wie Plato die Wirklichkeit, aus deren Beobachtung und Sublimierung die Ideen zustande gekommen sind, dann doch als eine blosse Ab- spiegelung eben dieser deutet, so erscheinen die wirtschaftlichen Ver- hältnisse, Abstufungen und Fluktuationen der konkreten Dinge als Derivat ihres eigenen Derivates: nämlich als Vertretungen und Schatten der Bedeutung, die ihren Geldäquivalenten zukommt. Keine andere Gattung von Werten befindet sich in dieser Hinsicht in einer günstigeren Lage, als es die ökonomischen Werte thun. Wenn sich der religiöse Wert in Priestern und Kirchen, der ethisch-soziale in den Verwaltern und sichtbaren Institutionen der Staatsgewalt, der Erkenntniswert in den Normen der Logik verkörpert, so steht keines von diesen los- gelöster über den konkreten wertvollen Gegenständen oder Vorgängen, keines ist mehr der bloss abstrakte Träger des Wertes und nichts weiter, kaum in einem geht die Gesamtheit der fraglichen Wertprovinz in so treuer Abspiegelung auf.
Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je völlig zu erreichen. Es steht ursprünglich -- das muss unbedingt fest- gehalten werden -- in einer Reihe mit allen anderen Wertobjekten, und sein konkreter Substanzwert tritt in Abwägung gegen diese. Mit dem steigenden Bedürfnis nach Tauschmitteln und Wertmassstäben wird es immer mehr aus einem Gliede von Wertgleichungen zu dem Ausdruck derselben, und insofern von dem Werte seines Substrates immer unabhängiger. Dennoch kann es einen Rest von substanziellem Werte nicht abstreifen, und zwar nicht eigentlich aus inneren, aus seinem Wesen folgenden Gründen, sondern wegen gewisser Unvoll- kommenheiten der ökonomischen Technik. Die eine betrifft das Geld als Tauschmittel. Der Ersatz des Eigenwertes des Geldes durch eine bloss symbolische Bedeutung kann, wie wir gesehen haben, daraufhin erfolgen, dass die Proportion zwischen der einzelnen Ware und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtwarenquantum unter be- stimmten Modifikationen gleich ist derjenigen zwischen einer Geld- summe und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtgeld- quantum; dass die Nenner dieser Brüche nur praktisch, aber nicht bewusst wirksam sind, da nicht sie, sondern nur die wechselnden Zähler von realem, den wirklichen Verkehr bestimmendem Interesse sind; und dass deshalb in diesem Verkehr eine unmittelbare Gleichung zwischen der Ware und der Geldsumme stattzufinden scheint, die freilich auf einer ganz anderen Basis ruht, als die primäre Gleichung zwischen dem Objekt und dem Substanzwert des Geldes, welche letztere all- mählich in jene übergeht. Wenn diese Entwicklung selbst zugegeben
wie Plato die Wirklichkeit, aus deren Beobachtung und Sublimierung die Ideen zustande gekommen sind, dann doch als eine bloſse Ab- spiegelung eben dieser deutet, so erscheinen die wirtschaftlichen Ver- hältnisse, Abstufungen und Fluktuationen der konkreten Dinge als Derivat ihres eigenen Derivates: nämlich als Vertretungen und Schatten der Bedeutung, die ihren Geldäquivalenten zukommt. Keine andere Gattung von Werten befindet sich in dieser Hinsicht in einer günstigeren Lage, als es die ökonomischen Werte thun. Wenn sich der religiöse Wert in Priestern und Kirchen, der ethisch-soziale in den Verwaltern und sichtbaren Institutionen der Staatsgewalt, der Erkenntniswert in den Normen der Logik verkörpert, so steht keines von diesen los- gelöster über den konkreten wertvollen Gegenständen oder Vorgängen, keines ist mehr der bloſs abstrakte Träger des Wertes und nichts weiter, kaum in einem geht die Gesamtheit der fraglichen Wertprovinz in so treuer Abspiegelung auf.
Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je völlig zu erreichen. Es steht ursprünglich — das muſs unbedingt fest- gehalten werden — in einer Reihe mit allen anderen Wertobjekten, und sein konkreter Substanzwert tritt in Abwägung gegen diese. Mit dem steigenden Bedürfnis nach Tauschmitteln und Wertmaſsstäben wird es immer mehr aus einem Gliede von Wertgleichungen zu dem Ausdruck derselben, und insofern von dem Werte seines Substrates immer unabhängiger. Dennoch kann es einen Rest von substanziellem Werte nicht abstreifen, und zwar nicht eigentlich aus inneren, aus seinem Wesen folgenden Gründen, sondern wegen gewisser Unvoll- kommenheiten der ökonomischen Technik. Die eine betrifft das Geld als Tauschmittel. Der Ersatz des Eigenwertes des Geldes durch eine bloſs symbolische Bedeutung kann, wie wir gesehen haben, daraufhin erfolgen, daſs die Proportion zwischen der einzelnen Ware und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtwarenquantum unter be- stimmten Modifikationen gleich ist derjenigen zwischen einer Geld- summe und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtgeld- quantum; daſs die Nenner dieser Brüche nur praktisch, aber nicht bewuſst wirksam sind, da nicht sie, sondern nur die wechselnden Zähler von realem, den wirklichen Verkehr bestimmendem Interesse sind; und daſs deshalb in diesem Verkehr eine unmittelbare Gleichung zwischen der Ware und der Geldsumme stattzufinden scheint, die freilich auf einer ganz anderen Basis ruht, als die primäre Gleichung zwischen dem Objekt und dem Substanzwert des Geldes, welche letztere all- mählich in jene übergeht. Wenn diese Entwicklung selbst zugegeben
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[122/0146]
wie Plato die Wirklichkeit, aus deren Beobachtung und Sublimierung
die Ideen zustande gekommen sind, dann doch als eine bloſse Ab-
spiegelung eben dieser deutet, so erscheinen die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse, Abstufungen und Fluktuationen der konkreten Dinge als
Derivat ihres eigenen Derivates: nämlich als Vertretungen und Schatten
der Bedeutung, die ihren Geldäquivalenten zukommt. Keine andere
Gattung von Werten befindet sich in dieser Hinsicht in einer günstigeren
Lage, als es die ökonomischen Werte thun. Wenn sich der religiöse
Wert in Priestern und Kirchen, der ethisch-soziale in den Verwaltern
und sichtbaren Institutionen der Staatsgewalt, der Erkenntniswert in
den Normen der Logik verkörpert, so steht keines von diesen los-
gelöster über den konkreten wertvollen Gegenständen oder Vorgängen,
keines ist mehr der bloſs abstrakte Träger des Wertes und nichts
weiter, kaum in einem geht die Gesamtheit der fraglichen Wertprovinz
in so treuer Abspiegelung auf.
Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist
das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je
völlig zu erreichen. Es steht ursprünglich — das muſs unbedingt fest-
gehalten werden — in einer Reihe mit allen anderen Wertobjekten,
und sein konkreter Substanzwert tritt in Abwägung gegen diese. Mit
dem steigenden Bedürfnis nach Tauschmitteln und Wertmaſsstäben
wird es immer mehr aus einem Gliede von Wertgleichungen zu dem
Ausdruck derselben, und insofern von dem Werte seines Substrates
immer unabhängiger. Dennoch kann es einen Rest von substanziellem
Werte nicht abstreifen, und zwar nicht eigentlich aus inneren, aus
seinem Wesen folgenden Gründen, sondern wegen gewisser Unvoll-
kommenheiten der ökonomischen Technik. Die eine betrifft das Geld
als Tauschmittel. Der Ersatz des Eigenwertes des Geldes durch eine
bloſs symbolische Bedeutung kann, wie wir gesehen haben, daraufhin
erfolgen, daſs die Proportion zwischen der einzelnen Ware und dem
augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtwarenquantum unter be-
stimmten Modifikationen gleich ist derjenigen zwischen einer Geld-
summe und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtgeld-
quantum; daſs die Nenner dieser Brüche nur praktisch, aber nicht
bewuſst wirksam sind, da nicht sie, sondern nur die wechselnden Zähler
von realem, den wirklichen Verkehr bestimmendem Interesse sind; und
daſs deshalb in diesem Verkehr eine unmittelbare Gleichung zwischen
der Ware und der Geldsumme stattzufinden scheint, die freilich auf
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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