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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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wird, so stehen doch jedenfalls die aus den betreffenden Gesamtwert-
summen bestehenden Faktoren zwischen äusserst schwankenden Grenzen,
der instinktiv gewonnene Überschlag, in dem sie wirken, kann immer
nur ein sehr ungenauer sein. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb
auf eine unmittelbare Wertausgleichung zwischen Waren und Geld
nicht völlig verzichtet werden kann. Das Stückchen eigenen, materialen
Wertes, das im Geld steckt, ist der Halt und die Ergänzung, deren
wir bedürfen, weil unsere Erkenntnis zu der genauen Bestimmung jener
Proportion nicht ausreicht, bei der allerdings eine Wesensgleichheit
zwischen dem Gemessenen und dem Masse, d. h. ein Eigenwert des
Geldes, sich erübrigen würde. So lange aber empfunden wird und an
der Praxis des Wirtschaftens sich zeigt, dass die dieses bedingende
Proportion keine Genauigkeit besitzen kann, bedarf das Messen noch
einer gewissen qualitativen Einheit des Wertmassstabes mit den Werten
selbst. Es ist vielleicht nicht uninteressant, sich einen entsprechenden
Fall aus der ästhetischen Verwertung der Edelmetalle klar zu machen.
Von der Londoner Ausstellung von 1851 berichtete ein Kenner über
den Unterschied englischer und indischer Gold- und Silberarbeiten: bei
den englischen scheine der Fabrikant sich bemüht zu haben, eine
möglichst grosse Menge Metalls in ein Minimum von Formung hinein-
zupressen; bei den indischen aber sei "das Emaillieren, Tauschieren,
Durchbrechen u. s. w. so zur Anwendung gebracht, dass auf das geringst
mögliche Metallquantum die grösstmögliche Menge vollendet geschickter
Arbeit kommt". Dennoch ist es für die ästhetische Bedeutung auch
dieser letzteren sicher nicht gleichgültig, dass das wenige Metall, in
dem sich die Formen ausdrücken, eben doch Edelmetall ist. Auch
hier ist die Form, d. h. das blosse Verhältnis der Substanzteile zu
einander, über die Substanz und ihren Eigenwert Herr geworden. Aber
wenn das auch so weit getrieben werden mag, dass die Metallmasse nur noch
verschwindenden Wert hat, so muss dieses Minimum, damit der Gegen-
stand im höchsten Masse schmücke und ästhetisch erfreue, immerhin
noch ein edler Stoff sein. Sein eigentlicher Materialwert steht hier
freilich nicht mehr in Frage, sondern nur dies, dass überhaupt nur der
edelste Stoff der adäquate Träger für ein vollendetes formales Ver-
hältnis der Teile ist.

Es liegt übrigens auf der Hand, dass jene Zurückführung des
Materialwertes beim Geld auf ein Ergänzungs- und Festigungsprinzip
gegenüber den nicht hinreichend zu sichernden blossen Relationen nur
eine Deutung von Prozessen ist, die völlig unterhalb des Bewusstseins
der Wirtschaftenden selbst vorgehen. Die wirtschaftlichen Wechsel-
wirkungen verlaufen eben überhaupt in so wunderbarer Zweckmässig-

wird, so stehen doch jedenfalls die aus den betreffenden Gesamtwert-
summen bestehenden Faktoren zwischen äuſserst schwankenden Grenzen,
der instinktiv gewonnene Überschlag, in dem sie wirken, kann immer
nur ein sehr ungenauer sein. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb
auf eine unmittelbare Wertausgleichung zwischen Waren und Geld
nicht völlig verzichtet werden kann. Das Stückchen eigenen, materialen
Wertes, das im Geld steckt, ist der Halt und die Ergänzung, deren
wir bedürfen, weil unsere Erkenntnis zu der genauen Bestimmung jener
Proportion nicht ausreicht, bei der allerdings eine Wesensgleichheit
zwischen dem Gemessenen und dem Maſse, d. h. ein Eigenwert des
Geldes, sich erübrigen würde. So lange aber empfunden wird und an
der Praxis des Wirtschaftens sich zeigt, daſs die dieses bedingende
Proportion keine Genauigkeit besitzen kann, bedarf das Messen noch
einer gewissen qualitativen Einheit des Wertmaſsstabes mit den Werten
selbst. Es ist vielleicht nicht uninteressant, sich einen entsprechenden
Fall aus der ästhetischen Verwertung der Edelmetalle klar zu machen.
Von der Londoner Ausstellung von 1851 berichtete ein Kenner über
den Unterschied englischer und indischer Gold- und Silberarbeiten: bei
den englischen scheine der Fabrikant sich bemüht zu haben, eine
möglichst groſse Menge Metalls in ein Minimum von Formung hinein-
zupressen; bei den indischen aber sei „das Emaillieren, Tauschieren,
Durchbrechen u. s. w. so zur Anwendung gebracht, daſs auf das geringst
mögliche Metallquantum die gröſstmögliche Menge vollendet geschickter
Arbeit kommt“. Dennoch ist es für die ästhetische Bedeutung auch
dieser letzteren sicher nicht gleichgültig, daſs das wenige Metall, in
dem sich die Formen ausdrücken, eben doch Edelmetall ist. Auch
hier ist die Form, d. h. das bloſse Verhältnis der Substanzteile zu
einander, über die Substanz und ihren Eigenwert Herr geworden. Aber
wenn das auch so weit getrieben werden mag, daſs die Metallmasse nur noch
verschwindenden Wert hat, so muſs dieses Minimum, damit der Gegen-
stand im höchsten Maſse schmücke und ästhetisch erfreue, immerhin
noch ein edler Stoff sein. Sein eigentlicher Materialwert steht hier
freilich nicht mehr in Frage, sondern nur dies, daſs überhaupt nur der
edelste Stoff der adäquate Träger für ein vollendetes formales Ver-
hältnis der Teile ist.

Es liegt übrigens auf der Hand, daſs jene Zurückführung des
Materialwertes beim Geld auf ein Ergänzungs- und Festigungsprinzip
gegenüber den nicht hinreichend zu sichernden bloſsen Relationen nur
eine Deutung von Prozessen ist, die völlig unterhalb des Bewuſstseins
der Wirtschaftenden selbst vorgehen. Die wirtschaftlichen Wechsel-
wirkungen verlaufen eben überhaupt in so wunderbarer Zweckmäſsig-

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[123/0147] wird, so stehen doch jedenfalls die aus den betreffenden Gesamtwert- summen bestehenden Faktoren zwischen äuſserst schwankenden Grenzen, der instinktiv gewonnene Überschlag, in dem sie wirken, kann immer nur ein sehr ungenauer sein. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb auf eine unmittelbare Wertausgleichung zwischen Waren und Geld nicht völlig verzichtet werden kann. Das Stückchen eigenen, materialen Wertes, das im Geld steckt, ist der Halt und die Ergänzung, deren wir bedürfen, weil unsere Erkenntnis zu der genauen Bestimmung jener Proportion nicht ausreicht, bei der allerdings eine Wesensgleichheit zwischen dem Gemessenen und dem Maſse, d. h. ein Eigenwert des Geldes, sich erübrigen würde. So lange aber empfunden wird und an der Praxis des Wirtschaftens sich zeigt, daſs die dieses bedingende Proportion keine Genauigkeit besitzen kann, bedarf das Messen noch einer gewissen qualitativen Einheit des Wertmaſsstabes mit den Werten selbst. Es ist vielleicht nicht uninteressant, sich einen entsprechenden Fall aus der ästhetischen Verwertung der Edelmetalle klar zu machen. Von der Londoner Ausstellung von 1851 berichtete ein Kenner über den Unterschied englischer und indischer Gold- und Silberarbeiten: bei den englischen scheine der Fabrikant sich bemüht zu haben, eine möglichst groſse Menge Metalls in ein Minimum von Formung hinein- zupressen; bei den indischen aber sei „das Emaillieren, Tauschieren, Durchbrechen u. s. w. so zur Anwendung gebracht, daſs auf das geringst mögliche Metallquantum die gröſstmögliche Menge vollendet geschickter Arbeit kommt“. Dennoch ist es für die ästhetische Bedeutung auch dieser letzteren sicher nicht gleichgültig, daſs das wenige Metall, in dem sich die Formen ausdrücken, eben doch Edelmetall ist. Auch hier ist die Form, d. h. das bloſse Verhältnis der Substanzteile zu einander, über die Substanz und ihren Eigenwert Herr geworden. Aber wenn das auch so weit getrieben werden mag, daſs die Metallmasse nur noch verschwindenden Wert hat, so muſs dieses Minimum, damit der Gegen- stand im höchsten Maſse schmücke und ästhetisch erfreue, immerhin noch ein edler Stoff sein. Sein eigentlicher Materialwert steht hier freilich nicht mehr in Frage, sondern nur dies, daſs überhaupt nur der edelste Stoff der adäquate Träger für ein vollendetes formales Ver- hältnis der Teile ist. Es liegt übrigens auf der Hand, daſs jene Zurückführung des Materialwertes beim Geld auf ein Ergänzungs- und Festigungsprinzip gegenüber den nicht hinreichend zu sichernden bloſsen Relationen nur eine Deutung von Prozessen ist, die völlig unterhalb des Bewuſstseins der Wirtschaftenden selbst vorgehen. Die wirtschaftlichen Wechsel- wirkungen verlaufen eben überhaupt in so wunderbarer Zweckmäſsig-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/147>, abgerufen am 23.11.2024.