziffert werden, als dass die Geld-

chologischen Umständen die Bindung an das Metall dem Gelde noch
eine gröſsere Stabilität garantieren könnte, als die Lösung von ihm
— wie ich es oben selbst behauptet habe. So mag — um an die
dort gegebenen Analogien anzuknüpfen — die tiefste und sublimste
Liebe diejenige sein, die nur zwischen Seelen, unter völliger Ausschal-
tung jedes Erdenrestes, besteht — allein so lange diese nicht erreich-
bar ist, wird sich ein Maximum von Liebesempfindung grade da zeigen,
wo die rein seelische Beziehung einen Zusatz und Vermittlung durch
sinnliche Nähe und Anziehung erhält; so mag das Paradies das Wunder-
versprechen seiner Seligkeit darin erfüllen, daſs das Bewuſstsein der-
selben keines Sichabhebens von entgegengesetzten Empfindungen be-
darf — so lange wir aber Menschen sind, können allein sonst vor-
handene leidvolle, indifferente oder herabgesetzte Gefühlszustände uns
ein positives Glück, als Unterschiedsempfindung, eintragen. Wenn
also auch in einer idealen Sozialverfassung ein ganz substanzloses
Geld das absolut zweckmäſsige Tauschmittel ist, so kann doch bis da-
hin seine relativ höchste Zweckmäſsigkeit grade von seiner Bindung
an eine Substanz bedingt sein. Dieser letztere Umstand bedeutet also
keine Ablenkung des unendlichen Weges, der zur Auflösung des Geldes
in einen bloſs symbolischen Träger seiner reinen Funktion führt.

Der Primat des Funktionswertes vor dem Substanzwert des Geldes
bietet auch eine Formulierung für einen sehr merkwürdigen Vorgang
aus den amerikanischen und englischen Papiergeldperioden. Es stellte
sich nämlich damals heraus, daſs die Preise der Waren viel mehr und
rascher stiegen als das Goldagio. Das letztere scheint also gar nicht
das Maſs anzugeben, in dem das Papier entwertet ist. Als Grund da-
für hören wir: sobald Papiergeld auftrete, würde die Nachfrage nach
Gold geringer und das senke seinen Preis. Allein dies kann doch
höchstens für den Anfang einer solchen Periode gelten und muſs auf-
hören, sobald das billiger gewordene Gold in das Ausland geflossen ist.
Mir scheint vielmehr der Zusammenhang der: da das Wesentliche am
Geld sein Tauschdienst ist, so ist der Nominalwert, mit dem er ihn
vollzieht, etwas Sekundäres. Das Verhältnis seines Nominals zu dem
Güterwert ist also relativ verschiebbar. Sobald sein Wert aber gegen
irgend ein anderes Geld gemessen wird, das doch auch nur Funktions-
dienste leisten kann, so zeigt sich sogleich die Wesensgleichheit mit
diesem. Da Geld eben Geld bleibt, so lange es diese Dienste leistet
und sie selbst bei sehr verschiedenen inneren Beschaffenheiten an-
nähernd gleich leisten kann, so ergiebt es eine geringere Reibung und
ist der zweckmäſsigere Ausdruck der sachlichen Beziehung, wenn
die Warenpreise erheblich höher beziffert werden, als daſs die Geld-

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[166/0190] chologischen Umständen die Bindung an das Metall dem Gelde noch eine gröſsere Stabilität garantieren könnte, als die Lösung von ihm — wie ich es oben selbst behauptet habe. So mag — um an die dort gegebenen Analogien anzuknüpfen — die tiefste und sublimste Liebe diejenige sein, die nur zwischen Seelen, unter völliger Ausschal- tung jedes Erdenrestes, besteht — allein so lange diese nicht erreich- bar ist, wird sich ein Maximum von Liebesempfindung grade da zeigen, wo die rein seelische Beziehung einen Zusatz und Vermittlung durch sinnliche Nähe und Anziehung erhält; so mag das Paradies das Wunder- versprechen seiner Seligkeit darin erfüllen, daſs das Bewuſstsein der- selben keines Sichabhebens von entgegengesetzten Empfindungen be- darf — so lange wir aber Menschen sind, können allein sonst vor- handene leidvolle, indifferente oder herabgesetzte Gefühlszustände uns ein positives Glück, als Unterschiedsempfindung, eintragen. Wenn also auch in einer idealen Sozialverfassung ein ganz substanzloses Geld das absolut zweckmäſsige Tauschmittel ist, so kann doch bis da- hin seine relativ höchste Zweckmäſsigkeit grade von seiner Bindung an eine Substanz bedingt sein. Dieser letztere Umstand bedeutet also keine Ablenkung des unendlichen Weges, der zur Auflösung des Geldes in einen bloſs symbolischen Träger seiner reinen Funktion führt. Der Primat des Funktionswertes vor dem Substanzwert des Geldes bietet auch eine Formulierung für einen sehr merkwürdigen Vorgang aus den amerikanischen und englischen Papiergeldperioden. Es stellte sich nämlich damals heraus, daſs die Preise der Waren viel mehr und rascher stiegen als das Goldagio. Das letztere scheint also gar nicht das Maſs anzugeben, in dem das Papier entwertet ist. Als Grund da- für hören wir: sobald Papiergeld auftrete, würde die Nachfrage nach Gold geringer und das senke seinen Preis. Allein dies kann doch höchstens für den Anfang einer solchen Periode gelten und muſs auf- hören, sobald das billiger gewordene Gold in das Ausland geflossen ist. Mir scheint vielmehr der Zusammenhang der: da das Wesentliche am Geld sein Tauschdienst ist, so ist der Nominalwert, mit dem er ihn vollzieht, etwas Sekundäres. Das Verhältnis seines Nominals zu dem Güterwert ist also relativ verschiebbar. Sobald sein Wert aber gegen irgend ein anderes Geld gemessen wird, das doch auch nur Funktions- dienste leisten kann, so zeigt sich sogleich die Wesensgleichheit mit diesem. Da Geld eben Geld bleibt, so lange es diese Dienste leistet und sie selbst bei sehr verschiedenen inneren Beschaffenheiten an- nähernd gleich leisten kann, so ergiebt es eine geringere Reibung und ist der zweckmäſsigere Ausdruck der sachlichen Beziehung, wenn die Warenpreise erheblich höher beziffert werden, als daſs die Geld-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/190>, abgerufen am 22.11.2024.