Wurzel) nennen, hat manchmal einen Patienten in die andere Welt geschickt.
Obengedachte Grenzwacht besteht aus 10 Rußen und 10 Tungusen, die hier wohlbegütert und in guter Eintracht mit einander leben. Von den Tungusen sage ich hier weiter nichts, denn die hat Georgi hinlänglich genug beschrieben. Jch war sehr gern unter ihnen, denn sie sind freundlich, gastfrey und sehr höflich und brav. Die besten Subjekte zur Reiterey gewiß. Von dieser Grenzwacht geht man über Akschinskoi Festung und Dshindan nach Nertschinsk, etwa 400 Werst Abstand. Den 13. September gelangte ich beym warmen Wasser wieder an, wo ich aber alles sehr verändert fand. Ein mongolischer Fürst (Taischa) mit einem Gefolge von 100 Pferden, 6 Priestern, 4 Weibern und mehr wie 30 Menschen an Wildschützen und Aufwärtern. Auf Be- fehl des Taischa waren die Quellen aufgeräumt und zwey Lauben von den Zweigen der Zedersichte darüber gebauet, wovon die eine zum Baden für die Männer, die andre für die Weiber eingerichtet waren. Uebrigens war noch eine große Simowie für den Taischa besonders errichtet. Da eine besondre Einsegnung des Wassers vor sich ge- hen sollte, so verweilte ich den ganzen Tag bey dem Für- sten, der nach asiatischer Art seine Wohnung mit vielen Teppichen ausgeziert hatte. Neben ihm lag ein Lama, der viel bey ihm zu gelten schien, und so zu sagen den Fürsten ganz regierte. Zuweilen wälzte oder streckte sich dieser, ohne weitere Umstände, auf den Decken herum. Er schien mir der Minister, der Beichtvater und der
Rath-
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aus Sibirien.
Wurzel) nennen, hat manchmal einen Patienten in die andere Welt geſchickt.
Obengedachte Grenzwacht beſteht aus 10 Rußen und 10 Tunguſen, die hier wohlbeguͤtert und in guter Eintracht mit einander leben. Von den Tunguſen ſage ich hier weiter nichts, denn die hat Georgi hinlaͤnglich genug beſchrieben. Jch war ſehr gern unter ihnen, denn ſie ſind freundlich, gaſtfrey und ſehr hoͤflich und brav. Die beſten Subjekte zur Reiterey gewiß. Von dieſer Grenzwacht geht man uͤber Akſchinskoi Feſtung und Dſhindan nach Nertſchinsk, etwa 400 Werſt Abſtand. Den 13. September gelangte ich beym warmen Waſſer wieder an, wo ich aber alles ſehr veraͤndert fand. Ein mongoliſcher Fuͤrſt (Taiſcha) mit einem Gefolge von 100 Pferden, 6 Prieſtern, 4 Weibern und mehr wie 30 Menſchen an Wildſchuͤtzen und Aufwaͤrtern. Auf Be- fehl des Taiſcha waren die Quellen aufgeraͤumt und zwey Lauben von den Zweigen der Zederſichte daruͤber gebauet, wovon die eine zum Baden fuͤr die Maͤnner, die andre fuͤr die Weiber eingerichtet waren. Uebrigens war noch eine große Simowie fuͤr den Taiſcha beſonders errichtet. Da eine beſondre Einſegnung des Waſſers vor ſich ge- hen ſollte, ſo verweilte ich den ganzen Tag bey dem Fuͤr- ſten, der nach aſiatiſcher Art ſeine Wohnung mit vielen Teppichen ausgeziert hatte. Neben ihm lag ein Lama, der viel bey ihm zu gelten ſchien, und ſo zu ſagen den Fuͤrſten ganz regierte. Zuweilen waͤlzte oder ſtreckte ſich dieſer, ohne weitere Umſtaͤnde, auf den Decken herum. Er ſchien mir der Miniſter, der Beichtvater und der
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aus Sibirien.
Wurzel) nennen, hat manchmal einen Patienten in die
andere Welt geſchickt.
Obengedachte Grenzwacht beſteht aus 10 Rußen
und 10 Tunguſen, die hier wohlbeguͤtert und in guter
Eintracht mit einander leben. Von den Tunguſen ſage
ich hier weiter nichts, denn die hat Georgi hinlaͤnglich
genug beſchrieben. Jch war ſehr gern unter ihnen, denn
ſie ſind freundlich, gaſtfrey und ſehr hoͤflich und brav.
Die beſten Subjekte zur Reiterey gewiß. Von dieſer
Grenzwacht geht man uͤber Akſchinskoi Feſtung und
Dſhindan nach Nertſchinsk, etwa 400 Werſt Abſtand.
Den 13. September gelangte ich beym warmen Waſſer
wieder an, wo ich aber alles ſehr veraͤndert fand. Ein
mongoliſcher Fuͤrſt (Taiſcha) mit einem Gefolge von
100 Pferden, 6 Prieſtern, 4 Weibern und mehr wie 30
Menſchen an Wildſchuͤtzen und Aufwaͤrtern. Auf Be-
fehl des Taiſcha waren die Quellen aufgeraͤumt und zwey
Lauben von den Zweigen der Zederſichte daruͤber gebauet,
wovon die eine zum Baden fuͤr die Maͤnner, die andre
fuͤr die Weiber eingerichtet waren. Uebrigens war noch
eine große Simowie fuͤr den Taiſcha beſonders errichtet.
Da eine beſondre Einſegnung des Waſſers vor ſich ge-
hen ſollte, ſo verweilte ich den ganzen Tag bey dem Fuͤr-
ſten, der nach aſiatiſcher Art ſeine Wohnung mit vielen
Teppichen ausgeziert hatte. Neben ihm lag ein Lama,
der viel bey ihm zu gelten ſchien, und ſo zu ſagen den
Fuͤrſten ganz regierte. Zuweilen waͤlzte oder ſtreckte ſich
dieſer, ohne weitere Umſtaͤnde, auf den Decken herum.
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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/95>, abgerufen am 26.07.2024.
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