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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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gern und zu immer schärferen Specialisierungen und Indivi-
dualisierungen innerhalb der Genossenschaft und schliesslich
zur Sprengung derselben führen. Andererseits aber wurde
durch diese Umgestaltung ein weiteres Hinausgreifen über
das bisherige Absatzgebiet gegeben; dadurch, dass der Pro-
ducent und der Händler, früher in einer Person vereinigt,
sich von einander differenzierten, gewann der letztere eine
unvergleichlich freiere Beweglichkeit und wurden früher un-
mögliche kommerzielle Anknüpfungen erzielt. Die individuelle
Freiheit und die Vergrösserung des Betriebes stehen in
Wechselwirkung. So zeigte sich bei dem Zusammenbestehen
zünftiger Beschränkungen und grosser fabrikmässiger Betriebe,
wie es etwa anfangs dieses Jahrhunderts in Deutschland statt-
fand, stets die Notwendigkeit, den letzteren die Produktions-
und Handelsfreiheit zu lassen, die man den Kreisen kleinerer
und engerer Betriebe kollektivistisch einschränken konnte oder
wollte. Es war also eine zwiefache Richtung, in der die Ent-
wicklung von dem engen homogenen Zunftkreise aus führte
und die in ihrer Doppelheit die Auflösung desselben vorbe-
reiten sollte: einmal die individualisierende Differenzierung
und dann die an das Ferne anknüpfende Ausbreitung. Die
Geschichte der Bauernbefreiung zeigt z. B. in Preussen einen
in dieser Beziehung ähnlichen Prozess. Der erbunterthänige
Bauer, wie er in Preussen bis etwa 1810 existierte, befand
sich sowohl dem Lande wie dem Herrn gegenüber in einer
eigentümlichen Mittelstellung; das Land gehörte zwar dem
letzteren, aber doch nicht so, dass der Bauer nicht gewisse
Rechte auf dasselbe gehabt hätte. Andererseits musste er zwar
dem Herrn auf dessen Acker frohnden, bearbeitete aber da-
neben das ihm zugewiesene Land für seine eigene Rechnung.
Bei der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde nun dem Bauer
ein gewisser Teil seines bisherigen, zu beschränkten Rechten
besessenen Landes zu vollem und freiem Eigentum übermacht,
und der Gutsherr war auf Lohnarbeiter angewiesen, die sich
jetzt zumeist aus den Besitzern kleinerer, ihnen abgekaufter
Stellen rekrutierten. Während also der Bauer in den frühe-
ren Verhältnissen die teilweisen Qualitäten des Eigentümers
und des Arbeiters für fremde Rechnung in sich vereinigte,
trat nun scharfe Differenzierung ein: der eine Teil wurde zu
reinen Eigentümern, der andere zu reinen Arbeitern. Wie
aber hierdurch die freie Bewegung der Person, das Anknüpfen
entfernterer Beziehungen hervorgerufen wurde, liegt auf der
Hand; nicht nur die Aufhebung der äusserlichen Bindung an
die Scholle kam dafür in Betracht, sondern auch die Stellung
des Arbeiters als solchen, der bald hier, bald dort angestellt
wird, andererseits der freie Besitz, der Veräusserlichungen und
damit kommerzielle Beziehungen, Umsiedlungen u. s. w. er-
möglicht. So begründet sich die im ersten Satz ausgesprochene

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gern und zu immer schärferen Specialisierungen und Indivi-
dualisierungen innerhalb der Genossenschaft und schlieſslich
zur Sprengung derselben führen. Andererseits aber wurde
durch diese Umgestaltung ein weiteres Hinausgreifen über
das bisherige Absatzgebiet gegeben; dadurch, daſs der Pro-
ducent und der Händler, früher in einer Person vereinigt,
sich von einander differenzierten, gewann der letztere eine
unvergleichlich freiere Beweglichkeit und wurden früher un-
mögliche kommerzielle Anknüpfungen erzielt. Die individuelle
Freiheit und die Vergröſserung des Betriebes stehen in
Wechselwirkung. So zeigte sich bei dem Zusammenbestehen
zünftiger Beschränkungen und groſser fabrikmäſsiger Betriebe,
wie es etwa anfangs dieses Jahrhunderts in Deutschland statt-
fand, stets die Notwendigkeit, den letzteren die Produktions-
und Handelsfreiheit zu lassen, die man den Kreisen kleinerer
und engerer Betriebe kollektivistisch einschränken konnte oder
wollte. Es war also eine zwiefache Richtung, in der die Ent-
wicklung von dem engen homogenen Zunftkreise aus führte
und die in ihrer Doppelheit die Auflösung desselben vorbe-
reiten sollte: einmal die individualisierende Differenzierung
und dann die an das Ferne anknüpfende Ausbreitung. Die
Geschichte der Bauernbefreiung zeigt z. B. in Preuſsen einen
in dieser Beziehung ähnlichen Prozeſs. Der erbunterthänige
Bauer, wie er in Preuſsen bis etwa 1810 existierte, befand
sich sowohl dem Lande wie dem Herrn gegenüber in einer
eigentümlichen Mittelstellung; das Land gehörte zwar dem
letzteren, aber doch nicht so, daſs der Bauer nicht gewisse
Rechte auf dasselbe gehabt hätte. Andererseits muſste er zwar
dem Herrn auf dessen Acker frohnden, bearbeitete aber da-
neben das ihm zugewiesene Land für seine eigene Rechnung.
Bei der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde nun dem Bauer
ein gewisser Teil seines bisherigen, zu beschränkten Rechten
besessenen Landes zu vollem und freiem Eigentum übermacht,
und der Gutsherr war auf Lohnarbeiter angewiesen, die sich
jetzt zumeist aus den Besitzern kleinerer, ihnen abgekaufter
Stellen rekrutierten. Während also der Bauer in den frühe-
ren Verhältnissen die teilweisen Qualitäten des Eigentümers
und des Arbeiters für fremde Rechnung in sich vereinigte,
trat nun scharfe Differenzierung ein: der eine Teil wurde zu
reinen Eigentümern, der andere zu reinen Arbeitern. Wie
aber hierdurch die freie Bewegung der Person, das Anknüpfen
entfernterer Beziehungen hervorgerufen wurde, liegt auf der
Hand; nicht nur die Aufhebung der äuſserlichen Bindung an
die Scholle kam dafür in Betracht, sondern auch die Stellung
des Arbeiters als solchen, der bald hier, bald dort angestellt
wird, andererseits der freie Besitz, der Veräuſserlichungen und
damit kommerzielle Beziehungen, Umsiedlungen u. s. w. er-
möglicht. So begründet sich die im ersten Satz ausgesprochene

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[47/0061] X 1. gern und zu immer schärferen Specialisierungen und Indivi- dualisierungen innerhalb der Genossenschaft und schlieſslich zur Sprengung derselben führen. Andererseits aber wurde durch diese Umgestaltung ein weiteres Hinausgreifen über das bisherige Absatzgebiet gegeben; dadurch, daſs der Pro- ducent und der Händler, früher in einer Person vereinigt, sich von einander differenzierten, gewann der letztere eine unvergleichlich freiere Beweglichkeit und wurden früher un- mögliche kommerzielle Anknüpfungen erzielt. Die individuelle Freiheit und die Vergröſserung des Betriebes stehen in Wechselwirkung. So zeigte sich bei dem Zusammenbestehen zünftiger Beschränkungen und groſser fabrikmäſsiger Betriebe, wie es etwa anfangs dieses Jahrhunderts in Deutschland statt- fand, stets die Notwendigkeit, den letzteren die Produktions- und Handelsfreiheit zu lassen, die man den Kreisen kleinerer und engerer Betriebe kollektivistisch einschränken konnte oder wollte. Es war also eine zwiefache Richtung, in der die Ent- wicklung von dem engen homogenen Zunftkreise aus führte und die in ihrer Doppelheit die Auflösung desselben vorbe- reiten sollte: einmal die individualisierende Differenzierung und dann die an das Ferne anknüpfende Ausbreitung. Die Geschichte der Bauernbefreiung zeigt z. B. in Preuſsen einen in dieser Beziehung ähnlichen Prozeſs. Der erbunterthänige Bauer, wie er in Preuſsen bis etwa 1810 existierte, befand sich sowohl dem Lande wie dem Herrn gegenüber in einer eigentümlichen Mittelstellung; das Land gehörte zwar dem letzteren, aber doch nicht so, daſs der Bauer nicht gewisse Rechte auf dasselbe gehabt hätte. Andererseits muſste er zwar dem Herrn auf dessen Acker frohnden, bearbeitete aber da- neben das ihm zugewiesene Land für seine eigene Rechnung. Bei der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde nun dem Bauer ein gewisser Teil seines bisherigen, zu beschränkten Rechten besessenen Landes zu vollem und freiem Eigentum übermacht, und der Gutsherr war auf Lohnarbeiter angewiesen, die sich jetzt zumeist aus den Besitzern kleinerer, ihnen abgekaufter Stellen rekrutierten. Während also der Bauer in den frühe- ren Verhältnissen die teilweisen Qualitäten des Eigentümers und des Arbeiters für fremde Rechnung in sich vereinigte, trat nun scharfe Differenzierung ein: der eine Teil wurde zu reinen Eigentümern, der andere zu reinen Arbeitern. Wie aber hierdurch die freie Bewegung der Person, das Anknüpfen entfernterer Beziehungen hervorgerufen wurde, liegt auf der Hand; nicht nur die Aufhebung der äuſserlichen Bindung an die Scholle kam dafür in Betracht, sondern auch die Stellung des Arbeiters als solchen, der bald hier, bald dort angestellt wird, andererseits der freie Besitz, der Veräuſserlichungen und damit kommerzielle Beziehungen, Umsiedlungen u. s. w. er- möglicht. So begründet sich die im ersten Satz ausgesprochene

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/61>, abgerufen am 24.11.2024.