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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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dern nur im Geiste liegen --, zeigt das Zurückgehen auf den
Einzelnen in seiner Einzelheit realistische Tendenz; und die
Wirklichkeit ist unsern Begriffen gegenüber immer vermit-
telnd, immer ein Kompromiss zwischen diesen, weil sie nur
herausgelöste und in unserem Kopfe verselbständigte Seiten
der Wirklichkeit sind, die an sich diese mit vielen anderen
verschmolzen enthält. Daher ist die Differenzierung, die
scheinbar ein trennendes Prinzip ist, doch in Wirklichkeit so
oft ein versöhnendes und annäherndes und eben dadurch ein
kraftsparendes für den Geist, der theoretisch oder praktisch
damit operiert.

Die Differenzierung zeigt hier wieder ihr Verhältnis zum
Monismus; sobald die scharf abgrenzende Zusammenfassung
in einzelne Gruppen und Begriffe aufhört, um zugleich mit
der Individualisierung auch Vermittelung und Allmählichkeit
der Übergänge eintreten zu lassen, stellt sich eine zusammen-
hängende Reihe kleinster Unterschiede und damit die Fülle
der Erscheinungen als einheitliches Ganzes dar. Aller Mo-
nismus ist nun aber seinerseits als denkkraftsparendes Prinzip
angesprochen worden. Gewiss mit vielem Recht; ob mit be-
dingungslosem und so unmittelbarem, wie es den Anschein
hat, möchte ich dennoch bezweifeln. Wenn sich die monisti-
sche Anschauung der Dinge auch enger an die Wirklichkeit
anschliesst, als etwa das Dogma der gesonderten Schöpfungs-
akte und ihre erkenntnistheoretischen Pendants, so bedarf
doch auch sie einer synthetischen Thätigkeit und zwar viel-
leicht einer umfassenderen und anstrengenderen, als wenn
man sich begnügt, beliebig viele Reihen von Erscheinungen,
je nachdem einem gerade Ähnlichkeiten unter ihnen auffallen,
als genetisch zusammengehörige anzusehen; es erfordert wohl
ein höheres Denken, die Gesamtheit der physikalischen Be-
wegungen aus einer einheitlichen Kraftquelle und ihren in-
einander übergehenden Umsetzungen zu begreifen, als für jede
verschiedene Erscheinung auch eine verschiedene Ursache zu
konstituieren: für die Wärme eine besondere Wärmekraft, für
das Leben eine besondere Lebenskraft, oder, mit jener typi-
schen Übertreibung, für das Opium eine besondere vis dor-
mitiva. Es ist wohl endlich schwieriger, das Leben der Seele
als jenes einheitliche Ganze zu erkennen, wie es sich bei der
Auflösung in die Prozesse zwischen den einzelnen Vorstellun-
gen darbietet, als wenn man mit gesonderten Seelenvermögen
rechnet und die Reproduktion der Vorstellungen aus dem
"Gedächtnis" oder die Fähigkeit des Schliessens aus der "Ver-
nunft" erklärt glaubt.

Wo freilich der Monismus der Anschauungsweise nicht
die Differenzierung und Individualisierung ihrer Inhalte zum
Korrelat hat, da ist er vielfach kraftsparend, allein nicht im
Sinne der anderweitig und im ganzen erhöhten Thätigkeit,

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dern nur im Geiste liegen —, zeigt das Zurückgehen auf den
Einzelnen in seiner Einzelheit realistische Tendenz; und die
Wirklichkeit ist unsern Begriffen gegenüber immer vermit-
telnd, immer ein Kompromiſs zwischen diesen, weil sie nur
herausgelöste und in unserem Kopfe verselbständigte Seiten
der Wirklichkeit sind, die an sich diese mit vielen anderen
verschmolzen enthält. Daher ist die Differenzierung, die
scheinbar ein trennendes Prinzip ist, doch in Wirklichkeit so
oft ein versöhnendes und annäherndes und eben dadurch ein
kraftsparendes für den Geist, der theoretisch oder praktisch
damit operiert.

Die Differenzierung zeigt hier wieder ihr Verhältnis zum
Monismus; sobald die scharf abgrenzende Zusammenfassung
in einzelne Gruppen und Begriffe aufhört, um zugleich mit
der Individualisierung auch Vermittelung und Allmählichkeit
der Übergänge eintreten zu lassen, stellt sich eine zusammen-
hängende Reihe kleinster Unterschiede und damit die Fülle
der Erscheinungen als einheitliches Ganzes dar. Aller Mo-
nismus ist nun aber seinerseits als denkkraftsparendes Prinzip
angesprochen worden. Gewiſs mit vielem Recht; ob mit be-
dingungslosem und so unmittelbarem, wie es den Anschein
hat, möchte ich dennoch bezweifeln. Wenn sich die monisti-
sche Anschauung der Dinge auch enger an die Wirklichkeit
anschlieſst, als etwa das Dogma der gesonderten Schöpfungs-
akte und ihre erkenntnistheoretischen Pendants, so bedarf
doch auch sie einer synthetischen Thätigkeit und zwar viel-
leicht einer umfassenderen und anstrengenderen, als wenn
man sich begnügt, beliebig viele Reihen von Erscheinungen,
je nachdem einem gerade Ähnlichkeiten unter ihnen auffallen,
als genetisch zusammengehörige anzusehen; es erfordert wohl
ein höheres Denken, die Gesamtheit der physikalischen Be-
wegungen aus einer einheitlichen Kraftquelle und ihren in-
einander übergehenden Umsetzungen zu begreifen, als für jede
verschiedene Erscheinung auch eine verschiedene Ursache zu
konstituieren: für die Wärme eine besondere Wärmekraft, für
das Leben eine besondere Lebenskraft, oder, mit jener typi-
schen Übertreibung, für das Opium eine besondere vis dor-
mitiva. Es ist wohl endlich schwieriger, das Leben der Seele
als jenes einheitliche Ganze zu erkennen, wie es sich bei der
Auflösung in die Prozesse zwischen den einzelnen Vorstellun-
gen darbietet, als wenn man mit gesonderten Seelenvermögen
rechnet und die Reproduktion der Vorstellungen aus dem
„Gedächtnis“ oder die Fähigkeit des Schlieſsens aus der „Ver-
nunft“ erklärt glaubt.

Wo freilich der Monismus der Anschauungsweise nicht
die Differenzierung und Individualisierung ihrer Inhalte zum
Korrelat hat, da ist er vielfach kraftsparend, allein nicht im
Sinne der anderweitig und im ganzen erhöhten Thätigkeit,

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[119/0133] X 1. dern nur im Geiste liegen —, zeigt das Zurückgehen auf den Einzelnen in seiner Einzelheit realistische Tendenz; und die Wirklichkeit ist unsern Begriffen gegenüber immer vermit- telnd, immer ein Kompromiſs zwischen diesen, weil sie nur herausgelöste und in unserem Kopfe verselbständigte Seiten der Wirklichkeit sind, die an sich diese mit vielen anderen verschmolzen enthält. Daher ist die Differenzierung, die scheinbar ein trennendes Prinzip ist, doch in Wirklichkeit so oft ein versöhnendes und annäherndes und eben dadurch ein kraftsparendes für den Geist, der theoretisch oder praktisch damit operiert. Die Differenzierung zeigt hier wieder ihr Verhältnis zum Monismus; sobald die scharf abgrenzende Zusammenfassung in einzelne Gruppen und Begriffe aufhört, um zugleich mit der Individualisierung auch Vermittelung und Allmählichkeit der Übergänge eintreten zu lassen, stellt sich eine zusammen- hängende Reihe kleinster Unterschiede und damit die Fülle der Erscheinungen als einheitliches Ganzes dar. Aller Mo- nismus ist nun aber seinerseits als denkkraftsparendes Prinzip angesprochen worden. Gewiſs mit vielem Recht; ob mit be- dingungslosem und so unmittelbarem, wie es den Anschein hat, möchte ich dennoch bezweifeln. Wenn sich die monisti- sche Anschauung der Dinge auch enger an die Wirklichkeit anschlieſst, als etwa das Dogma der gesonderten Schöpfungs- akte und ihre erkenntnistheoretischen Pendants, so bedarf doch auch sie einer synthetischen Thätigkeit und zwar viel- leicht einer umfassenderen und anstrengenderen, als wenn man sich begnügt, beliebig viele Reihen von Erscheinungen, je nachdem einem gerade Ähnlichkeiten unter ihnen auffallen, als genetisch zusammengehörige anzusehen; es erfordert wohl ein höheres Denken, die Gesamtheit der physikalischen Be- wegungen aus einer einheitlichen Kraftquelle und ihren in- einander übergehenden Umsetzungen zu begreifen, als für jede verschiedene Erscheinung auch eine verschiedene Ursache zu konstituieren: für die Wärme eine besondere Wärmekraft, für das Leben eine besondere Lebenskraft, oder, mit jener typi- schen Übertreibung, für das Opium eine besondere vis dor- mitiva. Es ist wohl endlich schwieriger, das Leben der Seele als jenes einheitliche Ganze zu erkennen, wie es sich bei der Auflösung in die Prozesse zwischen den einzelnen Vorstellun- gen darbietet, als wenn man mit gesonderten Seelenvermögen rechnet und die Reproduktion der Vorstellungen aus dem „Gedächtnis“ oder die Fähigkeit des Schlieſsens aus der „Ver- nunft“ erklärt glaubt. Wo freilich der Monismus der Anschauungsweise nicht die Differenzierung und Individualisierung ihrer Inhalte zum Korrelat hat, da ist er vielfach kraftsparend, allein nicht im Sinne der anderweitig und im ganzen erhöhten Thätigkeit,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/133>, abgerufen am 27.11.2024.