und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel, der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der "Münzer Hausgenossen". Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel- geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk- tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert, wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und zwar grade in dem Masse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi- duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes, sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten grössten Sozial- kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert. Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel- bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, dass es uns ein anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi- zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver- mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes- wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann man seinen Wert ausschliesslich von dem seines Objekts abhängen lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, dass es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, dass es seinen Zweck erreicht und der Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen- gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung. Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte, deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, dass
und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel, der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der „Münzer Hausgenossen“. Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel- geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk- tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert, wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und zwar grade in dem Maſse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi- duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes, sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten gröſsten Sozial- kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert. Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel- bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daſs es uns ein anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi- zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver- mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes- wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann man seinen Wert ausschlieſslich von dem seines Objekts abhängen lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es seinen Zweck erreicht und der Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen- gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung. Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte, deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daſs
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0181"n="157"/>
und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel,<lb/>
der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem<lb/>
Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war<lb/>
ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der „Münzer Hausgenossen“.<lb/>
Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel-<lb/>
geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk-<lb/>
tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an<lb/>
ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert,<lb/>
wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der<lb/>
Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und<lb/>
zwar grade in dem Maſse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi-<lb/>
duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes,<lb/>
sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten gröſsten Sozial-<lb/>
kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung<lb/>
seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert.<lb/>
Es ist die <hirendition="#g">Sicherheit</hi> des Geldes, auf der sein Wert ruht und als<lb/>
deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel-<lb/>
bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt<lb/>
eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens<lb/>
vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daſs es uns ein<lb/>
anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi-<lb/>
zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver-<lb/>
mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die<lb/>
Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen<lb/>
Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung<lb/>
des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für<lb/>
uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres<lb/>
Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes-<lb/>
wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann<lb/>
prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn<lb/>
man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann<lb/>
man seinen Wert ausschlieſslich von dem seines Objekts abhängen<lb/>
lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der<lb/>
Wahrscheinlichkeit, daſs es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen<lb/>
Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt<lb/>
aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es seinen Zweck erreicht und der<lb/>
Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen-<lb/>
gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung.<lb/>
Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner<lb/>
steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte,<lb/>
deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daſs<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[157/0181]
und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel,
der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem
Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war
ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der „Münzer Hausgenossen“.
Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechsel-
geschäft und der Edelmetall-Handel von der Münze getrennt. Die Funk-
tion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an
ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert,
wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der
Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und
zwar grade in dem Maſse, in dem ihre Funktion als Geld überindivi-
duell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes,
sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten gröſsten Sozial-
kreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Accentuierung
seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert.
Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als
deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittel-
bare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt
eine Analogie zu einer wenig beachteten Nüance des Wertempfindens
vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daſs es uns ein
anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffi-
zienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns ver-
mittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die
Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen
Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung
des andern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für
uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres
Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der erstere, in den Geistes-
wissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann
prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn
man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann
man seinen Wert ausschlieſslich von dem seines Objekts abhängen
lassen. So ist der Wert eines Lotterielooses ein Produkt aus der
Wahrscheinlichkeit, daſs es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen
Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt
aus der Wahrscheinlichkeit, daſs es seinen Zweck erreicht und der
Wichtigkeit dieses Zwecks, so der Wert eines Rentenpapiers zusammen-
gesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung.
Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner
steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte,
deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daſs
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/181>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.