eine der hervorstechendsten und zweckmässigsten Eigenschaften des Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktions- reihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen, der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Be- rechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich macht. So lange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Ob- jekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa um- gekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergiebt sich erst als objek- tive Thatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, dass das Geld über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhält- nisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es speziali- sieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen, Quantitätsbestimmungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die einer Relativität hineindrängen, so dass es, kurz gesagt, nicht mehr Relation ist, sondern Relationen hat. Nur in dem Masse, in dem das Geld, seinem reinen Wesen treu, dem allen entzogen ist, besitzt es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, dass Preisschwankungen nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese wiederum involvieren, dass der Erhöhung des einen eine Erniedrigung eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesent- liche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden, in sich in reiner Abstraktheit -- durch sein blosses Quantum -- aus- zudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zu- stand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen Ausdruck darbietet. Dass der wirtschaftliche Wert eines Dinges in dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen
Simmel, Philosophie des Geldes. 6
eine der hervorstechendsten und zweckmäſsigsten Eigenschaften des Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktions- reihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen, der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Be- rechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich macht. So lange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Ob- jekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa um- gekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergiebt sich erst als objek- tive Thatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, daſs das Geld über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhält- nisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es speziali- sieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen, Quantitätsbestimmungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die einer Relativität hineindrängen, so daſs es, kurz gesagt, nicht mehr Relation ist, sondern Relationen hat. Nur in dem Maſse, in dem das Geld, seinem reinen Wesen treu, dem allen entzogen ist, besitzt es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, daſs Preisschwankungen nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese wiederum involvieren, daſs der Erhöhung des einen eine Erniedrigung eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesent- liche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden, in sich in reiner Abstraktheit — durch sein bloſses Quantum — aus- zudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zu- stand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen Ausdruck darbietet. Daſs der wirtschaftliche Wert eines Dinges in dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen
Simmel, Philosophie des Geldes. 6
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0105"n="81"/>
eine der hervorstechendsten und zweckmäſsigsten Eigenschaften des<lb/>
Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktions-<lb/>
reihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen,<lb/>
der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt<lb/>
von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Be-<lb/>
rechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich<lb/>
macht. So lange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Ob-<lb/>
jekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren<lb/>
sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa um-<lb/>
gekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergiebt sich erst als objek-<lb/>
tive Thatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines<lb/>
Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine<lb/>
Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes<lb/>
bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes<lb/>
durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, daſs das Geld<lb/>
über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhält-<lb/>
nisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es speziali-<lb/>
sieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen,<lb/>
Quantitätsbestimmungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner<lb/>
absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die<lb/>
einer Relativität hineindrängen, so daſs es, kurz gesagt, nicht mehr<lb/>
Relation <hirendition="#g">ist</hi>, sondern Relationen <hirendition="#g">hat</hi>. Nur in dem Maſse, in dem<lb/>
das Geld, seinem reinen Wesen treu, dem allen entzogen ist, besitzt<lb/>
es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, daſs Preisschwankungen<lb/>
nicht Änderungen <hirendition="#g">seiner</hi> Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich<lb/>
ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese<lb/>
wiederum involvieren, daſs der Erhöhung des einen eine Erniedrigung<lb/>
eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesent-<lb/>
liche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie<lb/>
seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die<lb/>
Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden,<lb/>
in sich in reiner Abstraktheit — durch sein bloſses Quantum — aus-<lb/>
zudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die<lb/>
Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und<lb/>
lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo<lb/>
die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt<lb/>
es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zu-<lb/>
stand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für<lb/>
jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen<lb/>
Ausdruck darbietet. Daſs der wirtschaftliche Wert eines Dinges in<lb/>
dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Simmel</hi>, Philosophie des Geldes. 6</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[81/0105]
eine der hervorstechendsten und zweckmäſsigsten Eigenschaften des
Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktions-
reihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen,
der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt
von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Be-
rechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich
macht. So lange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Ob-
jekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren
sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa um-
gekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergiebt sich erst als objek-
tive Thatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines
Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine
Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes
bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes
durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, daſs das Geld
über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhält-
nisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es speziali-
sieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen,
Quantitätsbestimmungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner
absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die
einer Relativität hineindrängen, so daſs es, kurz gesagt, nicht mehr
Relation ist, sondern Relationen hat. Nur in dem Maſse, in dem
das Geld, seinem reinen Wesen treu, dem allen entzogen ist, besitzt
es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, daſs Preisschwankungen
nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich
ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese
wiederum involvieren, daſs der Erhöhung des einen eine Erniedrigung
eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesent-
liche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie
seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die
Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden,
in sich in reiner Abstraktheit — durch sein bloſses Quantum — aus-
zudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die
Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und
lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo
die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt
es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zu-
stand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für
jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen
Ausdruck darbietet. Daſs der wirtschaftliche Wert eines Dinges in
dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen
Simmel, Philosophie des Geldes. 6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/105>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.