Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich er- innere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens, die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel giebt, um grade nachdem sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung aus- zugehen. Ja es ist schon eine Trivialität geworden, dass selbst das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen, doch zu blosser Langeweile werden müsste, wenn es wirklich als ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so verläuft, als ob er an diesen Zustand münden sollte, so würde derselbe als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines ge- flohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten. Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben. Die zweckmässige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des Lebens ist davon abhängig, dass neben ihnen entgegengesetzt gerichtete bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil ge- eignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar manchmal in dem Sinne veränderlich, dass das eine Element stetig zu- nimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies ein- träte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände, wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt. Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es giebt historische Epochen, in denen z. B. die letztere die Entwicklung der Zu- stände beherrscht, und zwar nicht nur in Wirklichkeit, sondern auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fort- schreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung. Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schliesst: da jeder Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fort- geschrittenste und ideale Zustand sein -- so übersieht sie, dass jener ganze Erfolg von Massregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden ist, dass sie in eine im übrigen noch individualistische Wirtschafts-
Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich er- innere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens, die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel giebt, um grade nachdem sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung aus- zugehen. Ja es ist schon eine Trivialität geworden, daſs selbst das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen, doch zu bloſser Langeweile werden müſste, wenn es wirklich als ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so verläuft, als ob er an diesen Zustand münden sollte, so würde derselbe als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines ge- flohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten. Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben. Die zweckmäſsige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des Lebens ist davon abhängig, daſs neben ihnen entgegengesetzt gerichtete bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil ge- eignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar manchmal in dem Sinne veränderlich, daſs das eine Element stetig zu- nimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies ein- träte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände, wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt. Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es giebt historische Epochen, in denen z. B. die letztere die Entwicklung der Zu- stände beherrscht, und zwar nicht nur in Wirklichkeit, sondern auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fort- schreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung. Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schlieſst: da jeder Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fort- geschrittenste und ideale Zustand sein — so übersieht sie, daſs jener ganze Erfolg von Maſsregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden ist, daſs sie in eine im übrigen noch individualistische Wirtschafts-
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Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich er-
innere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und
dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur
allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische
Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen
geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch
diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen
solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus
hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens,
die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel giebt, um grade nachdem
sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung aus-
zugehen. Ja es ist schon eine Trivialität geworden, daſs selbst
das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen,
doch zu bloſser Langeweile werden müſste, wenn es wirklich als
ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so
verläuft, als ob er an diesen Zustand münden sollte, so würde derselbe
als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines ge-
flohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten.
Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben. Die
zweckmäſsige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des
Lebens ist davon abhängig, daſs neben ihnen entgegengesetzt gerichtete
bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil ge-
eignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar
manchmal in dem Sinne veränderlich, daſs das eine Element stetig zu-
nimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist
also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch
das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies ein-
träte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände,
wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt.
Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und
der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es giebt historische
Epochen, in denen z. B. die letztere die Entwicklung der Zu-
stände beherrscht, und zwar nicht nur in Wirklichkeit, sondern
auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fort-
schreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung.
Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schlieſst: da jeder
Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes
beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fort-
geschrittenste und ideale Zustand sein — so übersieht sie, daſs jener
ganze Erfolg von Maſsregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/157>, abgerufen am 24.11.2024.
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