ihrem Preise durchaus nicht dem zwischen allen Waren und allem Gelde gleich, sondern, wie sich leicht aus dem vorhergehenden ergiebt, erheblich kleiner als dieser ist. Auf zwei Wegen aber lässt sich dennoch unsere grundlegende Proportion retten. Man könnte nämlich, erstens, als das in sie eintretende Gesamtwarenquantum dasjenige an- sehen, das sich in aktueller Verkaufsbewegung befindet. Aristotelisch zu reden, ist die unverkaufte Ware nur eine Ware "der Möglichkeit nach", sie wird zur Ware "der Wirklichkeit nach" erst in dem Moment ihres Verkauftwerdens. Wie das Geld erst in dem Augenblick, wo es kauft, d. h. die Funktion des Geldes übt, wirklich Geld ist, so ent- sprechend die Ware erst, wenn sie verkauft wird; vorher ist sie Ver- kaufsobjekt nur vermöge und innerhalb einer ideellen Antizipation. Von diesem Standpunkt aus ist es ein ganz selbstverständlicher, ja identischer Satz, dass es so viel Geld giebt, wie es Verkaufsobjekte giebt -- wobei natürlich unter Geld auch alle durch den Kredit und Giroverkehr ermöglichten Geldsubstitute einbegriffen sind. Nun sind zwar die momentan ruhenden Waren keineswegs wirtschaftlich unwirk- sam, und das wirtschaftliche Leben wäre unermesslich verändert, wenn auf einmal der Warenvorrat so restlos in die Bewegung jedes Momentes einginge, wie der Geldvorrat es thut. Allein genauer betrachtet scheint mir der ruhende Warenvorrat nur nach drei Seiten hin auf die wirk- lichen Geldkäufe zu wirken: auf das Tempo des Geldumlaufs, auf die Beschaffung der Geldstoffe oder -äquivalente, auf das Verhältnis der Geldausgaben zu den Reserven. Aber diese Momente haben auf die aktuellen Umsätze schon ihre Wirkung geübt, unter ihrem Einfluss hat sich das empirische Verhältnis zwischen Ware und Preis gebildet, und sie verhindern also gar nicht, in jener fundamentalen Proportion das Gesamtwarenquantum als dasjenige zu verstehen, das sich aus den in jedem gegebenen Moment wirklich geschehenden Käufen zusammen- setzt. Das kann aber, zweitens, auch als Folge der Thatsache an- erkannt werden, dass dasselbe Geldquantum, weil es nicht wie die Waren konsumiert wird, eine unbegrenzte Zahl von Umsätzen ver- mittelt und die Geringfügigkeit seiner Gesamtsumme im Verhältnis zu der der Waren, die in jedem isolierten Augenblick besteht, durch die Schnelligkeit seiner Zirkulation ausgleicht. An einigen Höhepunkten des Geldwesens wird es ganz unmittelbar anschaulich, eine wie ver- schwindend geringe Rolle die Geldsubstanz in den durch sie vermittelten Wertausgleichen spielt: im Jahre 1890 hat die französische Bank auf Kontokorrent das 135 fache des thatsächlich darauf eingezahlten Geldes umgesetzt (54 Milliarden auf 400 Millionen frcs.), ja, die deutsche Reichsbank das 190fache. Innerhalb der funktionierenden Geldsummen,
Simmel, Philosophie des Geldes. 7
ihrem Preise durchaus nicht dem zwischen allen Waren und allem Gelde gleich, sondern, wie sich leicht aus dem vorhergehenden ergiebt, erheblich kleiner als dieser ist. Auf zwei Wegen aber läſst sich dennoch unsere grundlegende Proportion retten. Man könnte nämlich, erstens, als das in sie eintretende Gesamtwarenquantum dasjenige an- sehen, das sich in aktueller Verkaufsbewegung befindet. Aristotelisch zu reden, ist die unverkaufte Ware nur eine Ware „der Möglichkeit nach“, sie wird zur Ware „der Wirklichkeit nach“ erst in dem Moment ihres Verkauftwerdens. Wie das Geld erst in dem Augenblick, wo es kauft, d. h. die Funktion des Geldes übt, wirklich Geld ist, so ent- sprechend die Ware erst, wenn sie verkauft wird; vorher ist sie Ver- kaufsobjekt nur vermöge und innerhalb einer ideellen Antizipation. Von diesem Standpunkt aus ist es ein ganz selbstverständlicher, ja identischer Satz, daſs es so viel Geld giebt, wie es Verkaufsobjekte giebt — wobei natürlich unter Geld auch alle durch den Kredit und Giroverkehr ermöglichten Geldsubstitute einbegriffen sind. Nun sind zwar die momentan ruhenden Waren keineswegs wirtschaftlich unwirk- sam, und das wirtschaftliche Leben wäre unermeſslich verändert, wenn auf einmal der Warenvorrat so restlos in die Bewegung jedes Momentes einginge, wie der Geldvorrat es thut. Allein genauer betrachtet scheint mir der ruhende Warenvorrat nur nach drei Seiten hin auf die wirk- lichen Geldkäufe zu wirken: auf das Tempo des Geldumlaufs, auf die Beschaffung der Geldstoffe oder -äquivalente, auf das Verhältnis der Geldausgaben zu den Reserven. Aber diese Momente haben auf die aktuellen Umsätze schon ihre Wirkung geübt, unter ihrem Einfluſs hat sich das empirische Verhältnis zwischen Ware und Preis gebildet, und sie verhindern also gar nicht, in jener fundamentalen Proportion das Gesamtwarenquantum als dasjenige zu verstehen, das sich aus den in jedem gegebenen Moment wirklich geschehenden Käufen zusammen- setzt. Das kann aber, zweitens, auch als Folge der Thatsache an- erkannt werden, daſs dasselbe Geldquantum, weil es nicht wie die Waren konsumiert wird, eine unbegrenzte Zahl von Umsätzen ver- mittelt und die Geringfügigkeit seiner Gesamtsumme im Verhältnis zu der der Waren, die in jedem isolierten Augenblick besteht, durch die Schnelligkeit seiner Zirkulation ausgleicht. An einigen Höhepunkten des Geldwesens wird es ganz unmittelbar anschaulich, eine wie ver- schwindend geringe Rolle die Geldsubstanz in den durch sie vermittelten Wertausgleichen spielt: im Jahre 1890 hat die französische Bank auf Kontokorrent das 135 fache des thatsächlich darauf eingezahlten Geldes umgesetzt (54 Milliarden auf 400 Millionen frcs.), ja, die deutsche Reichsbank das 190fache. Innerhalb der funktionierenden Geldsummen,
Simmel, Philosophie des Geldes. 7
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Gelde gleich, sondern, wie sich leicht aus dem vorhergehenden ergiebt,
erheblich kleiner als dieser ist. Auf zwei Wegen aber läſst sich
dennoch unsere grundlegende Proportion retten. Man könnte nämlich,
erstens, als das in sie eintretende Gesamtwarenquantum dasjenige an-
sehen, das sich in aktueller Verkaufsbewegung befindet. Aristotelisch
zu reden, ist die unverkaufte Ware nur eine Ware „der Möglichkeit
nach“, sie wird zur Ware „der Wirklichkeit nach“ erst in dem Moment
ihres Verkauftwerdens. Wie das Geld erst in dem Augenblick, wo es
kauft, d. h. die Funktion des Geldes übt, wirklich Geld ist, so ent-
sprechend die Ware erst, wenn sie verkauft wird; vorher ist sie Ver-
kaufsobjekt nur vermöge und innerhalb einer ideellen Antizipation.
Von diesem Standpunkt aus ist es ein ganz selbstverständlicher, ja
identischer Satz, daſs es so viel Geld giebt, wie es Verkaufsobjekte
giebt — wobei natürlich unter Geld auch alle durch den Kredit und
Giroverkehr ermöglichten Geldsubstitute einbegriffen sind. Nun sind
zwar die momentan ruhenden Waren keineswegs wirtschaftlich unwirk-
sam, und das wirtschaftliche Leben wäre unermeſslich verändert, wenn
auf einmal der Warenvorrat so restlos in die Bewegung jedes Momentes
einginge, wie der Geldvorrat es thut. Allein genauer betrachtet scheint
mir der ruhende Warenvorrat nur nach drei Seiten hin auf die wirk-
lichen Geldkäufe zu wirken: auf das Tempo des Geldumlaufs, auf die
Beschaffung der Geldstoffe oder -äquivalente, auf das Verhältnis der
Geldausgaben zu den Reserven. Aber diese Momente haben auf die
aktuellen Umsätze schon ihre Wirkung geübt, unter ihrem Einfluſs
hat sich das empirische Verhältnis zwischen Ware und Preis gebildet,
und sie verhindern also gar nicht, in jener fundamentalen Proportion
das Gesamtwarenquantum als dasjenige zu verstehen, das sich aus den
in jedem gegebenen Moment wirklich geschehenden Käufen zusammen-
setzt. Das kann aber, zweitens, auch als Folge der Thatsache an-
erkannt werden, daſs dasselbe Geldquantum, weil es nicht wie die
Waren konsumiert wird, eine unbegrenzte Zahl von Umsätzen ver-
mittelt und die Geringfügigkeit seiner Gesamtsumme im Verhältnis zu
der der Waren, die in jedem isolierten Augenblick besteht, durch die
Schnelligkeit seiner Zirkulation ausgleicht. An einigen Höhepunkten
des Geldwesens wird es ganz unmittelbar anschaulich, eine wie ver-
schwindend geringe Rolle die Geldsubstanz in den durch sie vermittelten
Wertausgleichen spielt: im Jahre 1890 hat die französische Bank auf
Kontokorrent das 135 fache des thatsächlich darauf eingezahlten Geldes
umgesetzt (54 Milliarden auf 400 Millionen frcs.), ja, die deutsche
Reichsbank das 190fache. Innerhalb der funktionierenden Geldsummen,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/121>, abgerufen am 23.11.2024.
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