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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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folge eben nur unter einer so gefesteten und verfeinerten Gesellschafts-
verfassung üben, dass man in ihr überhaupt mit relativer Sicherheit
Geld ausleihen und wirtschaftliche Aktionen auf jene Teilfunktionen
seiner gründen kann. Wie es einer gewissen Extensität und Inten-
sität der sozialen Beziehungen bedarf, um Geld überhaupt wirksam
werden zu lassen -- vorher unterscheidet es sich nicht von anderen
Tauschwaren -- so einer sehr verstärkten, um seine Wirkungen zu
vergeistigen. An diesen gesteigerten Erscheinungen dokumentiert sich
besonders durchsichtig, wie wenig das Geld seinem innersten Wesen
nach an die Körperhaftigkeit seines Substrates gebunden ist; da es
nun aber ganz und gar eine soziologische Erscheinung ist, eine Form
der Wechselwirkung unter den Menschen, so tritt seine Art um so
reiner hervor, je kondensierter, zuverlässiger, leichter ansprechend die
sozialen Verbindungen sind. Ja, bis in alle Äusserlichkeiten der Geld-
form hinein wirkt die allgemeine Festigkeit und Sicherheit der Ver-
kehrskultur. Dass ein so feiner und leicht zerstörbarer Stoff wie Papier
zum Träger höchsten Geldwertes wird, ist nur in einem so fest und
eng organisierten und gegenseitigen Schutz garantierenden Kulturkreise
möglich, dass eine Reihe elementarer Gefahren für dasselbe -- sowohl
äusserer wie namentlich psychologischer Natur -- ausgeschlossen sind;
bezeichnender Weise hat deshalb das Mittelalter ziemlich häufig Leder-
geld verwendet. Wenn das Papiergeld wegen seines gleichsam un-
substanziellen Wesens die vorschreitende Auflösung des Geldwertes in
blossen Funktionswert bezeichnet, so mag das Ledergeld eine Vorstufe
dazu symbolisieren: von den Qualitäten, die das substanzielle Geld
charakterisieren, hat das Ledergeld wenigstens die der relativen Un-
zerstörbarkeit noch bewahrt und kann sie erst bei einer bestimmten
vorgeschrittenen Struktur der individuellen und sozialen Verhältnisse
abgeben.

Die Praxis und die Theorie der Geldpolitik scheint ebenso
den Entwicklungsgang von der Substanzbedeutung des Geldes zur
Funktionsbedeutung, wie die Abhängigkeit desselben von diesen sozio-
logischen Zuständen zu bestätigen. Man könnte den Fiskalismus des
Mittelalters und den Merkantilismus als materialistische Geldpolitik
bezeichnen. Wie der Materialismus den Geist mit seinen Äusserungen
und seinem Werte der Materie einordnet, so meinten jene Standpunkte
das Wesen und die Bewegungskraft des staatlich-wirtschaftlichen Lebens
an die Geldsubstanz gebunden. Es besteht aber zwischen ihnen der-
selbe Unterschied wie zwischen der rohen und der feineren Form des
Materialismus. Jene behauptet, dass die Vorstellung selbst etwas
materielles wäre und das Gehirn Gedanken absondere, wie die Drüsen

folge eben nur unter einer so gefesteten und verfeinerten Gesellschafts-
verfassung üben, daſs man in ihr überhaupt mit relativer Sicherheit
Geld ausleihen und wirtschaftliche Aktionen auf jene Teilfunktionen
seiner gründen kann. Wie es einer gewissen Extensität und Inten-
sität der sozialen Beziehungen bedarf, um Geld überhaupt wirksam
werden zu lassen — vorher unterscheidet es sich nicht von anderen
Tauschwaren — so einer sehr verstärkten, um seine Wirkungen zu
vergeistigen. An diesen gesteigerten Erscheinungen dokumentiert sich
besonders durchsichtig, wie wenig das Geld seinem innersten Wesen
nach an die Körperhaftigkeit seines Substrates gebunden ist; da es
nun aber ganz und gar eine soziologische Erscheinung ist, eine Form
der Wechselwirkung unter den Menschen, so tritt seine Art um so
reiner hervor, je kondensierter, zuverlässiger, leichter ansprechend die
sozialen Verbindungen sind. Ja, bis in alle Äuſserlichkeiten der Geld-
form hinein wirkt die allgemeine Festigkeit und Sicherheit der Ver-
kehrskultur. Daſs ein so feiner und leicht zerstörbarer Stoff wie Papier
zum Träger höchsten Geldwertes wird, ist nur in einem so fest und
eng organisierten und gegenseitigen Schutz garantierenden Kulturkreise
möglich, daſs eine Reihe elementarer Gefahren für dasselbe — sowohl
äuſserer wie namentlich psychologischer Natur — ausgeschlossen sind;
bezeichnender Weise hat deshalb das Mittelalter ziemlich häufig Leder-
geld verwendet. Wenn das Papiergeld wegen seines gleichsam un-
substanziellen Wesens die vorschreitende Auflösung des Geldwertes in
bloſsen Funktionswert bezeichnet, so mag das Ledergeld eine Vorstufe
dazu symbolisieren: von den Qualitäten, die das substanzielle Geld
charakterisieren, hat das Ledergeld wenigstens die der relativen Un-
zerstörbarkeit noch bewahrt und kann sie erst bei einer bestimmten
vorgeschrittenen Struktur der individuellen und sozialen Verhältnisse
abgeben.

Die Praxis und die Theorie der Geldpolitik scheint ebenso
den Entwicklungsgang von der Substanzbedeutung des Geldes zur
Funktionsbedeutung, wie die Abhängigkeit desselben von diesen sozio-
logischen Zuständen zu bestätigen. Man könnte den Fiskalismus des
Mittelalters und den Merkantilismus als materialistische Geldpolitik
bezeichnen. Wie der Materialismus den Geist mit seinen Äuſserungen
und seinem Werte der Materie einordnet, so meinten jene Standpunkte
das Wesen und die Bewegungskraft des staatlich-wirtschaftlichen Lebens
an die Geldsubstanz gebunden. Es besteht aber zwischen ihnen der-
selbe Unterschied wie zwischen der rohen und der feineren Form des
Materialismus. Jene behauptet, daſs die Vorstellung selbst etwas
materielles wäre und das Gehirn Gedanken absondere, wie die Drüsen

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[141/0165] folge eben nur unter einer so gefesteten und verfeinerten Gesellschafts- verfassung üben, daſs man in ihr überhaupt mit relativer Sicherheit Geld ausleihen und wirtschaftliche Aktionen auf jene Teilfunktionen seiner gründen kann. Wie es einer gewissen Extensität und Inten- sität der sozialen Beziehungen bedarf, um Geld überhaupt wirksam werden zu lassen — vorher unterscheidet es sich nicht von anderen Tauschwaren — so einer sehr verstärkten, um seine Wirkungen zu vergeistigen. An diesen gesteigerten Erscheinungen dokumentiert sich besonders durchsichtig, wie wenig das Geld seinem innersten Wesen nach an die Körperhaftigkeit seines Substrates gebunden ist; da es nun aber ganz und gar eine soziologische Erscheinung ist, eine Form der Wechselwirkung unter den Menschen, so tritt seine Art um so reiner hervor, je kondensierter, zuverlässiger, leichter ansprechend die sozialen Verbindungen sind. Ja, bis in alle Äuſserlichkeiten der Geld- form hinein wirkt die allgemeine Festigkeit und Sicherheit der Ver- kehrskultur. Daſs ein so feiner und leicht zerstörbarer Stoff wie Papier zum Träger höchsten Geldwertes wird, ist nur in einem so fest und eng organisierten und gegenseitigen Schutz garantierenden Kulturkreise möglich, daſs eine Reihe elementarer Gefahren für dasselbe — sowohl äuſserer wie namentlich psychologischer Natur — ausgeschlossen sind; bezeichnender Weise hat deshalb das Mittelalter ziemlich häufig Leder- geld verwendet. Wenn das Papiergeld wegen seines gleichsam un- substanziellen Wesens die vorschreitende Auflösung des Geldwertes in bloſsen Funktionswert bezeichnet, so mag das Ledergeld eine Vorstufe dazu symbolisieren: von den Qualitäten, die das substanzielle Geld charakterisieren, hat das Ledergeld wenigstens die der relativen Un- zerstörbarkeit noch bewahrt und kann sie erst bei einer bestimmten vorgeschrittenen Struktur der individuellen und sozialen Verhältnisse abgeben. Die Praxis und die Theorie der Geldpolitik scheint ebenso den Entwicklungsgang von der Substanzbedeutung des Geldes zur Funktionsbedeutung, wie die Abhängigkeit desselben von diesen sozio- logischen Zuständen zu bestätigen. Man könnte den Fiskalismus des Mittelalters und den Merkantilismus als materialistische Geldpolitik bezeichnen. Wie der Materialismus den Geist mit seinen Äuſserungen und seinem Werte der Materie einordnet, so meinten jene Standpunkte das Wesen und die Bewegungskraft des staatlich-wirtschaftlichen Lebens an die Geldsubstanz gebunden. Es besteht aber zwischen ihnen der- selbe Unterschied wie zwischen der rohen und der feineren Form des Materialismus. Jene behauptet, daſs die Vorstellung selbst etwas materielles wäre und das Gehirn Gedanken absondere, wie die Drüsen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/165>, abgerufen am 24.11.2024.