dieses thatsächlich als eine Vereinigung des sachlich Hetero- genen entgegen der natürlichen Homogeneität der Familie erscheint. --
Ferner: in primitiven Gesellschaften und namentlich in denjenigen, die durch Vereinigung elementarer, in sich schon geschlossener Gruppen gebildet werden, wird der Anführer zunächst für den Krieg, dann aber auch für dauernde Herr- schaft sehr häufig durch Wahl berufen; seine Vorzüge be- wirken, dass ihm die Würde spontan übertragen wird, die er an andern Stellen durch eben diese Vorzüge vermöge Usur- pation erlangt, die aber hier wie dort spätestens mit seinem Tode derart erlischt, dass nun irgend eine andere, durch ähn- liche Vorzüge qualifizierte Persönlichkeit auf die eine oder die andere Weise sich des Prinzipats bemächtigt. Der sociale Fortschritt indes heftet sich gerade an das Durchbrechen des an die Vorzüge der Person geknüpften Verfahrens und an die Aufrichtung erblicher Fürstenwürde; obschon das ver- gleichsweise mechanische und äusserliche Prinzip der Erblich- keit Kinder, Schwachsinnige, in jeder Beziehung ungeeignete Persönlichkeiten auf den Thron bringt, so überwiegt die von ihm ausgehende Sicherheit und Kontinuität der Staatsentwick- lung doch alle Vorteile des rationaleren Prinzips, nach dem die persönlichen Eigenschaften über den Besitz der Herrschaft entscheiden. Wenn die Reihe der Herrscher statt durch sach- liche Auslese durch den äusseren Zufall der Geburt bestimmt wird und dies dennoch dem Kulturfortschritt günstig ist, so kann man nur insofern sagen, dass diese Ausnahme die Regel bestätigt, als sie zeigt, dass auch diese sich selbst unterge- ordnet ist, d. h., dass auch nicht einmal sie, nicht einmal die Verwerfung des äusserlich Schematischen durch das innerlich Rationale ihrerseits wieder zu einer schematischen Norm werden darf. Und endlich sei dafür das ziemlich analoge Verhalten angeführt, das der Monogamie ihren Vorzug vor der Promiskuität der Geschlechter verschafft hat. Ist es näm- lich die Kraft, Gesundheit und Schönheit der Eltern, die die grösste Wahrscheinlichkeit für eine tüchtige Nachkommenschaft gewährt, so wird eine Depravierung der Gattung da zu er- warten sein, wo auch ihren gealterten und herabgekommenen Mitgliedern die Gelegenheit zur Fortpflanzung gesichert bleibt. Dies aber ist gerade in der lebenslänglichen Ehe der Fall. Würde nach jedesmaligem Fruchtbringen einer Vereinigung jeder Teil von neuem das aktive und passive Wahlrecht dem andern Geschlechte gegenüber haben, so würden diejenigen Exemplare, die inzwischen ihre Gesundheit, ihre Kraft und ihre Reize verloren haben, nicht mehr zur Zeugung zuge- lassen werden, und es wäre ausserdem die grössere Wahr- scheinlichkeit gegeben, dass die wirklich zu einander passenden Individuen sich zusammenfänden. Dieser, die rationalen
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dieses thatsächlich als eine Vereinigung des sachlich Hetero- genen entgegen der natürlichen Homogeneität der Familie erscheint. —
Ferner: in primitiven Gesellschaften und namentlich in denjenigen, die durch Vereinigung elementarer, in sich schon geschlossener Gruppen gebildet werden, wird der Anführer zunächst für den Krieg, dann aber auch für dauernde Herr- schaft sehr häufig durch Wahl berufen; seine Vorzüge be- wirken, daſs ihm die Würde spontan übertragen wird, die er an andern Stellen durch eben diese Vorzüge vermöge Usur- pation erlangt, die aber hier wie dort spätestens mit seinem Tode derart erlischt, daſs nun irgend eine andere, durch ähn- liche Vorzüge qualifizierte Persönlichkeit auf die eine oder die andere Weise sich des Prinzipats bemächtigt. Der sociale Fortschritt indes heftet sich gerade an das Durchbrechen des an die Vorzüge der Person geknüpften Verfahrens und an die Aufrichtung erblicher Fürstenwürde; obschon das ver- gleichsweise mechanische und äuſserliche Prinzip der Erblich- keit Kinder, Schwachsinnige, in jeder Beziehung ungeeignete Persönlichkeiten auf den Thron bringt, so überwiegt die von ihm ausgehende Sicherheit und Kontinuität der Staatsentwick- lung doch alle Vorteile des rationaleren Prinzips, nach dem die persönlichen Eigenschaften über den Besitz der Herrschaft entscheiden. Wenn die Reihe der Herrscher statt durch sach- liche Auslese durch den äuſseren Zufall der Geburt bestimmt wird und dies dennoch dem Kulturfortschritt günstig ist, so kann man nur insofern sagen, daſs diese Ausnahme die Regel bestätigt, als sie zeigt, daſs auch diese sich selbst unterge- ordnet ist, d. h., daſs auch nicht einmal sie, nicht einmal die Verwerfung des äuſserlich Schematischen durch das innerlich Rationale ihrerseits wieder zu einer schematischen Norm werden darf. Und endlich sei dafür das ziemlich analoge Verhalten angeführt, das der Monogamie ihren Vorzug vor der Promiskuität der Geschlechter verschafft hat. Ist es näm- lich die Kraft, Gesundheit und Schönheit der Eltern, die die grösste Wahrscheinlichkeit für eine tüchtige Nachkommenschaft gewährt, so wird eine Depravierung der Gattung da zu er- warten sein, wo auch ihren gealterten und herabgekommenen Mitgliedern die Gelegenheit zur Fortpflanzung gesichert bleibt. Dies aber ist gerade in der lebenslänglichen Ehe der Fall. Würde nach jedesmaligem Fruchtbringen einer Vereinigung jeder Teil von neuem das aktive und passive Wahlrecht dem andern Geschlechte gegenüber haben, so würden diejenigen Exemplare, die inzwischen ihre Gesundheit, ihre Kraft und ihre Reize verloren haben, nicht mehr zur Zeugung zuge- lassen werden, und es wäre auſserdem die gröſsere Wahr- scheinlichkeit gegeben, daſs die wirklich zu einander passenden Individuen sich zusammenfänden. Dieser, die rationalen
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dieses thatsächlich als eine Vereinigung des sachlich Hetero-
genen entgegen der natürlichen Homogeneität der Familie
erscheint. —
Ferner: in primitiven Gesellschaften und namentlich in
denjenigen, die durch Vereinigung elementarer, in sich schon
geschlossener Gruppen gebildet werden, wird der Anführer
zunächst für den Krieg, dann aber auch für dauernde Herr-
schaft sehr häufig durch Wahl berufen; seine Vorzüge be-
wirken, daſs ihm die Würde spontan übertragen wird, die er
an andern Stellen durch eben diese Vorzüge vermöge Usur-
pation erlangt, die aber hier wie dort spätestens mit seinem
Tode derart erlischt, daſs nun irgend eine andere, durch ähn-
liche Vorzüge qualifizierte Persönlichkeit auf die eine oder
die andere Weise sich des Prinzipats bemächtigt. Der sociale
Fortschritt indes heftet sich gerade an das Durchbrechen des
an die Vorzüge der Person geknüpften Verfahrens und an
die Aufrichtung erblicher Fürstenwürde; obschon das ver-
gleichsweise mechanische und äuſserliche Prinzip der Erblich-
keit Kinder, Schwachsinnige, in jeder Beziehung ungeeignete
Persönlichkeiten auf den Thron bringt, so überwiegt die von
ihm ausgehende Sicherheit und Kontinuität der Staatsentwick-
lung doch alle Vorteile des rationaleren Prinzips, nach dem
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entscheiden. Wenn die Reihe der Herrscher statt durch sach-
liche Auslese durch den äuſseren Zufall der Geburt bestimmt
wird und dies dennoch dem Kulturfortschritt günstig ist, so
kann man nur insofern sagen, daſs diese Ausnahme die Regel
bestätigt, als sie zeigt, daſs auch diese sich selbst unterge-
ordnet ist, d. h., daſs auch nicht einmal sie, nicht einmal die
Verwerfung des äuſserlich Schematischen durch das innerlich
Rationale ihrerseits wieder zu einer schematischen Norm
werden darf. Und endlich sei dafür das ziemlich analoge
Verhalten angeführt, das der Monogamie ihren Vorzug vor
der Promiskuität der Geschlechter verschafft hat. Ist es näm-
lich die Kraft, Gesundheit und Schönheit der Eltern, die die
grösste Wahrscheinlichkeit für eine tüchtige Nachkommenschaft
gewährt, so wird eine Depravierung der Gattung da zu er-
warten sein, wo auch ihren gealterten und herabgekommenen
Mitgliedern die Gelegenheit zur Fortpflanzung gesichert bleibt.
Dies aber ist gerade in der lebenslänglichen Ehe der Fall.
Würde nach jedesmaligem Fruchtbringen einer Vereinigung
jeder Teil von neuem das aktive und passive Wahlrecht dem
andern Geschlechte gegenüber haben, so würden diejenigen
Exemplare, die inzwischen ihre Gesundheit, ihre Kraft und
ihre Reize verloren haben, nicht mehr zur Zeugung zuge-
lassen werden, und es wäre auſserdem die gröſsere Wahr-
scheinlichkeit gegeben, daſs die wirklich zu einander passenden
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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/129>, abgerufen am 17.02.2025.
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