Der Unterschied des vorgeschrittenen vor dem roheren Denken zeigt sich am Unterschied der Motive, welche die Associationen der Vorstellungen bestimmen. Das zufällige Zusammensein in Raum und Zeit reicht zunächst hin, um die Vorstellungen psychologisch zu verknüpfen; die Vereinigung von Eigenschaften, die einen konkreten Gegenstand bildet, erscheint zunächst als ein einheitliches Ganzes, und jede der- selben steht mit den andern, in deren Umgebung allein man sie kennen gelernt hat, in engem associativem Zusammenhang. Als ein für sich bestehender Vorstellungsinhalt wird sie erst bewusst, wenn sie in noch mehreren und andersartigen Ver- bindungen auftritt; das Gleiche in allen diesen tritt in helle Beleuchtung und zugleich in gegenseitige Verbindung, indem es sich von den Verknüpfungen mit dem sachlich Andern, nur im zufälligen Zusammensein am gleichen Gegenstand mit ihm Verbundenen mehr und mehr frei macht. So erhebt sich die Association über die Anregung durch das aktuell Wahr- nehmbare zu der auf dem Inhalt der Vorstellungen ruhenden, auf der die höhere Begriffsbildung sich aufbaut, und die das Gleiche auch aus seinen Verschlingungen mit den verschieden- artigsten Wirklichkeiten herausgewinnt.
Die Entwicklung, die hier unter den Vorstellungen vor sich geht, findet in dem Verhältnis der Individuen unter- einander eine Analogie. Der Einzelne sieht sich zunächst in einer Umgebung, die, gegen seine Individualität relativ gleich- gültig, ihn an ihr Schicksal fesselt und ihm ein enges Zu- sammensein mit denjenigen auferlegt, neben die der Zufall der Geburt ihn gestellt hat; und zwar bedeutet dies Zunächst sowohl die Anfangszustände phylogenetischer wie ontogeneti-
V. Über die Kreuzung socialer Kreise.
Der Unterschied des vorgeschrittenen vor dem roheren Denken zeigt sich am Unterschied der Motive, welche die Associationen der Vorstellungen bestimmen. Das zufällige Zusammensein in Raum und Zeit reicht zunächst hin, um die Vorstellungen psychologisch zu verknüpfen; die Vereinigung von Eigenschaften, die einen konkreten Gegenstand bildet, erscheint zunächst als ein einheitliches Ganzes, und jede der- selben steht mit den andern, in deren Umgebung allein man sie kennen gelernt hat, in engem associativem Zusammenhang. Als ein für sich bestehender Vorstellungsinhalt wird sie erst bewuſst, wenn sie in noch mehreren und andersartigen Ver- bindungen auftritt; das Gleiche in allen diesen tritt in helle Beleuchtung und zugleich in gegenseitige Verbindung, indem es sich von den Verknüpfungen mit dem sachlich Andern, nur im zufälligen Zusammensein am gleichen Gegenstand mit ihm Verbundenen mehr und mehr frei macht. So erhebt sich die Association über die Anregung durch das aktuell Wahr- nehmbare zu der auf dem Inhalt der Vorstellungen ruhenden, auf der die höhere Begriffsbildung sich aufbaut, und die das Gleiche auch aus seinen Verschlingungen mit den verschieden- artigsten Wirklichkeiten herausgewinnt.
Die Entwicklung, die hier unter den Vorstellungen vor sich geht, findet in dem Verhältnis der Individuen unter- einander eine Analogie. Der Einzelne sieht sich zunächst in einer Umgebung, die, gegen seine Individualität relativ gleich- gültig, ihn an ihr Schicksal fesselt und ihm ein enges Zu- sammensein mit denjenigen auferlegt, neben die der Zufall der Geburt ihn gestellt hat; und zwar bedeutet dies Zunächst sowohl die Anfangszustände phylogenetischer wie ontogeneti-
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V.
Über die Kreuzung socialer Kreise.
Der Unterschied des vorgeschrittenen vor dem roheren
Denken zeigt sich am Unterschied der Motive, welche die
Associationen der Vorstellungen bestimmen. Das zufällige
Zusammensein in Raum und Zeit reicht zunächst hin, um die
Vorstellungen psychologisch zu verknüpfen; die Vereinigung
von Eigenschaften, die einen konkreten Gegenstand bildet,
erscheint zunächst als ein einheitliches Ganzes, und jede der-
selben steht mit den andern, in deren Umgebung allein man
sie kennen gelernt hat, in engem associativem Zusammenhang.
Als ein für sich bestehender Vorstellungsinhalt wird sie erst
bewuſst, wenn sie in noch mehreren und andersartigen Ver-
bindungen auftritt; das Gleiche in allen diesen tritt in helle
Beleuchtung und zugleich in gegenseitige Verbindung, indem
es sich von den Verknüpfungen mit dem sachlich Andern,
nur im zufälligen Zusammensein am gleichen Gegenstand mit
ihm Verbundenen mehr und mehr frei macht. So erhebt sich
die Association über die Anregung durch das aktuell Wahr-
nehmbare zu der auf dem Inhalt der Vorstellungen ruhenden,
auf der die höhere Begriffsbildung sich aufbaut, und die das
Gleiche auch aus seinen Verschlingungen mit den verschieden-
artigsten Wirklichkeiten herausgewinnt.
Die Entwicklung, die hier unter den Vorstellungen vor
sich geht, findet in dem Verhältnis der Individuen unter-
einander eine Analogie. Der Einzelne sieht sich zunächst in
einer Umgebung, die, gegen seine Individualität relativ gleich-
gültig, ihn an ihr Schicksal fesselt und ihm ein enges Zu-
sammensein mit denjenigen auferlegt, neben die der Zufall
der Geburt ihn gestellt hat; und zwar bedeutet dies Zunächst
sowohl die Anfangszustände phylogenetischer wie ontogeneti-
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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. [100]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/114>, abgerufen am 21.02.2025.
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