Silesius, Angelus: Geistreiche Sinn- vnd Schlussrime. Wien, 1657.Fünfftes Buch. 153. Ein jeder im Himmel freuet sich ob dem andren. Der gröste Heilige wird sich so hoh erfreun Ob mir: als sehr ob jhm ich werde frölich seyn. 154. Wer friede sucht muß vil übersehn. Mensch wenn du so genau daß deine wilt beschützen/ So wirstu nimmermehr in wahrem friede sitzen. 155. Christus ist der erste und letzte Mensch. Der erst' und letzte Mensch ist Christus selbst allein/ Weil all' auß jhm entstehn/ in jhm beschlossen sein. 156. Wer viel begehrt dem mangelt vil. Wer gnugsam reich/ hat alls. Wer viel begehrt und wil/ Der gibet zu verstehn daß jhm noch mangelt viel. 157. Der Reiche ist wahrhafftig arm. Der Reiche wann er viel von seiner Armuth spricht/ So glaub es jhm nur gern: er leugt warhafftig nicht. 158. Die abgestorbenheit ist eine Wittib. Die abgestorbenheit muß eine Wittib seyn: Denn sie hat keinen Mann/ und gehet stäts allein. 159. Daß Leiden Christi ist noch nicht gar vollbracht. Daß Leiden Christi ist am Creutz nicht gar vollbracht: Er leidet heute noch bey Tag und auch bey Nacht. 160. Der Mensch muß daß Leiden Christi erfüllen. Mensch du soist Paulus sein/ und in dir selbst er- füllen/ Was Christus nicht gethan/ wo sich der zorn sol stillen. 161. Nie-
Fuͤnfftes Buch. 153. Ein jeder im Him̃el freuet ſich ob dem andren. Der groͤſte Heilige wird ſich ſo hoh erfreun Ob mir: als ſehr ob jhm ich werde froͤlich ſeyn. 154. Wer friede ſucht muß vil uͤberſehn. Menſch wenn du ſo genau daß deine wilt beſchuͤtzen/ So wirſtu nimmermehr in wahrem friede ſitzen. 155. Chriſtus iſt der erſte und letzte Menſch. Der erſt’ und letzte Menſch iſt Chriſtus ſelbſt allein/ Weil all’ auß jhm entſtehn/ in jhm beſchloſſen ſein. 156. Wer viel begehrt dem mangelt vil. Wer gnugſam reich/ hat alls. Wer viel begehrt und wil/ Der gibet zu verſtehn daß jhm noch mangelt viel. 157. Der Reiche iſt wahrhafftig arm. Der Reiche wann er viel von ſeiner Armuth ſpricht/ So glaub es jhm nur gern: er leugt warhafftig nicht. 158. Die abgeſtorbenheit iſt eine Wittib. Die abgeſtorbenheit muß eine Wittib ſeyn: Denn ſie hat keinen Mann/ und gehet ſtaͤts allein. 159. Daß Leiden Chriſti iſt noch nicht gar vollbracht. Daß Leiden Chriſti iſt am Creutz nicht gar vollbracht: Er leidet heute noch bey Tag und auch bey Nacht. 160. Der Menſch muß daß Leidẽ Chriſti erfuͤllen. Menſch du ſoiſt Paulus ſein/ und in dir ſelbſt er- fuͤllen/ Was Chriſtus nicht gethan/ wo ſich der zorn ſol ſtillẽ. 161. Nie-
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Fuͤnfftes Buch.
153. Ein jeder im Him̃el freuet ſich ob
dem andren.
Der groͤſte Heilige wird ſich ſo hoh erfreun
Ob mir: als ſehr ob jhm ich werde froͤlich ſeyn.
154. Wer friede ſucht muß vil uͤberſehn.
Menſch wenn du ſo genau daß deine wilt beſchuͤtzen/
So wirſtu nimmermehr in wahrem friede ſitzen.
155. Chriſtus iſt der erſte und letzte
Menſch.
Der erſt’ und letzte Menſch iſt Chriſtus ſelbſt allein/
Weil all’ auß jhm entſtehn/ in jhm beſchloſſen ſein.
156. Wer viel begehrt dem mangelt vil.
Wer gnugſam reich/ hat alls. Wer viel begehrt und
wil/
Der gibet zu verſtehn daß jhm noch mangelt viel.
157. Der Reiche iſt wahrhafftig arm.
Der Reiche wann er viel von ſeiner Armuth ſpricht/
So glaub es jhm nur gern: er leugt warhafftig nicht.
158. Die abgeſtorbenheit iſt eine Wittib.
Die abgeſtorbenheit muß eine Wittib ſeyn:
Denn ſie hat keinen Mann/ und gehet ſtaͤts allein.
159. Daß Leiden Chriſti iſt noch nicht
gar vollbracht.
Daß Leiden Chriſti iſt am Creutz nicht gar vollbracht:
Er leidet heute noch bey Tag und auch bey Nacht.
160. Der Menſch muß daß Leidẽ Chriſti
erfuͤllen.
Menſch du ſoiſt Paulus ſein/ und in dir ſelbſt er-
fuͤllen/
Was Chriſtus nicht gethan/ wo ſich der zorn ſol ſtillẽ.
161. Nie-
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Zitationshilfe: | Silesius, Angelus: Geistreiche Sinn- vnd Schlussrime. Wien, 1657, S. 167[165]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/silesius_schlussrime_1657/171>, abgerufen am 17.02.2025. |